Familiendrama Umsiedlung

Katharina
Der letzte Winter vor der Umsiedlung aus dem Buchenland (Familienroman nach Erzählungen von Zeitzeugen)

Vorwort
In dem Land in dem Du lebst Stell dir vor, dein Haus und Grundstück befindet sich in einem Tal umgeben von Bergen, Wäldern und Gebirgsflüssen. Die üppige Natur bietet dir und deiner Familie einen schönen Lebensraum. Die Anpassung an die Natur macht aus dir einen bescheidenen und zufriedenen Menschen. Ohne Elektrizität und durch die Arbeit deiner Hände führst du in heimischer Nachbarschaft ein zufriedenes Leben. Du gehst deinen Lebensgewohnheiten nach und erfreust dich an den Bräuchen und Sitten deiner Landsleute und befreundeter Menschen anderer Herkunft. Die Menschen, die nicht deinen Glauben haben, bereichern dein Leben, denn du begegnest ihnen mit Respekt. Du vermisst nicht viel, obwohl du nicht reich bist. Mit Häuschen, einem Stück Land und eigenen Tieren versorgst du dich und deine Familie. Die Natur hilft dir dabei. Du fängst Forellen im Gebirgsbach hinter deinem Garten, deine Kinder pflücken Beeren und sammeln Pilze im Wald hinter dem Haus. Holz für den kalten Winter gibt es in Hülle und Fülle. Aufgrund deiner Fähigkeiten bist du in der Lage dein eigenes Brot zu backen und Vieles selbst herzustellen. Du kannst Weben, Nähen, Stricken und vielmehr. Du kaufst nur Dinge hinzu, die du nicht selbst herstellen kannst. Dein Geschick ist eine wichtige Lebensgrundlage.

Im Winter verbringst du die Abende mit Handarbeit in geselligen Stunden mit deinen Nachbarn. In lauen Sommerabenden sitzt du mit ihnen auf der Bank vor dem Haus und genießt den Sonnenuntergang und die „blauen“ Stunden. Es werden Geschichten erzählt, es wird gesungen und auch schon mal getanzt. Man geht mit den Hühnern schlafen und steht mit ihnen auf. Nur krank werden darfst du nicht, denn den Arzt musst du bezahlen, eine Versicherung gibt es nicht. Bei bedrohlichen Krankheiten musst du schon mal ein Schwein verkaufen, damit du den Doktor bezahlen kannst. Es stört dich wenig, dass in den Wäldern drum herum Bären und Wölfe leben. In den Städten sind die Menschen zwar gebildeter, aber nicht eingebildet. In ihren Häusern gibt es Strom, Zentralheizung und Haushaltsgeräte. In der Hauptstadt gibt es Straßenbahnen und eine deutschsprachige Universität, die Dichter und Denker hervorbringt. Die Juden haben sich der deutschen Kultur verschrieben. Czernowitz ist, wie die Bukowina, ein Mikrokosmos mit vielen Völkern und Kulturen. Der Unterschied zwischen den Städten und dem Ort, in dem du lebst, ist groß. Und trotzdem kommt kein Neid auf. Städter kommen zur Sommerfrische in dein Haus. In dem Land in dem du lebst hast du deinen Platz gefunden, eine Heimat. Nur besondere Ereignisse können dazu führen, dass du dir eine neue Heimat suchen musst.

Schon seit Kindestagen hat Katharina gelernt mit Veränderungen umzugehen. Sie ist eine pubertierende, moderne Jugendliche, die die Veränderungen erkennt und ihre Eltern, die rund um die Uhr arbeiten, wachzurütteln versucht. Es sind politische Ereignisse, die ihr Leben bestimmen und ein ganzes Land umwälzen. Ob sie die Kraft haben wird die Folgen zu überwinden, wird sich zeigen. Ob sie dabei auch Glück haben wird, wird sich ebenfalls zeigen. Mit welchen Schwierigkeiten der Verlust der Heimat verbunden sein kann, wird Katharina und ihre Familie am eigenen Leib erfahren.

So kann sich 1940 die Umsiedlung zugetragen haben. Auszug aus dem Roman „Katharina – der letzte Winter vor der Umsiedlung aus der Bukowina“

Im Laufe des Septembers 1940 stellt sich heraus, dass es zwischen Stalin und Ribbentropp, einem Hitlervertrauten, zu einer Umsiedlungsvereinbarung für alle Deutschen in der besetzten Nordbukowina kommen soll. Das soll nicht nur für die Deutschen in der Hauptstadt Czernowitz gelten, sondern auch für die umliegenden Orte.  Das löst bei Allen Konfusion aus. Willi und Dora, die Sommergäste aus Czernowitz können nicht zurück und wissen auch nicht, was sie nun machen sollen. Sie müssen damit rechnen, dass sich die jüdische Herkunft von Dora nicht verheimlichen lässt. Eine Trennung kommt für die beiden nicht in Frage. Die Deutschen im Süden der Bukowina fragen sich, ob sie die Nächsten sind?

Inzwischen sind die Sommergäste aus Bukarest abgereist. Katharina und ihre Mutter räumen das Sommerhaus aus, denn jetzt kann die Familie wieder in ihr Haus einziehen. Es wird auch Zeit, denn die Nächte sind kühler geworden. Katharinas Mutter hat Willi und Dora das Sommerhaus angeboten. Sie möchten aber bei Katharinas Tante bleiben.

Die Menschen versuchen wieder den Alltag einziehen zu lassen. Jetzt beginnt die Erntezeit und es steht viel Arbeit vor ihnen. Gemeinsam werden sie die Vorräte für den Winter anlegen. Katharinas Mutter geht es seit einigen Tagen gar nicht gut. Sie ist traurig und grübelt viel. Sie denkt wohl daran, was jetzt alles geschehen kann. Trotzdem machen sie in ihrem alten Trott weiter. Die nächste Zeit vergeht ohne neue Informationen, bis im Oktober das Gerücht gestreut wird, dass sich auch die Deutschen aus der Südbukowina der Umsiedlung der Nordbukowina anschließen sollen.  Man spricht davon, dass Hitler die deutschen Bewohner heim ins Reich holen will. Diese Botschaft löst bei Willi und Dora Panik aus. »Das ist das Schlimmste, was passieren kann«, sagen die beiden, denn inzwischen ist bekannt, wie Nazideutschland mit den Juden umgeht. Sie haben von den angezündeten Synagogen und den Enteignungen der Juden und den Bücherverbrennungen gehört. Willi und Dora sind nicht in der Lage mit uns darüber zu sprechen. Sie ziehen sich ganz zurück. Entweder sind sie in ihrem Zimmer oder sie gehen in den Wald. Sie sind anscheinend so verzweifelt, dass alle Angst haben, dass sie sich etwas Schlimmes antun können. Wenn sie die Beiden beim Essen sehen, stellen sie fest wie sie leiden. Die schlaflosen Nächte zermürben sie. Aber was können sie tun? »Meine Eltern haben anscheinend noch nicht begriffen, was die neuen Nachrichten für uns bedeuten. Was soll aus den Deutschen im Süden der Bukowina werden?«, fällt Katharina ein. Hinter vorgehaltener Hand spricht man sogar davon, dass die Russen in den Süden der Bukowina vorrücken wollen.

