Peter Tanzel, Erinnerungen eines Bukowina-Zeitzeugen
Peter Tanzel wurde am 20. Januar 1914 im Süden der Bukowina im Dorf Pozoritta (heute Pojorata) geboren. Sein Vater Stefan hatte eine zweite Ehefrau, die erste war gestorben. Aus erster Ehe stammten zwei Söhne und aus der zweiten Ehe kamen noch sechs Geschwister hinzu. Die ersten Kindheitsjahre waren vom ersten Weltkrieg geprägt. Er wuchs mit Kriegslärm und vielen Soldaten auf, die ständig hin- und herzogen, da das Dorf Pozoritta mitten im Kampfgebiet zwischen Österreichern und Deutschen bzw. Russen lag. Oft flohen sie in den Keller. Nur der Vater rannte unter Lebensgefahr hinaus auf den Hof, um von den Kühen Milch für die Kinder zu holen.
Als der Krieg 1918 zu Ende war, quälte der Hunger die Kinder sehr. Der älteste Bruder aus erster Ehe fuhr mit dem Pferdegespann in das 80 km entfernte Suceava, um etwas Essbares für die ganze Familie aufzutreiben. Ein sehr trauriges Ereignis erschütterte die ganze Familie im gleichen Jahr, besonders die Seelen der Kinder litten sehr darunter, die des kleinen Peter ein Leben lang. Er war gerade vier Jahre alt und die kleinere Schwester zwei, als die über alles geliebte gütige Mutter verstarb. Als sie zu Grabe getragen wurde, hatte er erst begriffen, dass sie nie wiederkommen würde. Für die Familie war es ein schwerer Schlag. Die gute Schwester Anna, selbst noch ein Kind von 11 Jahren, übernahm die Rolle der Mutter. Mit ihrer Geduld und ihren vielen Begabungen wurde sie die Hauptstütze des Vaters im Haus. Die älteren Brüder standen dem Vater bei seinen Arbeiten und Unternehmungenzur Seite, so dass keine große Not in der Familie aufkam. Der Vater war zeitlebens ein Vorbild mit seiner Güte, mit dem friedvollen Verhalten zu allen Menschen, seiner Ehrlichkeit und seinem Fleiß. Er liebte seine Kinder über alles und nahm keine neue Frau aus Sorge, eine Stiefmutter könnte seine Kinder schlecht behandeln.
Im Jahre 1919 starb die jüngere Schwester Hedwig mit drei Jahren und Peter war von nun an der Jüngste. Der Vater brachte die Kleinen jeden Abend selbst zu Bett, erzählte Märchen, deckte sie gut zu und überließ sie dann dem seligen Schlaf. Ein weiterer Schicksalsschlag in den Kindertagen war der Tod des ältesten Bruders aus 2. Ehe, des 20-jährigen Johann. Er verstarb nach einer Erkältung an einer Halsoperation. Er war immer für die Kinder da und hat öfter auch kleine Geschenke mitgebracht.
Josef war der nächst jüngere Bruder nach Johann und musste nun seine Stelle und Verantwortung übernehmen. Jetzt war er die größte Stütze für den Vater. Er half wo er konnte, auch finanziell und opferte sogar die Wochenenden, wenn Geld für die Familie zu verdienen war. Im Hause war Anna, die älteste Schwester, die Stütze des Vaters. Sie sorgte dort für alles und für jeden und zog die Kleinen wie eine Mutter auf, mit Geduld und Güte, Hilfe bekam sie noch von der Schwester Marie, die aber nach einem seelischen Schock nicht mehr allein lebensfähig war und bis zu ihrem Tod immer auffremde Hilfe angewiesen war. Zum Bruder Paul, der nur zwei Jahre älter war, bestand eine innige Beziehung. Es wurde zusammen gespielt und so mancher Streich oder Dummheit
ausgeheckt und ausgeführt. Die Schwester Elisabeth sollte der Mutter am ähnlichsten gewesen sein. Sie war still und zurückhaltend, wie die Mutter gewesen sein soll. Jedoch im geselligen Kreis hatte sie viel Humor und sang gerne. Die älteren Brüder waren Josef und Karl. Sie waren beide tüchtig und arbeiteten schon, als die kleinerengerade mal zur Schule gingen
Die Schulzeit in der Bukowina
1921 erfolgte die Einschulung Peters in die erste Volksschulklasse. Er ging gern zur Schule, war fleißig und lernwillig, was sich im ersten Zeugnis zeigte – nur Einser. So sollte es auch in den nächsten Jahren bleiben. Er lernte sehr schnell und hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Schon in der Volksschule mussten die Kinder die rumänische Sprache erlernen, was für eine deutsche Zunge nicht so leicht ist.
