Erinnerungen an Pfarrer Proschinger

Johann Proschinger war der letzte deutsche Pfarrer in der Bukowina


„Für die Gläubigen bis ans Ende des Lebens sorgen”


Der 82-jährige Johann Proschinger, der letzte deutsche Pfarrer in der Bukowina


  Pfarrer Proschinger bei der Hl. Messe in Cacica (2013 verstorben)

Auf das Gespräch „mit der Zeitung” freut er sich sichtlich und lädt uns in die Sakristei ein. Kurz davor verabschiedet er sich noch von den Gläubigen, die sich nach der Abendmesse vor der geräumigen katholischen Pfarrkirche von Suczawa/Suceava versammelt haben. Pater Jo­hann Proschinger will wissen, was er denn gemacht habe, dass „die Zeitung” über ihn schreiben möchte, er lächelt breit und freundlich und bringt schnell auch noch zwei Stühle zum großen Sakristei-Tisch. 

Er sei der einzige deutsche römisch-katholische Pfarrer, den es derzeit in der Bukowina noch gibt, hatte man mir gesagt. Die hier lebende deutsche Gemeinschaft sei – wenn die Heilige Mes­se noch in der Muttersprache zelebriert werden soll – allein auf ihn angewiesen. Das weiß Pa­ter Proschinger und deshalb ist er noch immer da. Er zelebriert den Gottesdienst auf Deutsch jede zweite Woche in Suczawa, fährt nach Gura Humora/Gura Humorului und spricht zu den dortigen Deutschen einmal im Monat, ist in Sereth/Siret, in Radautz/Rădăuţi und in Katschika/ Cacica dabei, er besucht die Kranken in Itcani, einem ehemals deutschen Viertel von Suczawa, nimmt an Kirchweihfesten oder Gemeinschaftstreffen teil und ist beim Demokratischen Forum der Deutschen im Buchenland ein gern gesehener Gast. Er ist der Seelsorger, der mit 82 in das eigene Auto steigt und sich auf den Weg zu seinen Gläubigen macht. Das „macht Freude und gibt Mut für die Zukunft, denn früher ist man ja als Priester-.auch nicht in Rente gegangen, son­dern sorgte für seine Gläubigen bis ans Ende seines Lebens”, so Pater Proschinger. Dem Grundsatz scheint er treu bleiben zu wollen.

Weil der in Fălticeni als Sohn eines Handwerkers und einer Hausfrau geborene Johann Proschinger sich voll und ganz als Bukowina-Deutscher fühlt, kam er nach seiner Pensionierung aus Galatz/Galati, wohin ihn der Franziskanerorden 1990 versetzt hatte, sofort nach Suczawa zurück. Als Seelsorger für die Deutschen, aber auch weil es ihn in die buchenländische Heimat zurückzog. Es war auch seine frühere Kirchengemeinschaft, die ihn interessierte, hatte er doch vor seiner Tätigkeit in Galatz über Jahre hinweg in Suczawa gedient. Man kannte ihn, er war je­ner, der zahlreiche Gemeindemitglieder getauft, getraut und begraben hatte, die Leute mochten ihn und freuten sich, als er wieder in der Bukowina war, wie uns ein Gläubiger nach der Messe sagte. 

Proschinger besuchte ab dem Alter von 12 Jahren das Seminar des Franziskanerordens, denn er habe bereits damals den Drang zum Priestertum gespürt. “Ich wollte immer Priester werden”, sag er, doch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und das bittere Schicksal seiner Gemeinschaft, von dem er nicht verschont blieb, machten ihm zunächst einen Strich durch die Rechnung. Der 20-Jährige wurde 1945 bei Arad von den Russen aus der rumänischen Armee herausgeholt und nach Tscheljabinsk im Ural-Gebirge verschleppt. Mit Banater Schwaben, Bessarabiern. Deutschen und Österreichern interniert, befreundete sich Proschinger mit einem Österreicher und gemeinsam mit ihm plante er seine Flucht aus dem sowjetischen Lager. Ein äußerst risikoreiches Unterfangen, wie er 61 Jahre danach zugibt, doch er konnte „den sibirischen Winter” einfach nicht mehr ertragen, erzählt er schmunzelnd. Hauptgrund für seinen geglückten Fluchtversuch war jedoch ein anderer: „Ich musste zurück in die Bukowina, weil ich Priester werden wollte”. Die abenteuerliche Flucht führte den 20-Jährigen über die Ukraine, über Chişinău und Czernowitz/Cernăuţi zurück in die Heimat. In Rumänien angekommen, das bald darauf eine Volksrepublik wurde, musste sich der Buchenlanddeutsche zunächst als Fahrer und Buchhalter durchschlagen, ehe er das Studium der Theologie wieder aufnehmen konnte und 1952 in Karlsburg/Alba lulia von Bischof Alexandru Cisar die Priesterweihe empfangen. (Cisar, 1880 – 1954, Sohn eines Tschechen und einer Banater Schwäbin, folgte dem Deutschen Raymund Netzhammer im Amt des römisch-katholischen Erzbischofs von Bukarest). 