Im Oktober ist es amtlich. In einem Abkommen zwischen Deutschland und Rumänien wurde vereinbart, dass auch die Deutschen aus Südbukowina umgesiedelt werden. Ein freiwilliger Zwang. Die Umsiedler sollen entschädigt werden und erhalten neues Eigentum. Ohne Hauptstadt Czernowitz können sich die Deutschen die Bukowina auch nicht vorstellen. Diese Botschaft löst bei Katharina und ihrer Familie Kopflosigkeit aus. Katharina hat ihre Arbeit aufgegeben, weil sie jetzt dringend zu Hause benötigt wird, denn man will trotzdem das Gemüse aus dem Garten ernten und winterfest machen. Katharina fragt ihre Mutter: »Lohnt sich das noch?«. Ihre Mutter will sich nicht davon abbringen lassen die Ernte einzubringen und kümmert sich weiter um das Vieh. »Mama, hast du nicht mitbekommen, was alles erzählt wird!«, spricht Katharina ihre Mutter eines Tages an. »Aber ja Kind, wir sehen doch jeden Tag wie Willi und Dora leiden. Bisher habe ich geglaubt, das gilt nur für den Norden«, antwortet ihre Mutter. Katharina hat den Eindruck, dass ihre Mutter alles verdrängt. Sie hofft natürlich, dass sie selbst irgendwann ein viel besseres Leben führen kann.

Es dauert nicht lange, bis die ersten Reichsdeutschen im Ort eintreffen. Sie gehören der SS an, weil Hitler Himmler mit der Umsiedlung der Volksdeutschen beauftragt hat. Es wird eine Umsiedlungskommission gebildet, der auch Einheimische angehören. »Siehst du Mama, jetzt wird es ernst!«, wirft Katharina ihrer Mutter an den Kopf. »Hör nur auf, wir haben noch viel zu tun«, ist ihre verzweifelte Antwort. Im Dorf gibt es inzwischen kein anderes Thema als die Umsiedlung. Es strömen immer mehr reichsdeutsche SS-Offiziere ein, die in größeren Orten Aussiedlungsstäbe einrichten und für die deutschen Bürger im Land Verwaltungsaufgaben übernehmen. Sie sind gut organisiert. Es geht alles sehr schnell.

Jetzt müssen sich die deutschen Dorfbewohner mit den Gedanken der Umsiedlung auseinandersetzen. Täglich prasseln neue Hiobsbotschaften auf die Menschen ein.  Mal heißt es, im Süden kann man mehr Sachen mitnehmen als in der Nordbukowina, mal sagt man, dass es nicht stimmt. Im Norden können die Umsiedler nur 50 kg Handgepäck mitnehmen. Auch heißt es, jeder Umsiedler wird in Deutschland voll entschädigt.

Katharinas Mutter sagt nur: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir alles, wofür wir ein Leben lang gearbeitet haben, liegen und stehen lassen sollen«. Katharina hat zu diesen Dingen keine so enge Bindung. »Wichtig ist doch, dass es uns irgendwann besser geht, als hier. Ihr habt doch mitbekommen, dass wir nichts mehr zu sagen haben«, gibt Katharina zum Besten. Ihr Vater kann sich nun gar nichts vorstellen. Er weiß nicht wie es mit dem Steinbruch weitergehen soll. »Wie stellen die sich das vor? Soll ich die Arbeiter nach Hause schicken? Und wo soll ich den Sprengstoff lassen?«. Fragen über Fragen fallen ihm ein. Sein jüdischer Arbeitgeber kümmert sich jetzt nicht mehr um den Steinbruch. »Vielleicht ist er schon zu den Russen übergegangen?«, kommentiert er ironisch. Seine Frau wirft ein: »Wir müssen auf jeden Fall noch unsere Schulden beim jüdischen Kaufmann bezahlen!«.

Halbherzig bringen sie nun doch noch die Ernte ein. Wer weiß, wer weiß, lautet die Devise. Sie schlachten sogar ein Schwein und einige Gänse. Das Gänsefleisch wird gebraten und mit samt dem Fett in Steinkrügen haltbar gemacht. »Man kann nie wissen, was noch auf uns zukommt?«, gibt resigniert Katharinas Mutter von sich.  Willi und Dora helfen kräftig mit. Zum einen wissen sie nichts mit der Zeit anzufangen und zum anderen wissen sie auch nicht was aus ihnen wird.  Aus Czernowitz hört man nur, dass die Deutschen nach Deutschland umgesiedelt werden. Auch die Verwandten von Katharina. Von Tag zu Tag werden hier im Süden die Umsiedlungsgedanken konkreter. Für den rumänischen Staat wird in einer gemischten Kommission das Vermögen der Deutschen dokumentiert, das der Staat an Nazideutschland bezahlen soll. In Czernowitz gehört nach dem Einmarsch der sowjetischen Soldaten den Bewohnern sowieso nichts mehr. Alles wurde zu Volkseigentum erklärt. Auch Willi und Dora haben auf diese Weise ihr Haus und das Geschäft verloren. Diese ungeheuerlichen Vorgänge kann man mit normalem Menschenverstand nicht begreifen. Inzwischen sind die Tage kürzer geworden. Lange Schatten bringen Kälte in das Tal. Wenn Katharina zu Haus nicht gebraucht wird, ist sie mit Viorel und Rosanah zusammen. Ihre kleineren Geschwister begreifen diese Situation sowieso nicht. Sie freuen sich schon auf die Eisenbahnfahrt.

Jetzt werden die deutschen Bewohner des Ortes von den SS-Angehörigen und den Sicherheitsbehörden überprüft. Ihre deutsche Zugehörigkeit und Lebensweise wird kontrolliert, weil sie im deutschen Reich eingebürgert werden sollen. Bei sogenannten Mischehen zeigt sich die Kommission großzügig. Viele persönliche Merkmahle, wie Körpergroße und Augen- und Haarfarbe, spielen schon hier eine Rolle. Als Katharina nach Hause kommt, berichtet sie: »Ich habe gehört, dass wir Ende Oktober bis Anfang Dezember mit der Bahn ausreisen sollen. In Czernowitz stehen bereits die Züge für die Umsiedlung bereit«. Diese Botschaft ist zu Hause wie eine Bombe eingeschlagen. Jetzt heißt es, das Gepäck für die Umsiedlung vorzubereiten.

Aufgeregt treffen die Deutschen im Dorf zusammen. Sie wissen nicht was sie machen sollen und verfallen in Hektik und Apathie. Die rumänische Bevölkerung kann das Ganze nicht fassen. Die schönen Häuser und Grundstücke der Deutschen bleiben zurück. Für ihr Vermögen und die vielen schönen Einrichtungsgegenstände bekommen die deutschen Dorfbewohner jetzt sowieso nichts mehr. Sie können es entweder stehen lassen oder verschenken.

Auffallend ist, dass auch Rosanah und Viorel nicht mehr häufig vorbeischauen. Katharina ist mit ihren 17 Jahren zwischen Viorel und den Erwartungen der Ausreise hin und her gerissen. Zwischen Katharina und Viorel hat sich so etwas wie Zuneigung entwickelt. Sie unternehmen viel gemeinsam und sprechen auch über die neue Situation. Auch Viorel und Rosanah können sich nicht vorstellen, dass Katharina eines Tages nicht mehr hier sein wird. Wenn Katharina spät nach Hause kommt, fragt ihre Mutter: »Warst du wieder bei Viorel?«. Wenn ihre kleinen Geschwister das mitbekommen, fragen sie: »Wann kommt Viorel mit seinen Pferden vorbei?« Im Herbst hat er mit einem Pferd den Garten gepflügt. Ihre Eltern hätten das Umgraben in diesem Jahr nicht geschafft.