Der Schulweg war lang, 5 km, und im Winter bei der bitteren Kälte kamen die Schüler nach langem Fußmarsch in ein warmes Klassenzimmer mit einem mit Holz geheiztem Ziegelofen. Holz zum Heizen gab es genug. In den frühen Morgenstunden hatten die Kinder oft Angst vor den Hunden der Rumänen, die so zeitig noch frei liefen. Oft hörten sie die Wölfe heulen und mit Unbehagen dachte man an eine eventuelle Begegnung. Im Schnee waren manchmal Reste von gerissenem Wild zu sehen.
Zum Schulgebäude gehörten ein Garten, eine Wiese und Stallungen. Alles wurde vom Schulleiter bewirtschaftet und zur Hilfe zog er die Kinder heran. Dadurch erlernten sie nebenbei die Gartenarbeit und den Umgang mit Tieren. Die Kinder fühlten sich sehr wohl, so auch der kleine Peter. Sie bekamen eine gute schulische Erziehung. Sein Schulbesuch war regelmäßig und ohne Fehltage. Durch so manches Lob bekam er immer einen Ansporn zu noch besseren Leistungen. Er war fest entschlossen, auf eine weiterführende Schule, das Gymnasium in Kimpolung zu gehen. Inzwischen beherrschte er auch die rumänische Sprache schon recht gut.
1926 kam Peter auf das Gymnasium in Kimpolung. Seine Schwester Anna schulte ihn dort ein. Da ihr Rumänisch schlecht war, meinte der dortige Prüfer für die Aufnahme, wenn das des Bruders auch so schlecht sei, könne er gleich wieder gehen. Peter lehrte den Prüfer aber eines Besseren und wurde angenommen.
Für die Schüler aus Pozoritta und Luisenthal wurde ein Schulzug ins 10 km entfernte Kimpolung eingesetzt. Zum Bahnhof waren es aber immer 3 km. Ein besonderes Erlebnis war es, wenn sie auf der alten Dampflok vorn im Führerhaus mitfahren duften. Wenn er dann nachmittags 3 Uhr zu Hause war, lag ein langer Tag hinter ihm. Er hatte jedoch schnell alle Hausaufgaben erledigt und konnte so Vater im Garten, auf der Wiese und bei den Tieren helfen. Es gab Kühe, Schweine, Gänse, Enten und Hühner, natürlich auch eine Katze und einen Hund auf dem Hof. Auf dem Kartoffelfeld und im Sommer bei der Heuernte wurde jede helfende Hand gebraucht.
Nochmal zurück zur Schule. Sein gutes Gedächtnis und viele Übungen halfen ihm, sich bald gut in rumänisch ausdrücken zu können. Der Unterricht erfolgte in rumänischer Sprache. Gleich im ersten Jahr des Gymnasiums waren fünf Fremdsprachen im Stundenplan: Deutsch (galt als Fremdsprache), Französisch, Latein und Griechisch. Für ihn war ja Rumänisch nach wie vor eine Fremdsprache. Mit sehr viel Ehrgeiz, Fleiß und seinem guten Gedächtnis konnte er sich bald zu den besten Schülern emporarbeiten. Es war ein gutes, sauberes und gut organisiertes Gymnasium. Sieben Jahre ging er dort hin. Der Lehrer hat die Schüler zu guten Ergebnissen angespornt. Die Leistungen der Schüler wurden streng zensiert. Ohne vorherige Ankündigung wurden zufällig bestimmte Schüler mündlich geprüft und unangemeldet wurden Kurzteste geschrieben. Die Schüler mussten immer gut vorbeireitet sein.
Nach sieben Jahren konnte man sich zum Abitur stellen, das von fremden Lehrern unter dem Vorsitz eines Minister-Vertreters aus Bukarest abgenommen wurde. Peter bestand die Prüfung 1933 und war somit befähigt, ein Studium an einer Universität zu beginnen.