1960 bekam Pater Proschinger in der Gemeinde Cotnari (Kreis Jassy/Iaşi) seine erste Stelle als Pfarrer, sieben Jahre später wechselte er nach Suczawa, wo er in der Pfarrkirche im Stadtzentrum bis 1990 diente.

In der Bukowina wurde Johann Proschinger bereits 1940 von seiner Familie – Eltern, Schwester und Bruder – getrennt, die nach Deutschland umgesiedelt wurde und dort auch blieb. Erst 1969 durfte der inzwischen 44-Jährige die Verwandten in der Bundesrepublik besuchen. Obwohl man ihm mehrmals angeboten hatte, dort zu bleiben, kehrte er jedes Mal in seine Heimat zurück. „Die Pflicht, meine Aufgaben hier zu erfüllen, habe ich nie bereut”, sagt der rüstige Pater und seine hellblauen Augen leuchten jugendlich. . Aus Deutschland habe er nicht nur Bücher („Eine ganze Bibliothek!”) mitgebracht, sondern in Gesprächen mit dortigen Pfarrern auch Vieles dazugelernt, zum Beispiel wie man Messen gestalten oder eine menschliche Beziehung zu den Gläubigen aufbauen kann. „So was hatte man ja uns an der Fakultät nicht beigebracht,” so Proschinger. Ob in seinen bundesdeutschen Erkenntnissen das Rezept seines Erfolges als Pfarrer und Seelsorger zu suchen sei? „Vielleicht auch da”, sagt er. Seine freundliche, offene Natur, sein Entgegenkommen und seine Redlichkeit sind sicherlich weitere Erfolgsingredienzen.

In all den Jahren hat sich Johann Proschinger nicht nur für seine deutsche Gemeinde eingesetzt, sondern für die Katholiken der Bukowina im Allgemeinen. Für die Polen, die jetzt zusammen mit den katholischen Rumänen die im 19. Jahrhundert gebaute Pfarrkirche von Suczawa füllen, hatte er vor 1989 eine eigene Kirche gebaut, nach wiederholten Verhandlungen mit den kommunistischen Behörden. Proschinger, dem man eine gewisse Altersschlauheit vom Gesicht abliest, führte eine Politik der kleinen Schritte: Zunächst ließ er, selbstverständlich mit Genehmigung, ein Leichenhaus bauen, dann argumentierte er, man brauche doch auch eine Kirche für die polnische Gemeinschaft, die hatte nämlich keine. Und zuletzt wurde auch dies genehmigt, in einer Zeit, in der die katholische Kirche sich keineswegs der Unterstützung des Regimes erfreute. Voller Bescheidenheit erzählt er das, was aus heutiger Sicht banal klingen könnte, es aber durchaus nicht ist.

Er wolle weitermachen, so lange er könne, so lange ihm Gott Gesundheit schenkt und so lange sein VW Passat noch fahrtüchtig ist. Um die alten und kranken Gläubigen der Bukowina besuchen zu können. Auch wenn sich vieles verändert habe und vieles komplizierter geworden sei im Vergleich zu früher. „Was denn?”, will ich wissen; Pater Johann Proschinger lächelt breit und in seinen Augen funkt es schelmisch: „Na, heute gibt es zum Beispiel das Internet” Ein katholischer Pfarrer alten Schlages eben.

Dan Cărămidariu –  aus dem deutschen Jahrbuch für Rumänien 2008