Die langen Abende sind eigentlich die Zeit für gemeinsame Hausarbeiten in den Häusern. In diesem Jahr ist alles anders. Sie treffen sich, sie arbeiten aber nicht mehr zusammen. Aufgeregt wird immer wieder über die Umsiedlung gesprochen. Als eines Abends der Bürgermeister vorbeischaut, fragt ihn Katharinas Vater: »Wer ist eigentlich dieser Hitler, von dem jetzt alle sprechen?« »In Deutschland laufen sie ihm hinterher«, antwortet er und fährt fort: »Deutschland ist stark geworden. Nachdem Deutschland vor einem Jahr Polen und die Tschechei eingenommen hat, haben sie alle Angst. Vor Monaten hat er Frankreich besetzt. Rumänien versucht mit Nazideutschland und Italien gut auszukommen und hat deswegen dem Umsiedlungsvertrag zugestimmt«. »Warum macht Rumänien das nur?«, fragt Katharinas Vater. »Wir haben Angst überfallen zu werden. Hitler erwartet für euer Vermögen von uns Rohstofflieferungen«. Katharinas Mutter, die dabei ist, fragt: »Was will er alles für unsere Häuser haben?«. »Vor allem Petroleum und Öl für seinen Krieg«, ist seine Antwort. »Und dort sollen wir jetzt hin?«, mischt sich Katharina ein: »Wenn es stimmt, was die Nazis mit den Juden machen, ist das ein großes Verbrechen!«. Bei Zusammenkünften mit Nachbarn gibt es am nächsten Tag viel zu besprechen. 

»Mama, wie machen wir das mit meinen Geschwistern?«, hinterfragt Katharina. »Die nehmen ihre kleinen Rucksäcke und etwas Spielzeug mit und dann sehen wir was daraus wird. Ich mach mir Sorgen, wie das mit dem Schlafen wird?«, antwortet die Mutter. »Wir werden in einer Kiste unseren Hausrat und Bettwäsche einpacken. Ich hab gedacht, dass wir zwei Steintöpfe mit den eingelegten Gänsen mitnehmen, obwohl ich hoffe, dass wir unterwegs mit Essen versorgt werden«. Und so geht es den ganzen Abend, obwohl sich niemand vorstellen kann, wie alles wirklich ablaufen wird. Die Fragen, wo sie unterkommen und was sie wieder bekommen werden, bleiben unbeantwortet. Die deutschen Bewohner im Dorf haben Fragen über Fragen, die ihnen niemand beantworten kann. »Wie machen wir es mit den Haustüren, wem übergeben wir das Haus und was machen wir mit den Tieren?«, fragen sie. Da mischt sich Katharinas Mutter ein: »Weil Willi und Dora hier bleiben, können wir ihnen sagen, was sie machen sollen. Den Schlüssel vom Hauseingang werde ich noch finden«. Ein schwacher Trost. »Wir müssen noch unbedingt mit ihnen darüber sprechen«, fügt Katharina hinzu. Bevor ich es vergesse, sagt Katharina: »Viorel wird uns mit dem Pferdewagen zum Bahnhof bringen«. »Das möchte ich nicht!«, kommt es trotzig von ihrer Mutter.

Während sie Tag und Nacht grübeln, arbeitet die Umsiedlungskommissionen mit Hochdruck an ihren Plänen. Es treffen immer wieder neue Informationen ein, die sie beachten müssen. Die Kommission erstellt lange Namenslisten und arbeitet Fahrpläne aus. Katharinas Familie fällt auf, dass die Ansprechpartner in der Kommission höflich und korrekt auftreten, was sie als Deutsche von den rumänischen Beamten nicht sagen können. Da es nur noch drei Wochen bis zur Umsiedlung sind, besucht sie heute wieder der Bürgermeister. Sie haben viele Fragen und vor allen Dingen geht es um den Verbleib von Willi und Dora. Nach den vielen aufregenden Tagen freuen sie sich auf den Besuch. »Herr Bürgermeister, es ist schön, dass sie uns in dieser Zeit besuchen«, empfängt ihn Katharinas Mutter. Willi und Dora, Katharinas Vater, Katharina und ihr großer Bruder nehmen an dem Gespräch teil. Katharinas kleinen Geschwister haben sie in die Betten  geschickt. Aber sicher werden sie hinter der Tür horchen. »Darf ich ihnen unsere Bekannten Willi und Dora aus Czernowitz vorstellen. Die beiden waren bei uns zur Sommerfrische und wollen nicht mehr zurück. Die Russen wohnen in ihrem Haus und regieren mit harter Hand. Sie können sich vorstellen, was dort los ist?«, lenkt ihr Vater ein, während die Beiden mit steinernen Gesichtern Platz genommen haben. Katharina ergänzt gleich: »Sie wollen auch nicht mit uns umsiedeln, sie möchten hier bleiben«. »Das sollte kein großes Problem sein, von den vielen Deutschen bleiben einige aus familiären Gründen zurück«, antwortet der Bürgermeister auf Katharinas Hinweis. Man sieht Beiden die Erleichterung an. »Herr Bürgermeister, wir wollen sie mit unseren Fragen nicht überhäufen, obwohl wir gern wissen möchten, was mit unserem Haus und den Tieren wird?«, mischt sich Katharinas Mutter ein. »Liebe Frau, das Vermögen der Umsiedler geht an den rumänischen Staat und wir in den Verwaltungen müssen damit fertig werden«, antwortet er. »Das rumänische Militär wird uns dabei unterstützen und zum Beispiel die Tiere abholen. Sie brauchen sich keine Sorgen machen!«, beruhigt er die Anwesenden. »Wer in die zurückgelassenen Häuser einziehen wird, steht noch nicht fest. Die Regierung wird aber Statuten für die rumänischen Bürger erstellen. Schließlich bekommt Rumänien auch eine Rechnung von der deutschen Regierung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat etwas zu verschenken hat«, ergänzt er seine vorangegangen Worte. Geduldig beantwortet der Bürgermeister noch diese und jene Frage, während Willi und Dora gespannt zuhören.  Schließlich geht man zum gemütlichen Teil über und erzählt nach einigen Schnäpsen alte Geschichten. Mit rumänischer Gelassenheit verabschiedet sich der Bürgermeister zu später Stunde. Er hinterlässt eine aufgewühlte Gesellschaft, die in der folgenden Nacht keine Auge zubekommt. Katharina muss zum Schluss noch ihre Meinung zum Besuch des Bürgermeisters kundtun: »Merkt ihr nicht, dass er froh ist, dass er die Deutschen los wird, weil sie sich ihre Lebensweise erhalten haben«. Aber Kind: »Der Bürgermeister ist doch ein netter Mann«, antwortet ihre Mutter darauf. »Man kann nicht alle über einen Kamm scheren«, ergänzt ihr Vater. 

Am nächsten Tag gehen die Gespräche und Besuche im Dorf weiter. Sie verabschieden sich von ihren rumänischen Freunden und Bekannten und sind der Hoffnung, dass die Familien irgendwie zusammenbleiben werden. Von Hitler und Nazideutschland weiß man immer noch nicht viel, obwohl jetzt in den Räumen der Kommissionen Hakenkreuzfahnen und Hitlerbilder hängen. Das einzige was die Menschen hier wissen ist, dass Deutschland vor drei Monaten 1000 Deutsche aus der Bukowina zum Studieren ins Reich geholt hat. Unter vorgehaltener Hand sagt man, dass die meisten bei der SS gelandet sind. Spätestens hier trennen sich unter den Umsiedlern die Geister. Die meisten Älteren sind misstrauisch und traurig. Andere sind schon zu den Nazis übergegangen. Die jungen Menschen, wie Katharina, sehen eine Chance in dieser Aktion. Irgendwie schließt sich der Kreis der deutschen Bewohner. Sie gehen wieder dort hin, wo sie mal hergekommen sind, nach Deutschland.