Freizeit außerhalb der Schule in der Bukowina
Sie waren Kinder und außer Schule und Hilfe auf dem Hof gab es auch Spielen, Stromern und Streiche. Die Freizeit verbrachte jeder nach seiner Laune. Mit Bruder Paul und den Nachbarjungen tummelten sie sich bei Sport und Spiel auf den großen Wiesen des Dorfes oder durchstreiften die Nadelwälder. Dumme Jungenstreiche hatten sie genug ausgeheckt. Oft holten sie sich in Nachbars Obstgarten saftige Äpfel und Birnen, obwohl im eigenen Garten selbige waren. Auch wenn die rumänischen Obstwagen kamen und die herrlichsten Früchte anboten, ergänzten sie auch gleichzeitig die Gaumenfreuden der Jungen.
Im Garten war ein Apfelbaum mit weitausladender Krone und vielen kleinen säuerlichen Äpfeln. Sie mussten sie pflücken und auflesen. In einem Fass wurden sie mit Quellwasser aus einer erfrischend schmeckenden Quelle hinter dem Haus übergossen und ergaben nach einer gewissen Zeit der Gärung einen wohlschmeckenden Most.
In einem großen Kupferkessel wurde jedes Jahr Pflaumenmus gekocht, das dann mit Milch oder Sahne und Maisbrei verzehrt wurde. Maisbrei (Mamaliga) wurde fast täglich gekocht. Er schmeckte zu allen Milch- und Fleischspeisen. Aber auch Maiskuchen schmeckte vorzüglich.
Im Winter wurde ein Schwein geschlachtet und beim Fleischessen musste man immer an die Tiere denken, die durch die tägliche Pflege und Fütterung, auch von den Kindern, allen ans Herz gewachsen waren. Peter erschien schon in frühester Jugend so ein „Schlachtfest” des Menschen unwürdig und veranlasste ihn Vegetarier zu werden.
Der tägliche Umgang mit den Haustieren hat seine Seele geprägt. Er lernte ihr Leben und Treiben kennen und er lernte sie zu lieben und als Mitgeschöpfe zu betrachten. Dieses Gefühl weitete er später auf die ganze Natur aus. Es gab aber nicht nur freudige, sondern auch traurige Erlebnisse mit den Tieren, z. B. wenn der treue Hund oder das Pferd starben.
Er hatte selber eigene Kaninchen, die er hegen und pflegen musste. Eines Morgens waren fünf von 6 tot gebissen – ein Iltis. Nur das stärkste männliche Kaninchen blieb am Leben. Als er sich in der darauffolgenden Nacht auch noch das letzte holen wollte, ging er in eine Falle. Nun waren sie alle tot – seine Kaninchen und der Iltis. Das stimmte ihn doppelt traurig.
Eine unschöne Sache war mit seinem Bienenstock, den er vom Taufpaten geschenkt bekam. Es war eine Freude zuzusehen, wie die Bienen mit ihren gelben Höschen fleißig in den Stock flogen und die Waben füllten. An einem schönen sonnigen Tag wollte er wieder dem Treiben seiner Bienen zusehen und fand viele tote Tiere – Ameisen und Bienen und es tummelten sich viele Ameise vor und im Stock. Er war sehr traurig darüber, dass sein Bienenvolk auf diese Art und Weise vernichtet wurde.
Ein besonderes einmaliges Erlebnis mit Tieren hatte er in seiner frühen Schulzeit mit einer Dohle, einer kleinen Krähenart. Es war Pfingsten, das Dorf schön geschmückt mit Maien und er selbst hatte große Freude – er bekam vom Vater die sich schon so lange gewünschten maßgefertigten Lederstiefeln mit hohen Schäften. Er traf sich mit seinem Nachbarsfreund, um eine Wanderung nach Luisenthal zu den Felsen zu unternehmen. Er wollte die Dohlen beim Brüten beobachten. Um es genauer zu sehen, kletterte er über einen Schutthang zu dem Loch in der Felswand, wo die Dohlen brüteten. Man darf ja kein Nest plündern, aber er holte zwei federlose Dohlen aus dem Nest und jeder der Jungen nahm einen Vogel mit nach Hause. Seine Schwestern waren darüber nicht erfreut, aber er wollte diese Dohle wie eine Mutter aufziehen. Das gelang mit Schafkäse und nach einigen Wochen war das Federkleid gut entwickelt und er war die Mutter für die Dohle. Überall hüpfte sie hinterher oder sie blieb auf seiner Schulter sitzen. Da Krähen kluge Vögel sind, versuchte er lustige Vorführungen einzuüben. Sie schaute immer in den Mund, wenn er offen war, und spielte Zahnarzt. Blätterte er in einem Buch, so schlug auch sie bald Seite für Seite mit dem Schnabel auf. Vom Federhalterkasten öffnete sie den Deckel und sortierte Federhalter und Bleistifte. Ein besonderes Auge hatte sie für die Stahlfedern. Sein „Hansi” saß auf dem Zaun und eine Frau hielt ihm ihren goldenen Ring vor die Nase. Die Dohle griff sofort zu und flog damit in ihr Lager. Die Frau bekam ihren Ring natürlich zurück. Ab und zu holte sie sich beim Nachbarn ein Ei und trank es aus. Im Nachbargarten stand ein großer Kirschbaum und es machte dem „Hansi” Spaß, auf Bitten der Kinder Kirschen für sie abzupflücken, wobei sie jeder fallenden Kirsche nachsah.
