Ankunft in der neuen Heimat

Ankunft in der neuen Heimat aus dem Roman Katharina der letzte Winter im Buchenland

Nach drei Tagen steht ihnen der letzte Abschnitt der Reise bevor. Von Braunschweig geht es jetzt nach Lebenstedt. Nur die Aufregung und die Neugierde hält alle noch wach, so müde sind sie. Bei der Ankunft in Lebenstedt werden sie am Bahnsteig vom Bürgermeister und Verwandten empfangen. »Was ist das für ein Wiedersehen. Irmgard, dich und deine großen Töchter haben wir gleich wiedererkannt«, stellt Katharina fest, als sie sich in den Armen liegen. »Das letzte Mal haben wir euch Ostern in Poschoritta besucht«, antwortet Irmgard. Auch mit den anderen Verwandten und Bekannten umarmen sie sich. Freudentränen fließen. Nach der offiziellen Begrüßung durch den Bürgermeister folgt eine bittere Pille. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie noch nicht hier bleiben können. Ich muss Sie nach einigen Tagen in das Lager Friedland überweisen«, erzählt er ihnen. Nach dem ersten Schock haben sie sich auch damit abgefunden. »Wir haben soviel durchgemacht, dann werden wir auch das noch überstehen«, beruhigt Katharinas Mutter die Neuankömmlinge. Trotz allem nehmen sie die Gelegenheit wahr und tauschen sich mit ihren Verwandten aus. Irmgard erzählt ihnen ihre Leidensgeschichte: »Meine Schwiegermutter hat bei der Einbürgerung auf die Frage eines SS-Offiziers verdattert geantwortet, dass sie Polin ist. Daraufhin wurden wir für das Altreich eingestuft. Diese Antwort hat unser Schicksal glücklich beeinflusst. Hier mussten wir in den Herman Göring-Werken in Salzgitter arbeiten. Ein anderer Teil unserer Verwandtschaft ist später nach der Flucht hier in Lebenstedt eingetroffen«. Auf Katharinas Frage: »Weißt du was mit Onkel Johann geschehen ist?«, antwortet Irmgard: »Die Familie ist mit einem Flüchtlingszug in der DDR angekommen und lebt jetzt in der Nähe von Dresden«. Irmgards Mann hat sich mit der Geschichte der Buchenlanddeutschen näher beschäftigt und weiß zu berichten: »Zum Glück wurden nicht alle Buchenländer zurück in ihre Heimat geschickt. Be der Rückführung haben die Sowjets auch darauf geachtet, dass die Flüchtlinge nicht in ihre an gestammten Heimatorte zurückgeschickt wurden«. Zum Thema Sibirien weiß er zu berichten: »Viele Menschen wurden nach 1945 aufgrund ihrer deutschen Namen aus Rumänien nach Sibirien deportiert. Nach einem kurzen Aufenthalt müssen sie die Fahrt in das Lager Friedland antreten. Sie sind überrascht, wie gut sie im Lager versorgt werden. Hier kümmert man sich um die Familie. Die Kleinen und die Großen sind begeistert. Sie wer den nicht nur neu eingekleidet, die Kinder und Jugendlichen erhalten Geschenke und Spielzeug. Sie lernen eine neue Welt kennen. »Jetzt bin ich froh, dass wir hier sind. Hier können wir durchatmen und uns etwas von den Strapazen erholen«, gibt Katharina zum Besten. Ihre Mutter stimmt ihr zu: »Ich auch, hier können wir uns mit der neuen Heimat anfreunden«. Aller Anfang ist schwer. Mit dem was sie sich unter
Lagerleben vorstellen, hat Friedland nicht viel zu tun. In den nächsten Wochen genießen sie die Freiheit. Die Kinder und Jugendlichen erkunden vorsichtig und gespannt das neue Um feld. Diese Umgewöhnungsphase tut allen gut. Es wird noch lange dauern, bis sie das vergangene Trauma überwinden werden. Als sie nach vier Wochen aus dem Lager entlassen werden und wieder bei ihren Verwandten in Lebenstedt eintreffen, die auch für ihre Unterbringung sorgen, haben sie viel zu erzählen. Jeder möchte wissen, wie es ihnen ergangen ist. Sie erfahren jetzt erst, was ihre Verwandten und Bekannten bei der Umsiedlung erlebt haben. Sie schöpfen Hoffnung und möchten sich eine neue Zukunft aufbauen. Trotz aller Euphorie müssen sie hier von vorn anfangen. Schule und Beruf ihrer Kinder stehen im Vordergrund. Auch an eine eigene Wohnungen denken sie. Wo sollen sie anfangen? Die Neuankömmlinge kommen übergangsweise bei Verwandten unter. Eines Morgens besucht sie der Bürgermeister: »Erschrecken Sie nicht, wenn ich Sie aufsuche, denn ich habe gute Nachrichten für Sie. Ich kann Ihnen zwei Wohnungen anbieten«. »Zwei Wohnungen?