Katharina ist in den letzten Tagen abgetaucht und hält sich viel bei Viorel und Rosanah auf. Ihrer Mutter gefällt das nicht. Zwei Wochen vor der Umsiedlung erfahren sie die Termine. Mit drei Zügen sollen sie gemeinsam mit den Deutschen aus Luisenthal abreisen. Am 1.11., am 15.11. und am 1.12.1940. »Mama, wir müssen jetzt packen!«, kommt es aufgeregt von Katharina. »Ich weiß nicht was wir zuerst und zuletzt einpacken sollen?«, antwortet ihre Mutter. »Wir nehmen die große Truhe vom Speicher mit, hier passt viel rein«, fällt Katharina ein. Als Katharinas Vater nach Hause kommt, versucht er die beiden Frauen zu beruhigen: »Wir machen eine Aufstellung, um zu sehen was zusammenkommt«. An diesem Abend kommt nicht mehr viel zustande. Am nächsten Tag setzten sich die beiden Frauen hin und erstellen eine Liste. »Wie wollen wir das alles mitbekommen«, stellen sie schnell fest. Als Katharinas Vater die Liste sieht, sagt er: »Das geht nicht. Wir gehen zur Umsiedlungskommission und hören was sie sagt?«. In den nächsten Tagen gehen sie wieder zur Umsiedlungskommission. Im Deutschen Haus geht man nicht auf ihre Fragen ein. Hier erwartet man nur vollständige Unterlagen für die Umsiedlung. Nun sind sie ganz durcheinander. Zuhause angekommen kramt die Familie in den Schubfächern nach Geburts- und Heiratsurkunden. »Wir müssen unbedingt noch zum Pfarrer und ins Gemeindebüro. Uns fehlen Unterlagen«, stellt Katharinas Mutter entsetzt fest. In den nächsten Tagen sind sie auf den Ämtern. Hier müssen sie Schlange stehen. Vom Pfarrer bekommen sie fehlende Heirats- und Geburtsurkunden. Über alles was der Pfarrer über die ausreisenden Familienmitglieder in seinen Büchern hat, stellt er Dokumente aus. In der Zwischenzeit fangen sie an zu packen. Wenn sie mit anderen Leuten sprechen, kommen sie zu keinem Ergebnis. »Wir müssen uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren«, stellt sich Katharinas Vater vor. Aber was ist wichtig? »Kleidung, Wäsche, Bettzeug sind auf jeden Fall wichtig«, stellt Katharinas Mutter fest und ergänzt gleich: »Ich möchte auch Erinnerungstücke wie Bilder und Hochzeitsgeschenke mitnehmen«. Bald stellen sie traurig fest, das viele Schätze zurückbleiben. Katharinas Eltern haben für sich und die Kinder einen Koffer, eine große Holzkiste, eine Truhe und mehrere Rucksäcke vollgestopft. „Dann leihe ich mir für meine Sachen einen Koffer von Viorel“, stellt Katharina fest. Dabei bedenkt sie nicht, dass sie ihm den Koffer nicht zurückgeben kann.

Eines Tages erscheinen zwei Beamte zur Aufnahme des Vermögens. Entsetzt ist die Familie, als sie einen Zettel in die Hand gedrückt bekommt, auf dem steht neben der Anschrift der Eigentümer: „Ein Haus mit Stall, eine Sommerküche, eine Werkstatt. Alles mit Inventar. Ein Grundstück mit Zweitausend Quadratmeter Fläche“. Auf die Frage von Katharinas Vater: »Es fehlen noch die Tiere und andere Sachen», sagt man ihm: »Das ist nicht unsere Aufgabe». Ironisch weist Katharina daraufhin: »Die Kühe stehen noch auf der Weide«. Sie gehen abwechselnd zur Umsiedlungskommission ins Deutsche Haus. Schon vor dem Haus warten Menschen. Sie spüren, dass die Berater hinter den Tischen überfordert sind. An die Hitlerbilder und Plakate in den Räumen können sie sich nicht gewöhnen. Als die Familie auf dem Weg zur Umsiedlungskommission am Haus von Oskar Vogel vorbei kommt, geht das Fenster auf und Maria Vogel ruft sie hinein: „Kommt rein, ich habe etwas Schönes für euch“. Sie gehen rein. Im Haus riecht es nach frischen Krautbuchteln. So ist es hier, du gehst irgendwo vorbei und wirst zum Essen in ein Haus gerufen. Jetzt wo sie auch hier über die Umsiedlung sprechen denkt Katharina wehmütig an ihre Kindheit: »Es ist schön hier. Ich werde viel vermissen. Ich werde mich an vieles erinnern«.

In Etappen erhalten die Ausreisenden jetzt ihre offiziellen Papiere. Jeder erhält einen Umsiedlungsausweis, den er sich an einem Band um den Hals hängen soll. Da es nach dem Alphabet geht werden Katharina und ihre Familie mit dem letzten Zug fahren. Die Deutschen sind so weit von der Wirklichkeit entfernt, dass sie alles nur für einen Traum halten. Trotzdem müssen sie noch viel erledigen. Da Katharina und ihre Familie erst mit dem letzten Transport ausreisen, sind sie mit vielen anderen bei der Verabschiedung des ersten Transports dabei. Was sie hier sehen verschlägt ihnen den Atem. Schon Stunden vor der Abreise steht ein mit Fahnen und Girlanden geschmückter Personenzug auf dem Bahnhof. Die Menschen sind kopf- und sprachlos. Mit Pferdefuhrwerken und Handwagen schleppen die Umsiedler ihr Gepäck heran. Bis auf das Handgepäck, dass sie unter den Sitzen oder in Gepäcknetzen verstauen, werden Kisten und Bündel in den Gepäckwaggons untergebracht. Einige nehmen sogar Möbelstücke mit. Jede Person soll einen Sitzplatz erhalten und Familien sollen zusammenbleiben, heißt es. Es gibt Menschen, die schon sehr früh erscheinen, es gibt aber auch Menschen, denen man den schweren Abschied anmerkt. Es gibt unzählige Abschiedsszenen und es fließen Tränen. Die Rumänen stehen an den Seitenrändern und sehen sich das Schauspiel an. Manche haben ebenfalls Tränen in den Augen und manche sind vielleicht froh, dass sie die Deutschen los sind. Das gleiche findet auch auf deutscher Seite statt. Katharinas Familie erlebt mit, wie eine Nachbarfamilie auf ihren Vater wartet, der sich nicht von seinem Haus trennen kann. Vor dem Haus liegen die neuen Schindeln für das Dach. Anderswo schreien Kinder, weil sie ihre Eltern verloren haben. Bei einigen Hundert Abreisenden dauert es lange, bis es ruhiger wird. Es geschehen eigenartige Dinge. Väter brechen Zaunlatten von angrenzenden Zäunen, um für ihre Kinder Liegeflächen zwischen den Holzbänken im Waggon zu schaffen. Um 20:00 Uhr beginnt die Kontrolle der Kommissionsbevollmächtigten. Die Personen und die Papiere werden genauestens überprüft. Als um 22:00 Uhr der Zug abfahren soll, ist der fehlende Vater der Nachbarin immer noch nicht im Zug. Die Familie schickt ihre älteste Tochter zum Nachsehen.  Nach einer halben Stunde kommt sie aufgelöst und weinend zum Zug und erzählt aufgeregt ihrer Mutter: »Tata wollte mitkommen. Als er die Hoftür zugemacht hat und sich zum Haus umdreht, fällt er plötzlich um«. Die herbeigeeilten Nachbarn stellen fest, dass er ohnmächtig geworden ist. Die Familie muss nun ohne ihren Vater abreisen. Er wird nach Kimpolung in das Krankenhaus gebracht. Später erfahren sie, dass er einen Herzinfarkt erlitten hat. Die Familie wird ihn nicht wieder sehen. Nach diesem Drama verlassen die meisten Menschen den Bahnhof. Insassen des Zuges, die das schreckliche Geschehen nicht mitbekommen haben, winken aus den Fenstern und wundern sich über die zaghafte Erwiderung. Da es inzwischen dunkel geworden ist, entschließen sich Katharina und Familie den Nachhauseweg anzutreten. Statt Erleichterung erleben sie wieder eine unruhige Nacht. Zu Hause sitzen sie auf gepackten Koffern und wissen nicht, wo die Reise hingeht.