Auch auf dem Schulweg begleitete die Dohle, ihre „Mutter”, in dem sie von Baum zu Baum flog und sich vor der Schule auf einen Baum setzte und wartete, bis es nach dem Unterricht wieder nach Hause ging. Eines Tages flog sie in die Klasse und setzte sich der Lehrerin auf den Kopf. Als sie Peter sah, kam sie sofort zu ihm und er konnte der Klasse etwas über diese kluge Krähe erzählen. Das war sein erster Unterricht in einer Klasse. Die Freundschaft mit der Dohle wurde jäh beendet. Sein „Hansi” rastete am Zaun und schaffte es nicht sich zu verstecken oder Schutz beim Menschen zu suchen, als ein Habicht blitzschnell die Dohle ergriff und mit der Beute davonflog. Alle waren sehr traurig und besonders bei dem kleinen Peter hielt das Leid lange an. Er verlor einen Freund, von dem er bis ans Lebensende immer wieder erzählte.
Aus der Studentenzeit in der Bukowina
1934 wurde Peter Tanzel Student in Czernowitz, an der 1875 von Österreich durch den Kaiser gegründeten Universität, die allerdings nach dem 1. Weltkrieg 1918 an Rumänien überging, da Czernowitz rumänisch wurde. An der Universität lehrten rumänische und einige deutsche Professoren. Peter Tanzel schrieb sich für das Biologiestudium ein und studierte nebenbei Chemie und Erdkunde. Er hätte sehr gern Medizin in Klausenburg studiert, aber leider fehlten dazu die finanziellen Mittel. Es interessierten ihn sehr die medizinischen Fragen, die Wunder des menschlichen Körpers, die Funktion der Organe und ihr Zusammenspiel. Ein Leben lang war er auf die Erhaltung der Gesundheit bedacht. So wählte er mit der Biologie ein verwandtes Fach der Medizin und beschäftigte sich dort unter, anderem mit dem menschlichen Körper, der Chemie des Körpers, aber auch mit der Tier- und Pflanzenkunde, der Physiologie und der Hygiene.
In Czernowitz war das Leben nicht leicht und nicht billig. Die Gebühren für die Universität und das Wohnen waren teuer, die Finanzen stets knapp. Großer Dank seinerseits galt immer dem Vater, der trotz der 70 Jahre noch tätig war und ihn nach Kräften unterstützte wie auch seinem älteren Bruder Josef, der durch sein bescheidenes Leben so manchen Groschen der Familie und auch zu seinem Studium beisteuerte. Selber verdiente er sich gutes Geld durch Nachhilfe, schon in der Schülerzeit. Sein guter Lehrerfolg hatte sich herumgesprochen und er wurdeeinbegehrter Hauslehrer.
Mit viel Fleiß und zähem Willen brachte er die vier Studienjahre erfolgreich zu Ende. Anschließend widmete er sich der Pädagogik für das Lehramt an höheren Schulen, wofür die Studienseminare zuständig waren. Eine Zeit lang musste man dem Unterricht bei einem zugeteilten Professor beiwohnen, ehe man in Anwesenheit des Fachlehrers selbst unterrichten durfte. Es gab nur rumänische Seminare und so war die gute Beherrschung der rumänischen Sprache Voraussetzungfür den Unterrichtenden.
Einen Teil der pädagogischen Ausbildung konnte er bei seinem ehemaligen Biologieprofessor aus der Schülerzeit in Kimpolung ableisten, der den Referendaren mit sehr viel Wohlwollen gegenüber stand. Peter Tanzel bekam unter anderem den zusätzlichen Auftrag, die Materialien der Biologie zu ordnen und anschaulich zu gestalten, um die Unterrichtsobjekte leicht und schnell zur Verfügung zu haben.