«, fragt Katharina. »Wir haben gerade ein neues Wohngebäude für Umsiedler übernommen und hier sind noch Wohnungen frei«, antwortet der Bürgermeister. »Herr Bürgermeister, das Glück können wir nicht fassen«, mischt sich Katharinas Mutter ein. Eine Woche später haben sie einen Besichtigungstermin. Die beiden Wohnungen gefallen ihnen. Sie sind wie ein Geschenk. Katharinas Mutter bekommt Bedenken: »Wo sollen wir das Geld hernehmen, um die Miete zu bezahlen und wovon sollen wir leben?«. Zum Glück kennen sich ihre Verwandten mit den Behördengängen aus. Als Umsiedler können sie mit finanzieller Hilfe des Staates rechnen. Sie wissen nicht, dass nach dem Krieg viele Flüchtlinge in das Land geströmt sind. Die Besatzungsmächte und die Bundesregierung haben das Problem mit den Flüchtlingen erkannt. Schon in den 50er Jahren gibt es in Westdeutschland einen Aufschwung, an dem auch die Flüchtlinge teil haben. Die positive Entwicklung in Westdeutschland wird in Ostdeutschland neidvoll »Goldener Westen« bezeichnet. Nach und nach verschwinden durch den Neuaufbau auch die letzten Ruinen im Land. Mit Unterstützung der Gemeinde und mit Hilfe ihrer Verwandten können sie die beiden Wohnungen einrichten. »Jetzt haben auch die Kinder ihre Zimmer«, strahlt Katharina. Die beiden schulpflichtigen Jungen werden eingeschult. Für die Zwillinge Peter und Paul hat Irmgard eine Lehrstelle in einem großen Betrieb besorgt. »Auch mit 19 Jahren ist es nicht zu spät einen Beruf zu erlernen«, sagt sie. Eines Tages überrascht Irmgard ihre Verwandten mit Neuigkeiten. »Ich hab für Ilona und Elsa Arbeit gefunden. Sie können beide in dem Kaufhaus in der Stadt als Verkäuferin nen beginnen«. Auch Katharina gelingt es Arbeit zu bekommen. Jetzt ist nur noch Katharinas Mutter zu Hause. »Ich gehe lieber nicht arbeiten, dann kann ich mich um die Haushalte und Kinder kümmern«, erkennt sie, denn die beiden Wohnungen liegen direkt nebeneinander. »Langsam kommt Ordnung in unser Leben«, erkennt Katharinas Mutter und nimmt sich vor, auf die Suche nach ihrem Mann zu gehen. »Vielleicht lebt er noch?, überlegt sie und nimmt Kontakt zu dem Suchdienst des Roten Kreuzes auf. Beim Suchdienst des Roten Kreuzes ist man gut aufgestellt. Hier erfährt sie, dass ihr Mann in Süddeutschland lebt. Es dauert nicht lange, bis Katharinas Vater in Süddeutschland die Zelte abbricht und zu ihnen nach Lebenstedt kommt. Katharinas Mutter kann ihr Glück nicht fassen, als sie das erste Mal mit ihrem Mann telefoniert. Die Freude ist groß, als Katharinas Vater in Lebenstedt eintrifft. Viel Neues strömt hier auf ihn ein. Dass sein Sohn Otto in Frankreich gefallen ist, wusste er noch nicht. Er ist erschüttert, als er erführt, dass seine Familie in die Bukowina zurückgeschickt wurde. Über seine eigene Flucht berichtet Katharinas Vater: »Unser Treck wurde von russischen Fliegern beschossen. Ich hatte Glück, weil ich in einen tiefen Straßengraben flüchten konnte«. »Warst du bei deiner Schwester in Wien?«, fragt Katharina. »Ja, da war ein riesiges Chaos. Weil Wien in Schutt und Asche lag und der Russe auch hier war, war ich nicht lange dort«, antwortet er. »Und was hast du noch erlebt?«, fragt Katharinas Mutter. »Ich bin mit einem Pferd und Wagen bis nach Linz in Österreich gekommen und habe dort alles liegen und stehen lassen, auch Ottos Gewehr«, antwortet er. Danach hat er Linz verlassen und ist in Augsburg bei den Buchländern untergekommen. Katharinas Vater ist es dort nicht gelungen etwas über seine Familie in Erfahrung zu bringen. Das glückliche Zusammentreffen mit ihrem Vater ermutigt Katharina nach Dora und Willi zu forschen. Wie sie bald feststellen wird, ist das schwieriger. Der Suchdienst des Roten Kreuzes nimmt Kontakt mit Israel auf. Hier werden sie findig. Nachdem der Kontakt zu Dora und Willi hergestellt ist, führt Katharina regen Schriftwechsel mit den Beiden. Sie erfährt, dass sie in Tel Aviv wohnen und Willi inzwischen den jüdischen Glauben angenommen hat. In Tel Aviv leben sie mit ihren beiden Kindern. Katharina möchte sie gern besuchen. Katharina erfährt ebenfalls ihr spätes Glück. Sie lernt einen Landsmann kennen, den sie Jahre später heiratet. Jetzt leben beide Familien glücklich und zufrieden direkt nebeneinan der.