Die nächsten Tage sind für alle Beteiligten ein Martyrium. Sie erleben diese Tage wie in Trance. Auch Katharinas Vater hat sich inzwischen mit der Situation abgefunden und im Steinbruch, bis auf das Wachpersonal, die Arbeiter nach Hause geschickt. Auch die rumänischen Arbeiter. Die Sprengkapseln und die Zündschnüre hat er im Bunker im Steinbruch eingeschlossen. Da sich viel Reisegepäck angesammelt hat, ist Katharinas Mutter damit einverstanden, dass Viorel sie mit seinem Pferdegespann zum Bahnhof bringt. Die Zeit des Abschiednehmens rückt näher. Einen Vorgeschmack davon haben sie bereits mitbekommen. Die nächsten Tage vergehen wie im Fluge. Die Treffen und Abschiede von Bekannten und Freunden bestimmen ihren Zeitplan.

Bei der Verabschiedung des zweiten Transports sind sie nicht dabei, weil sie sich das Grauen nicht ansehen möchten. Sie bekommen es nur als Dorfgespräch mit. Katharina stellt auf dem Weg zu Viorel fest, dass an den Zäunen in Bahnhofsnähe weitere Zaunlatten fehlen. Sie denkt sich dabei: »Wenn unser Transport abfährt, werden die Zäune keine Latten mehr haben. Die Väter werden sie zum Bettenbauen zwischen den Zugbänken für ihre Kinder abgerissen haben«. Auch die Familie von Viorel und Rosanah ist jetzt ganz aufgewühlt, stellt Katharina bei ihrem Besuch fest. Um Katharina abzulenken, spannt Viorel die Pferde vor den Wagen und fährt mit ihr davon. Wo sie hinfahren weiß niemand. Nach Stunden kommen sie wieder. Diese Fahrten finden in den letzten Tagen häufiger statt. Ihrer Familie fällt das nicht auf, weil sie mit ihren Sorgen nicht fertig wird. Die Umsiedler fragen sich immer wieder, wo kommen sie hin und was wird mit ihnen geschehen? Jetzt können sie gar nicht mehr schlafen, auch Katharina nicht.


Am 1.12. fährt Viorel mit dem Wagen und seinen Pferden vor. Sie haben soviel Gepäck, dass sie es mit dem Handwagen nicht mitbekommen hätten. Auch das Gepäck ihres Onkels laden sie auf. Am Bahnhof laden sie im großen Durcheinander die großen Gepäckstücke in den Gepäckwagen des mit Girlanden und Fahnen geschmückten Zuges. Katharina und ihre Familie suchen sich Sitzplätze im Personenzug. Ihr Vater macht das was die meisten Väter machen, er bringt einige Zaunlatten mit in den Waggon. In den Gepäcknetzen verstauen sie ihr Handgepäck. Damit bis zur Abreise niemand ihre Plätze belegt, passen die Kinder darauf auf. Katharinas kleinen Geschwister möchten am liebsten nicht mehr aus dem Zug aussteigen. Vielleicht ist das auch besser so, weil sie dann nicht verloren gehen. Während Katharinas Eltern noch einmal nach Hause gehen, um in Ruhe Abschied zu nehmen, fährt Katharina mit Viorel davon. Punkt 20:00 Uhr sind alle, bis auf Katharina, am Zug. Sie haben ihre Umsiedlungspässe um den Hals hängen und ihre Papiere bei der Hand.  Als im Zug die Kontrolle beginnt, ist Katharina immer noch nicht da. Ihre Eltern sind zornig. Erst dreißig Minuten vor der Abfahrt trifft Katharina am Zug ein und muss sich eine Ermahnung von den Kontrolleuren gefallen lassen. Während bei der Abfahrt Katharina und ihre Geschwister fröhlich aus den Fenstern winken, sitzen ihre Eltern, wie alle älteren Mitreisenden, trübsinnig und versteinert auf ihren Plätzen. Endlich fährt der Zug mit der pfeifenden und schnaubenden Dampflokomotive ab. Den Steinkrug mit dem gebratenen Gänsefleisch, das Brot, die Getränke und anderes Essbares haben ihre Eltern, wie alle Mitreisenden, unter den Holzbänken des Zuges verstaut. Nach anfänglichem Getuschel sitzen sie nun still und müde da. Katharinas Vater holt jetzt die Zaunlauten hervor und baut für die Kinder das Nachtlager auf. Zwei gegenüberliegende Bänke haben sie für die Kleinen reserviert. Auf den Zaunbrettern zwischen den Zugbänken und Decken legen sich die Kinder hin, obwohl an Einschlafen nicht zu denken ist. Niemand hat ein Auge zugetan, als der Zug auf einem Bahnhof in Ungarn hält. In zwei Stunden werden sie so gut es geht mit Essen und Getränken versorgt. Schwestern des Roten Kreuzes kümmern sich um die älteren und kranken Mitreisenden. »Seht ihr, in der Bukowina hat sich niemand um uns gekümmert«, kann sich Katharina nicht verkneifen. Stattdessen fragt ihre Mutter: »Wo warst du so lange. Wir haben schon gedacht du willst bei Viorel bleiben?«. »Nein, Viorel und ich wollen aber in Kontakt bleiben und uns schreiben«, ist ihre Antwort. »Na ja, mal sehen?«, sagt ihr Vater dazu. Ihre Geschwister sind immer noch ganz aufgedreht. »Heute Nacht werden die Kinder bestimmt einschlafen«, vermutet besorgt ihre Mutter. Inzwischen ist durchgedrungen, dass ihr Transport nach Marienbad in der Tschechei geht. Gegen Abend trifft der Zug in Bruck an der Leitha in Österreich ein. Hier werden sie mit Musik empfangen und besonders gut versorgt. Es gibt geschmierte Brote und Getränke. Die Kinder bekommen Milch, während die Krankenschwestern sich wieder um Kranke und ältere Personen bemühen. Ihnen wird gesagt, morgen kommt ihr in Reichstadt an, dann könnt ihr aussteigen. Alle sind neugierig, was sie dort erwartet. In Reichstadt werden sie mit den Klängen einer Militärkappelle von Fähnchen schwenkenden Menschen empfangen.


So kann sich 1940 nach der Umsiedlung der Buchenlanddeutschen das Lagerleben zugetragen haben. Auszug aus dem Roman „Katharina – der letzte Winter vor der Umsiedlung aus der Bukowina“

… Ankunft im Lager. Umso größer ist das Entsetzen, als sie sich in kleinen Zimmern mit ringsherum aufgebauten Doppelstockbetten in einem Sammellager wiederfinden. Katharinas Familie hat Glück im Unglück, weil sie allesamt in einem Zimmer unterkommen. Katharinas Vater kann sich den Kommentar nicht verkneifen: »In anderen Räumen müssen drei Familien zusammenleben. Da haben wir noch Glück gehabt«. In anderen Zimmern befinden sich zwei und mehr Familien. Erst hinterher müssen sie feststellen, dass sie hier zwei Jahre ausharren müssen. Katharina ist so entsetzt, dass sie laut schimpft: »Wo sind wir hier gelandet«? Ihr Vater ist auch wütend und fragt sich: »In diesem Zimmer mit acht Doppelstockbetten sollen wir jetzt leben«? »Ich hab ja gleich gesagt, dass die uns belügen«, bricht Katharina in Tränen aus. Jetzt gibt auch noch Otto seinen Senf hinzu: »So kann ich nicht leben, alle auf einem Haufen«. In den Räumen in dem alten Schloss werden mehr als tausend Umsiedler untergebracht. Nur einmal in der Woche dürfen sie nach einem Plan zum Duschen ins Waschhaus. Mütter mit Kleinkindern dürfen hier täglich rein. »Wenn ich mich morgens wasche, müssen alle aus dem Raum raus«, gibt Katharina zu verstehen. Die anderen Familienmitglieder stehen stumm da und blicken auf den Tisch, auf dem eine Blechschüssel und ein Wasserkrug stehen. Ihr mitgebrachtes Gepäck können sie nur unter den Betten verstauen oder in einem Magazin einschließen lassen. Alle sind so schockiert, dass sie sich auf den Betten niederlassen. Die Kinder laufen in der Zeit durch die Flure und erkunden das Gebäude. Das löst bei Katharinas Mutter die Befürchtung aus: »Hoffentlich finden die Kinder zurück«?