Noch einige Worte zur Studentenzeit in Czernowitz. Sie war trotz aller Schwierigkeiten eine schöne und interessante Zeit. Die Stadt Czernowitz wurde von den Österreichern aufgebaut und entwickelte sich aus einem Ort mit Lehmhütten zu einer prächtigen Stadt, zur Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina. Auf Hügeln am Flusses Pruth gelegen mit vielen Parks und Grünanlagen durchsetzt, mit vielen eindrucksvollen öffentlichen Gebäuden beeindruckte diese Stadt die Besucher. Die Universität war in der Nähe der erzbischhöflichen Residenz. Sie war gut besucht, alle Fakultäten waren vertreten und die Studenten gehörten den verschiedenen Nationalitäten, die in Rumänien lebten, an.
Auch gab es einige Studentenverbindungen. Peter gehörte der deutsch-katholischen Studentenverbindung „Frankonia” an. Es gab häufig Versammlungen mit den „alten Herren”, wobei es mit Gesang und Fröhlichkeit immer feierlich zuging. Regelmäßig wurden von allen gemeinsam die Messen an Sonn- und Feiertagen besucht. Sie waren tüchtige Pfarrer und gute Prediger, besonders Pater Goebel, der auch eine deutsche Zeitung und einen Kalender herausgab. Alljährlich veranstaltete er im „Deutschen Haus” in Czernowitz ein Fest, bei dem die Röscher Schwaben mit ihren landwirtschaftlichen Produkten für das leibliche Wohl der Gäste sorgten. Gesang, Theater und verschiedene andere Darbietungen machten. Das Fest wurde immer zu einem eindrucksvollen Erlebnis. Den Erlös dieser Veranstaltung verwendete Pater Goebel für ein von ihm gegründetes Waisenhaus, in dem 40-50 Kinderein Zuhause hatten.
Pater Goebel war der Präsident der Studentenverbindung „Frankonia”. Er war eine stattliche Erscheinung, ein guter Prediger und bei den Deutschen und Rumänen gleichermaßen beliebt. Die Studenten lebten in bester Harmonie miteinander und hielten in Freud und Leid zusammen, besonders die deutschen Studenten. Fröhlichkeit, Witz und Spaß waren an der Tagesordnung, auch wenn die Taschen leer waren und der Magen manchmal knurrte. Das alles fand er sehr schön. Es half, das schwere Studium besser zu meistern. In Dankbarkeit erinnerte er sich gern der Professoren, die ihnen das Wissen beibrachten und sie die Studienzeit über begleiteten.
Aus der Soldatenzeit
Im Alter von 21 Jahren war man wehrpflichtig. Das war 1935, aber in dem Jahr war Peter Tanzel im Studium. Er bekam von den Behörden Aufschub, um es beenden zu können. 1939 erfolgte die Einberufung zum Militär, zu einem Artillerieregiment nach Roman. Als Akademiker wurde er zu einer Offiziersausbildung nach Craiova geschickt, wo er eine Aufnahmeprüfung erfolgreich absolvierte. Als man jedoch mitbekam, dass er kein Rumäne ist, wurde er in die Kaserne nach Roman zurückversetzt. Dort begann die Ausbildung mit viel Exerzier- und Schießübungen, Theorie fiel ihm sehr leicht. Ungewohnt war der Umgang mit Pferden, denn es war eine bespannte Artillerieabteilung. Schon früh um vier ging es in die Ställe zum Pferdeputzen. Wurde das nicht schnell und gründlich genug durchgeführt, wurden die Soldaten bei vorgeneigtem Oberkörper mit dem Stock geprügelt.
Peter war Akademiker und das wurde von den Rumänen geachtet. Er brauchte nicht so zeitig aufstehen und keine Pferde putzen. Er bekam andere ihm angemessene Aufgaben zugeteilt. Die Rekrutenzeit in Rumänien war eine harte Zeit, aber mit Diplomatie und kameradschaftlichem Auftreten ist er mit allen gut ausgekommen.
Bei Kriegsausbruch, dem Einmarsch in Polen 1939, wurden die Regimenter in verschiedenen Gegenden der Bukowina in Stellung gebracht, so auch die Soldaten aus der Kaserne in Roman. Er saß schon auf dem Pferd, abmarschbereit, wurde dann aber zurückbeordert in die Schreibstube. Er musste militärische Einheiten an Hand alter Bücher für die Front zusammenstellen.