Am Ende führt es dazu, dass sie sich nur zum Schlafen, Waschen und Anziehen in die vollgestopften Räume begeben. Gott sei Dank gibt es einen großen Aufenthaltsraum, den sie benutzen können. In diesem Raum werden auch die Mahlzeiten eingenommen. In einem Wartesaal treffen die Umsiedler zusammen und lassen ihren Frust ab. Sie sind kopf- und sprachlos. Die eingesetzten Helfer greifen nicht ein. Die Mahlzeiten werden eine halbe Stunde vorher schrill von elektrischen Klingeln auf den Fluren eingeläutet. Da nicht alle Menschen auf einmal Platz haben, werden drei Schichten gebildet, die zu unterschiedlichen Zeiten das Essen einnehmen. Um das Chaos in Grenzen zu halten, sind die Sitzplätze nach Familien zugeordnet. Einmal gibt es eine riesige Aufregung, weil in dem Gedränge ein Kind von den Armen der Mutter in den großen, heißen Suppentopf gestürzt ist. Niemand kann dem Kind helfen. Es stirbt. Auch das Essen ist für die Menschen gewöhnungsbedürftig. Morgens besteht es aus ein bis zwei Scheiben Brot mit Margarine, die sie bisher nicht kannten, Marmelade und Milchkaffee. Mittags gibt es meist Suppen und zum Abendbrot wieder ein bis zwei Scheiben Graubrot mit Margarine, Wurst und Tee. Ihre geliebte Milchsuppe, die Polenta und die frischen Zutaten vermissen sie sehr. Heilig Abend bekommen die Umsiedler etwas Besonderes. Bockwürstchen mit Kartoffelsalat. Die Verantwortlichen bedachten allerdings hierbei nicht, dass die Buchenländer an diesem Abend nur Fastenspeisen essen.

Das Schlimmste aber ist, dass sie keine Arbeit haben und nur zum Rumsitzen verdonnert sind. Einige lassen sich daher für irgendwelche Dienste einsetzen. An diese Situation können sich die Familien nicht gewöhnen. Wenn sie zusammensitzen sprechen sie über ihre neuen Sorgen und Nöte. »Wie sollen wir das überleben«? quillt es aus Katharinas Mutter heraus. Nur langsam verstehen die Menschen was geschehen ist. Die Familie versucht das Beste aus dieser Situation machen. Katharinas Mutter ist froh, dass die Kinder jetzt in eine deutsche Schule kommen. In der Zeit, in der die Kinder die Schule besuchen, müssen die Erwachsenen viele Befragungen und Untersuchungen über sich ergehen lassen. Man berichtet ihnen von Durchschleusung und Gesundheitsuntersuchungen. Auch die Werbetrommeln für das Nazisystem werden gerührt. Sie hören vom tausendjährigen Reich und Hitlers Errungenschaften und, dass sie zu »richtigen Deutschen« erzogen werden. Die Menschen können mit diesen Aussagen nicht viel anfangen. Immer wieder fallen ihnen die vielen Hitlerbilder und Fahnen auf. Katharinas Vater hat die Situation erkannt: »Die Nazis belügen uns. Wir sollen das von Hitler besetzte Polen eindeutschen und unsere Burschen der Wehrmacht überlassen. Für unsere Häuser bekommen sie Rohstoffe für den Krieg«.

Ihnen fällt auf, dass die SS-Verwaltung hinter den jungen Männern her ist. Nach einigen Tagen berichtet Otto stolz: »Ich komme zur SS. Schon in zwei Wochen soll meine Ausbildung in München beginnen. Ich bin froh, dass ich hier rauskomme«. Hinterher erfahren sie, dass die SS Vorrechte für die Einziehung besitzt. Zur Wehrmacht können sie nur, wenn sie deutsche Papiere in der Hand haben. Auch Katharina kommt Tage später mit der Botschaft nach Hause: »Mir hat man eine Ausbildung zur Kinderpflegerin in Greifswald angeboten. Ich habe das Angebot noch nicht angenommen, weil mir in letzter Zeit übel ist«.  »Mach die Ausbildung, dann kommst du hier aus diesem Elend heraus«, empfiehlt ihr ihre Mutter. »Ich warte lieber noch ab, vielleicht geht es mir bald besser«. »Du wirst doch nicht in anderen Umständen sein«?, gibt ihre Mutter zu bedenken. »Mama, das kann alles sein, aber warten wir ab. Sprich bitte mit Niemand darüber«, vertraut sie ihrer Mutter an. »Kind, du weißt, das können wir jetzt gar nicht gebrauchen«, beendet ihre Mutter dieses Thema. Es sind Tage und Wochen vergangen, als Katharina ihre Mutter wieder anspricht: »Ich war beim Arzt. Der Arzt hat festgestellt, dass ich im vierten Monat schwanger bin«. »Jetzt ist mir auch klar, warum du so viel bei Viorel warst?«, gibt ihr ihre Mutter zu verstehen. »Mama, was soll ich jetzt machen, ihr müsst mir helfen«, kommt es beschwörend von Katharina zurück. Dann wird das ein Blumenkind«, kann sich ihre Mutter nicht verkneifen. »Was ist ein Blumenkind?«, hinterfragt Katharina. »Ein Blumenkind ist ein Kind, dass auf einer bunten Wiese entstanden ist«, kommt es zurück. Jetzt wissen Beide nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. »Das wird für uns nicht einfach. Was werden die Menschen im Lager dazu sagen«, kommt von ihrer Mutter. Lange lassen sich die Umstände von Katharina nicht verheimlichen. Während die Menschen im Lager hinter vorgehaltener Hand tuscheln, sagt ihr Vater gar nichts zu der Situation. Ob ihre kleinen Geschwister das mitbekommen haben, wissen sie nicht.

Monate später kommt Katharina zu ihrer Mutter: »Ihr müsst mich ins Krankenhaus bringen, ich glaube es ist soweit«! Es ist schwierig ein Auto zu besorgen und sie in das nächste Krankenhaus zu bringen. Es dauert einige Zeit, bis die frohe Botschaft verkündet wird: »Katharina hat einen gesunden Jungen zur Welt gebracht«. Jetzt freut sich nicht nur die Familie, sondern auch die Umsiedler in der Umgebung freuen sich. Jedenfalls tun sie so. Die große Überraschung kommt dann von der Lagerverwaltung. Katharina und das Neugeborene bekommen ein eigenes Zimmer. »Gut, dass ich jetzt arbeite, dann kann ich etwas Essen für uns abzweigen«, gibt Katharinas Mutter beim Auspacken von Brot und Wurst zum Besten. Ihr Vater arbeitet in einem Betrieb im Ort und kommt abends hungrig nach Hause. Von Otto hört man nichts. Der befindet sich in einer Ausbildungskompanie in München. Das Gute ist, dass Katharina jetzt mit dem Neugeborenen in ihr eigenes Zimmer einziehen kann. Sie strahlt vor Glück. Das überträgt sich auf die ganze Familie und die Menschen in der näheren Umgebung. Die Umsiedler haben inzwischen im Lager gesammelt und Kleinigkeiten besorgt, die Katharina jetzt gut gebrauchen kann. Soviel Solidarität hat sie nicht erwartet. Sogar ein Kinderbett und eine Wickelkommode findet sie im Zimmer vor. Die trübe Stimmung im Lager scheint sich hierdurch aufzuhellen. Alle freuen sich mit Katharina. Niemand hätte erwartet, dass ein Baby so viel Hoffnung verbreitet. Da lässt sich Katharinas Mutter zu der Aussage hinreißen: »So viel Hilfe von vielen Seiten habe ich nicht erwartet. Gemeinsam werden wir das Kind groß ziehen«. Auch ihre Geschwister sind begeistert.

Es vergehen Tage, Wochen und Monate. Inzwischen haben die Umsiedler ihre Einbürgerungsurkunden erhalten. »Jetzt sind wir auch auf dem Papier Deutsche«, gibt Katharinas Vater zum Besten. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir ein neues Haus bekommen«, schiebt er nach. Nach den offiziellen Befragungen werden die Umsiedler in drei Gruppen eingeteilt. Mischehen werden ausgesondert. Familien mit nichtdeutschen Mitgliedern sollen ins Altreich. Nur reindeutsche Familien werden in Oberschlesien angesiedelt. Dass es sich dabei um von den Nazis in Polen besetzte Gebiete handelt, erfahren sie erst später. Inzwischen sind viele Umsiedlerfamilien aus dem Lager ausgezogen. Auf diese Weise werden Bekannte und Familien auseinander gerissen. »Wir werden sehen, was mit uns geschehen wird?«, gibt sich Katharinas Mutter optimistisch. Eines Tages kommt der Lagerkommandant zur Familie und sagt ihr: »Nächste Woche werden Sie das Lager verlassen, weil Sie angesiedelt werden«. »Was das wohl sein wird?«, fragt Katharinas Vater. »Ihr werdet es sehen!«, ist die Antwort des Lagerverantwortlichen.

So kann sich 1940 nach Erzählungen von Zeitzeugen nach Umsiedlung und Lagerleben der Buchenlanddeutschen die Ansiedlung zugetragen haben. Auszug aus dem Roman „Katharina – der letzte Winter vor der Umsiedlung aus der Bukowina“

Nach zwei Jahren im Lager ist es so weit mit der Ansiedlung. Es erfolgt die Einweisung in ein neues Heim. Neu, so glaubt man es bis jetzt. Was dann aber geschieht ist noch viel schlimmer.

Die Familie wird, bis auf Otto, von SS-Offizieren mit einem LKW vom Lager abgeholt. Ihr kleines Gepäck nehmen sie mit. Sie setzen sich auf Decken, die sie auf der Tragfläche des LKW´s ausgebreitet haben, um die Fahrt heil zu überstehen. Katharina hält ihr Baby die ganze Zeit fest im Arm. Nach einigen Stunden Fahrt kommen sie in Saybusch in Ostoberschlesien an. Der Ortsname Saybusch sollte nach einem Sieg der Nazis endgültig beurkundet werden.  Als der LKW vor einem Bauernhaus stehen bleibt, steigen die SS-Offiziere aus und gehen hinein. »Mama, ich denke wir bekommen ein neues Haus«? fragt Katharina entsetzt. »Hab ich auch gedacht«, antwortet ihre Mutter. Eine halbe Stunde später kommen die SS-Soldaten mit der polnischen Familie des Hauses heraus. Die Kinder der polnischen Familie weinen, auch die Erwachsenen. Die Familie stellt ihre Bündel mit Sachen, die sie offensichtlich schnell im Haus zusammengesucht hat, vor dem Haus ab und wartet auf weitere Anweisungen. Ein SS-Offizier steuert auf Katharinas Familie zu, die sich noch auf der Ladefläche des LKWs befindet: »So, jetzt könnt ihr mit euren Sachen absteigen. Das ist euer neues zu Hause. Das große Gepäck wird morgen angeliefert. Dann wird auch ein Berater bei euch vorbeikommen und alles Nötige besprechen«. Das war alles!

Wie Salzsäulen stehen sie nun da und begreifen die Situation nicht. Die Soldaten helfen ihnen noch beim Absteigen und Abladen des Gepäcks. Die Soldaten fordern nun die polnischen Hausbewohner auf ihr Gepäck auf den LKW zu laden und aufzusteigen. Während Katharina und ihre Familie noch vor dem Haus stehen, fährt der LKW mit der polnischen Familie davon. »Das ist es also das, was sich Hitler vorgestellt hat, Polen raus und Deutsche rein«, gibt Katharinas Mutter zum Besten. Die Familie ist sprachlos und befindet sich in großer Not. Was soll sie jetzt machen? Alleingelassen in einem fremden Land unter fremden Menschen kann sie keine Hilfe erwarten. Notgedrungen und sehr zögerlich wagen sie sich erst nach längerer Zeit in das Haus. Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, denn Katharina muss ihr Kind versorgen, weil es Hunger hat und schreit. Hunger und Durst haben inzwischen alle. Zum Glück haben sie ein paar Scheiben Brot und zwei Flaschen Milch mitgenommen.  Als sie sich an den fremden Tisch setzen, weinen sie zuerst. »Was hat man nur mit uns gemacht«? fragt Katharinas Vater. Katharinas Geschwister sind weniger befangen. Die Neugierde treibt sie aus dem Haus. Zwei polnische Arbeiter haben sie im Haus zurückgelassen, stellen sie bald fest, als die beiden Männer ins Zimmer treten. Der Jüngere von Ihnen kann etwas Deutsch. Als er die sprachlosen Gesichter der Familie sieht, versucht er zu erklären, dass auch sie überrascht sind und alles nicht verstehen. Katharinas Vater steht wie erstarrt da und stammelt: »Gut, dass Otto das nicht miterlebt. Der hätte bestimmt anders reagiert«? Während Katharina ihrem Jungen etwas zu Essen und Trinken gibt, fragt sie: »Und wo sollen wir schlafen«? Die beiden Männer zucken mit den Achseln, bieten aber ihre Hilfe an. »Wir werden schon etwas finden«, versucht sie ihre Mutter zu beruhigen. Der Kontakt zu den beiden Polen erweist sich als hilfreich, denn sie kennen sich im Haus gut aus. Mit ihnen gehen sie nun durch die Räume. Alles andere möchten sie sich noch nicht ansehen. Diese unwirtliche Situation müssen sie erst begreifen. Dass sie sich in einem besetzten Land befinden, wird ihnen erst später bewusst. Umso mehr sind sie überrascht, wie sie mit den fremden Menschen zu einer Notgemeinschaft zusammenfinden. Es dauert Stunden bis sie begreifen um was es geht und dass sie keine andere Möglichkeit haben, als hier zu bleiben. Erst später nehmen sie Kontakt zu den Nachbarn auf und erfahren die ganze Wahrheit. Sie müssen feststellen, dass es allen deutschen Familien so ergangen ist. Es wohnen nur noch wenige polnische Familien in der Umgebung. Alle haben Angst. Irgendwann stellt Katharina die Frage: »Was machen die mit den Polen«? »Das möchte ich auch wissen«? erwidert ihre Mutter verzweifelt.  Nur sehr zögerlich und notgedrungen versuchen sie sich mit Hilfe der beiden polnischen Männer im Haus zurechtzufinden. Sie sind müde, sie sind traurig und fühlen sich unwohl. Es sind die beiden Polen, die schon seit längerer Zeit mitbekommen haben wie die Nazis hier vorgehen, die die Familie aufzumuntern versucht. Am nächsten Tag kommt tatsächlich ein reichsdeutscher Berater ins Haus. Auf die wehleidigen Fragen der Familie geht er nicht ein. Sie erkennen schnell, dass es sich, wie im Lager, um einen »Linientreuen« handelt. Er erklärt der Familie wie sie alles bewirtschaften soll und, dass sämtliche Erzeugnisse, bis auf die Selbstversorgung, an den Staat abzuliefern sind. Er übergibt ihnen Listen und erteilt Anweisungen. »Das sind ja schöne Aussichten. So hat uns das niemand gesagt«, reagiert Katharinas Vater wütend.