Eines Tages aber musste auch er an die Front und kam zu einem sehr unfreundlichen Feldwebel, der nicht so gut auf die „Einjährigen”, zu denen Peter gehörte, zu sprechen war. Das musste er zum Glück nicht lange ertragen. Ein Oberleutnant suchte einen Sekretär für die Kasse der Einheit und die Wahl fiel dank der Schulbildung auf ihn. Er erledigte alle ihm zugewiesenen Arbeiten zur Zufriedenheit der Vorgesetzten. Mit einem ihm zur Hilfe zugeteilten Soldaten arbeitete er freundschaftlich zusammen.
Das Jahr 1940 brach an und der Krieg weitete sich aus. Nach dem Pakt zwischen Hitler und Stalin besetzten die Sowjets die Nordbukowina,. Die rumänischen Truppen mussten sich bis zu einer Grenzlinie zurückziehen. Da erinnerte er sich an die Worte seines Geographieprofessors aus dem Gymnasium in Kimpolung: „Jungen, Jungen, ihr wisst nicht, welche Zeit euch da erwartet. Aus der Nordbukowina wurden die Deutschen schon umgesiedelt ins deutsche Reich. In dieser Zeit erhielt er die Nachricht, dass auch in seinem Dorf die Umsiedlung erfolgen sollte. Er fertigte sich selbst die Entlassungsurkunde an, ein Oberleutnant unterschrieb sie ihm und damit war sein Dienst beim rumänischen Militär für immer beendet. Nun konnte er sich auf den Heimweg nach Pozoritta machen.
Als er sich für die Umsiedlung eintragen ließ, wurde er vom Leiter der Umsiedlung gebeten, bei dieser Aktion mitzuwirken. Es wurden Listen der Umsiedler aufgestellt, das übergebene Geld eingetragen und Gruppen für den Abtransport mit der Bahn zusammengestellt. Die Ungewissheit machte sich breit. Haus und Hof, die angestammte Heimat und die sichere Existenz aufzugeben, war besonders für die älteren Leute ein sehr schmerzlicher Vorgang. Die jüngeren hofften auf ein neues, besseres Leben in Deutschland. Die Umsiedlung der deutschen Volksgruppen aus dem Südosten Europas ins Reich kam überraschend. Schon bald waren die Gebiete Kriegsschauplätze.
Nachdem aus dem Dorf die meisten Deutschen weg waren, kam auch für ihn das Abschiednehmen. Er ging noch einmal durch das Dorf, in dem er geboren wurde, aufwuchs, die Kinder- und Jugendjahre verlebte. Tief atmete er die Luft der Karpaten, in der er das Glück hatte, auch mit dem Quellwasser hinterm Haus, aufgewachsen zu sein. Es schien, als wollten ihm die Häuser, die Bäume und die Berge ein Lebewohl sagen.
Voller Wehmut, aber auch mit Hoffnung auf eine gute Zukunft, verließ er die Heimat. Im Dezember 1940 verließ der letzte Transport mit 265 Umsiedlern mit ihm das Dorf. Viele junge Burschen, die jetzt mit weißen Tüchern winkend noch einmal auf das Dorf und die Berge zurück schauten, ahnten damals nicht, dass sie schon bald zu den Kriegsgefallenen Deutschlands gehören würden, zu den Opfern für das Vaterland, in dem sie ein neues, hoffnungsvolles Leben aufbauen wollten. Ihr Transport ging über Wien und Bruck an der Leitha nach Marienbad. Alle wurden im Halbmerhaus (ehemals jüdischer Besitz) einquartiert. Der evangelische Pfarrer Edmund Mohr und er halfen bei der Unterbringung mit. Es war nicht leicht, denn Familien und Nachbarn wollten gern zusammen bleiben. Zum Schluss bekamen sie beide vom Koch ein kleines Zimmer von acht Quadratmetern.
Durch das Lagerleben, das Massenleben, machte sich Unzufriedenheit unter den Lagerinsassen breit und das Zusammenleben verlief nicht ohne Konflikte. Aber nicht alle waren uneinsichtig und aggressiv. Es gab viele geduldige, einsichtige und zufriedene Lagerinsassen, die sich ihrem Schicksal, an dem sie nichts ändern konnten, ergaben. Peter fand sich im Lagerleben schnell zurecht und versuchte überall mit Wort und Tat in der Gemeinschaft zu helfen. In seinem Mitbewohner hatte er einen unterhaltsamen und vornehm denkenden Freund. Leider ist Pfarrer Mohr aus dem Krieg nicht zurückgekehrt.
Vom Lager aus streckte er seine Fühler aus, um die Ausbildung als Lehrer an höheren Schulen weiterzuführen, die teilweise in Rumänien schon abgeschlossen war. Er wollte sich für die Prüfung zum Lehrberuf an deutschen Schulen vorbereiten, um eine Stelle zu bekommen. So trat er als Studienreferendar in das Pädagogische Seminar für höhere Schulen in Eger ein, das er zwei Jahre lang besuchte. Das Lehrerkollegium, der Schulleiter und die zu unterrichtenden Mädchenklassen waren alle sehr freundlich und nett. Die Biologielehrerin der Schule unterstützte ihn sehr. Viele deutsche Ausdrücke und manches Neue musste er hinzulernen. Die Unterrichtsvorbereitungen im unruhigen Lagerleben waren nicht gerade leicht. Später fand er ein kleines Zimmer bei einem Kaufmann in Eger, was die Sache angenehmer machte. Lebensmittel gab es auf Marken. Die Familie DietI, bei der er wohnte, hatte verwandte Landwirte und so bekam auch er ab und an eine kleine Zusatzration.
Sein Schul- und Privatleben jener Zeit war ihm in bester Erinnerung geblieben. Er erfreute sich einer nicht geringen Wertschätzung und Beliebtheit, besonders bei den Mädchenklassen. In guter Erinnerung war bei ihm der Reitermajor Ritter von Bleyle, dessen Tochter in einer Klasse war. Durch sie wurde er zum Freund der Familie.
Die Seminarausbildung war beendet und der Abschied sollte bald kommen. Er musste die Assessorenprüfung ablegen. Dazu wurde er nach Berlin in die Schinkel-Schule einberufen und musste im Beisein des Ministerialrats Rothstein den Unterricht ausführen. Er bestand die Prüfung und bekam im Anschluss eine Assessorenstelle in Falkenau an der Eger. Dort war sein erster selbständiger Unterricht mit viel Freude in einer gemischten Klasse. Leider waren es nur einige Monate im Jahre 1942. Eines Tages brachte ihm ein Polizist die Einberufung zur Wehrmacht in die Klasse. Schweren Herzens nahm er Abschied von den Kollegen, den Jungen und Mädchen, um wieder das Leben eines Soldaten zu führen, um für Deutschland zu kämpfen.
Er kam zur schweren Artillerie nach Ansbach in die Hindenburgkaserne. Es war schwer und es wurde alles abverlangt nach dem Motto: „Je mehr Schweiß auf dem Übungsplatz fließt, desto weniger Blut wird an der Front vergossen.” Die anstrengenden Übungen wurden bei Schnee und Kälte durchgeführt. In voller Ausrüstung wurden 60 km marschiert, zwischendurch Übungen absolviert und Iglus gebaut. Es war eine notwendige Übung für den Kriegseinsatz, wo es noch schlimmer kommen sollte, wo es jeden Tag um Leben und Tod ging.
Nach monatelanger Ausbildung war ein Manöver in Hammelburg vorgesehen, um die Fronttauglichkeit zu beweisen. Hammelburg galt als einer der härtesten Truppenübungsplätze. Anfang Sommer 1943 ging es nach längerer Eisenbahnfahrt zum Fronteinsatz durch Partisanengebiet im Kaukasus. Hier gab es schwere Kämpfe mit den Sowjets, Er war bei den vorgeschobenen Beobachtern mit Fernrohr eingesetzt. Sie arbeiteten mit Landkarten, wo die Frontlinien der Russen und der Deutschen immer aktualisiert wurden, um sofort das Geschützfeuer auf die feindlichen Linien lenken zu können. Am 5. Juli 1943 wurde er bei einem Feuerüberfall seitens der Sowjets durch einen Granatsplitter am Unterschenkel verwundet. Nach Beendigung des Feuerüberfalls konnten alle den Geschützgraben verlassen und der untersuchende Arzt schickte ihn mit der Verletzung, die bis auf den Knochen ging, in die medizinische Zentralstelle hinter der Front. Mit mehren Verwundeten wurde er zum „Verbandsplatz” transportiert, was wegen der Tiefflieger nie ohne Risiko war. Der dortige Arzt empfahl das Ausmeißeln des Eisens aus dem Knochen, was Peter ablehnte, da er dadurch eine Eiterung des Knochens befürchtete. So wurde er zur Ausheilung für mehrere Wochen ins Wartheland gebracht.
Nach der Wiedergenesung empfahl Oberleutnant Balzer die Laufbahn als Offizier einzuschlagen. So wurde er für längere Zeit zu einem Reserveoffizierslehrgang nach Pilsen abkommandiert. Es wurde großes Gewicht auf das Reiten gelegt und die Führung hatte Reitmajor Ritter von Bleyle, den er schon aus Eger kannte. Sie waren beide überrascht und erfreut, sich wieder zu begegnen. Peter war nun wieder ab und zu Gast bei der Familie und sie plauderten stundenlang miteinander. Als Leiter des Pferdetransportes an die Ostfront erzählte der Reitermajor vom Ernst der dortigen Lage und vom harten Kampf der Soldaten. Bald musste .auch Peter wieder an die Front nach Russland; um seine Frontbewährung nachzuweisen. Sie wurden an gefährlichen Stellen eingesetzt. Er sollte dort der wichtigste Verbindungsmann zwischen deutschen und rumänischen Truppen sein, da er die rumänische Sprache gut beherrschte. Sonst war er mit anderen Kameraden zusammen vorgeschobener Beobachter. Lange Zeit war es im Kampfabschnitt relativ ruhig, bis es im August 1944 zum Großangriff der Sowjets kam. Er wurde einen Tag vorher zum Tross 30 km hinter der Front abkommandiert; wo er wegen seiner rumänischen Kenntnisse in der Schreibstube eingesetzt werden sollte. Dazu kam es aber nicht. Die Sowjets überrollten die Front. Seine Kameraden beim vorgeschobenen Beobachtungsposten bekamen einen Volltreffer und starben alle. Er dankte Gott, dass er ihm das Leben gerettet hatte.
Den Druck der Russen konnten die Deutschen nicht mehr standhalten und ein Teil wurde nach Süden abgedrängt. Die Truppen, wo auch Peter dabei war, kamen beim Rückzug nach Rumänien, das inzwischen den Pakt mit Hitler aufgelöst hatte und nun mit den Sowjets zusammenarbeitete. Seine Einheit musste sich durch Ortschaften Richtung Süden hindurchkämpfen, die von rumänischem Militär besetzt waren. Sie wurden dort immer wieder angegriffen. Sie wollten sich nach Bulgarien durchschlagen. Er musste mit drei Soldaten erkunden, wo sich die Rote Armee befand. In einem kleinen Dorf konnte er durch seine Sprachkenntnisse eine Familie beruhigen, sie brauchten keine Angst zu haben, und so die nötigen Informationen erhalten. Sie mussten sich beeilen, um zur Donau zu gelangen. Dann hieß es: „Rette sich wer kann” und jeder musste zusehen, wie er über die Donau kam, die dort schon sehr breit ist. Er gehörte zu den nicht so guten Schwimmern und so hatte er Sorge, wie er über den Fluss kommen sollte. Letzten Endes versammelte der Kommandant alle „Nichtschwimmer” und wollte sie an einem Strick am Auto über die Donau ziehen. Da die Strömung aber so stark war, dass die Soldaten und der Wagen abgetrieben wären, mussten die „Nichtschwimmer” loslassen und die 30 Meter zum Ufer zurückschwimmen. Nun war die Verzweiflung groß. Woher sollte die Rettung kommen? Wieder war die rumänische Sprache die Rettung. Man suchte einen Dolmetscher und Peter war der richtige Mann dafür. Man brachte ihn mit einem Boot auf die bulgarische Seite. Es ging um die Frage wann, wie und wo die übrigen Kameraden noch über die Donau kommen sollten. Das sollte übersetzt werden. Kurze Zeit darauf kamen sehr viele mit Booten, die den rumänischen Soldaten abgenommen wurden.
Ein bulgarischer Soldat bot Peter in einer Hütte eine Pritsche zum Schlafen an und endlich konnte er eine Nacht durchschlafen. Die Bulgaren waren den Deutschen sehr freundlich gesonnen. Das sollten sie immer und immer wieder erfahren. Ihnen wurden Pferdewagen zur Verfügung gestellt, um ins Landesinnere zu gelangen und die Bewohner in den Dörfern versorgten sie mit Weißbrot, Weintrauben und Melonen. Die Bulgaren unterrichteten sie über die Lage an der Front, aber es dauerte nicht mehr all zulange und die Sowjets marschierten auch in Bulgarien ein. Nun wussten sie: Es gab nur noch einen Weg – den in die Gefangenschaft.
Von Peter Tanzel zu Lebzeiten erstellt.