In den nächsten Tagen versucht die Familie sich in der fremden Umgebung zu Recht zu finden. Alle sind mit der unerwarteten Situation überfordert. Auch die beiden Polen. Weil Buchenländer schon immer mit anderen Völkern friedlich zusammenlebten, nehmen sie den Kontakt zu polnischen Familien auf. Denn auch in ihrer Heimat gab es unter ihnen Polen. Sie erfahren sehr schnell, dass die Nazis diese Kontakte untersagt haben. Sie scheren sich aber wenig darum.  Mit den beiden Polen, für die sie nun verantwortlich sind, kommen sie mehr und mehr ins Gespräch. Stanislaus, der Jüngere von ihnen, der etwas Deutsch spricht, wird zum Dolmetscher ernannt. Er sagt ihnen, dass sie das Vieh versorgen und draußen bei den Arbeiten helfen werden. Sie sind trotz allem erstaunlich hilfsbereit. Der Überlebenswille der Familie mit den Kindern und das Zusammentreffen mit den beiden Polen führen dazu, dass es ein Miteinander gibt. Man nähert sich in den nächsten Tagen weiter an.

Katharina bittet ihre Mutter Tage später mit ihr zum katholischen Pfarrer zu gehen, weil sie den Jungen taufen lassen möchte. Da es einen polnischen Pfarrer gibt, besuchen sie ihn gemeinsam mit Stanislaus. Die Taufe wird schon für die nächste Woche anberaumt. Noch vor der Taufe geht ein Brief von der SS-Stabstelle aus Berlin ein. Katharinas Mutter liest ihn vor: »Ihr Sohn Otto wurde in München zum Panzerführer ausgebildet und befindet sich zur Zeit im Feldzug der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion«. »Das kann doch nicht wahr sein, Otto sollte doch Taufpate werden«, schimpft Katharina. »Dann müssen wir jemand anderes nehmen«, erklärt ihr ihre Mutter. Auf diese Weise nehmen sie den Kontakt zu einer deutschen Familie aus der Nachbarschaft auf, der es ebenso ergangen ist. Allen stockt der Atem bei Nachricht, dass Otto in Russland im Krieg sein soll. Dass die Deutschen auch die Sowjetunion überfallen hat, wissen hier alle. Auch, dass die Nordbukowina wieder zu Rumänien gehört und die sowjetischen Soldaten abgezogen sind. »Da haben die Nazis bestimmt ihre Finger im Spiel gehabt«, kommentiert Katharina dieses Geschehen. Notgedrungen findet sich die Familie einigermaßen zurecht. Sie hat sich vorgenommen mit den beiden Knechten den Hof zu bewirtschaften, weil viel Arbeit auf sie wartet. In dieser schwierigen Zeit kommen sie ohne die Hilfe ihrer fleißigen polnischen Arbeiter nicht aus. Eines Tages lässt Katharina ihren Jungen in der Obhut von Stanislaus, weil sie mit ihrer Mutter in den Ort hinunter muss. Als sie zurückkommen gestikuliert der kleine Junge und zieht sich an den Haaren. Daraufhin fragt Katharina Stanislaus was geschehen ist. »Ich hätte nicht gedacht, dass er euch zeigt, dass ich ihn an den Haaren gezogen habe«, gesteht Stanislaus. Eine unwirtliche Situation.

 »Da es mit Hitlers Krieg nicht so gut läuft, haben wir es hier immer schwerer«, stellt Katharinas Vater fest. »Mit den Abgaben der landwirtschaftlichen Erzeugnisse müssen wir hier die deutsche Bevölkerung ernähren. Immerhin bleibt uns etwas zum Überleben«. Im Januar 1944 bekommt die Familie unerwartet Besuch von Otto. »Wir haben in Russland alles aufgegeben und sind auf der Durchreise nach Frankreich. Dort bekommen wir neue Panzer und sollen die Invasion der Engländer und Amerikaner abwehren«, weiß er zu berichten. Von dem inzwischen zweijährigen Sohn seiner Schwester ist er sehr angetan. »Das wird einmal mein Nachfolger«, sagt er ihr: »Ob ich aus dem Krieg zurückkommen werde, weiß ich nicht«? Als er sich nach einer Woche Urlaub verabschiedet, übergibt er seinem Vater seinen Karabiner. »Hier Tata, den Karabiner und zwanzig Schuss Munition schenk ich dir. Man kann ja nie wissen, ob du ihn gebrauchen kannst«? In dieser Zeit berichtet man von Überfällen polnischer Partisanen auf deutsche Familien. Obwohl von den einheimischen Polen keine Gefahr ausgeht, begibt sich Katharinas Vater in den Nächten mit dem Karabiner in die Scheune, um den Hauseingang zu bewachen. Die Knechte zeigen sich loyal. »Es kann vorkommen, dass auswärtige Partisanen unser Haus überfallen wollen, weil es abseits liegt«, rechtfertigt Katharinas Vater seine Aktion. Zum Glück hat er nie einen Schuss abgegeben.

Die Zeiten werden immer schwieriger. Die Nazis ziehen Katharinas Vater zum Volksturm ein. »Das lasse ich mir nicht gefallen«! sagt er, als er von Soldaten abgeführt wird. »Die beiden großen Pferde haben sie bereits gegen zwei kleinere Pferde ausgetauscht. Konfiszieren nennen sie das«! ruft er noch hinterher. Nach und nach entwickeln sich chaotische Verhältnisse, weil es mit dem von Hitler angezettelten Krieg schlecht läuft. Die Propaganda versucht die Verluste schönzureden. In dieser schwierigen Zeit fällt Katharinas Vater auf, dass es seiner Frau schlecht geht. Sie muss sich übergeben. Er ringt sich eines Tages zu der Frage durch: »Anna, ist etwas mit dir? Geht es dir nicht gut«? Er bekommt keine Antwort. Wochen später gesteht sie ihm: »Ich glaube, ich bekomme ein Kind«. »Das fehlt uns gerade noch«! antwortet er erregt.

So kann sich 1940 nach der Umsiedlung der Buchenlanddeutschen das Lagerleben und die Flucht zugetragen haben. Auszug aus dem Roman „Katharina – der letzte Winter vor der Umsiedlung aus der Bukowina

… Die Flucht und das Drama im dritten Waggon. Die Nazis versorgen die Bevölkerung bewusst mit falschen Nachrichten. Sie wollen die Wahrheit nicht einsehen und denken nur an sich. Das führt dazu, dass in der Familie der Fluchtgedanke erst sehr spät aufkommt. Als die ersten Trecks auf den Weg gebracht werden, sagt Katharinas Vater: »Ich werde mich mit Pferden und Wagen dem Treck anschließen. Wir beladen am besten den Wagen«! Weiter sagt er: »Ihr bleibt noch hier und kommt mit dem Zug nach«! Überflüssiger Weise nimmt er den Karabiner mit, um den Treck zu beschützen. Nachdem Katharinas Vater mit dem Treck abgefahren ist, geht ein Telegramm mit der Nachricht ein, dass Otto in Frankreich gefallen ist. Sein Panzer hat einen Volltreffer erhalten. Ein Foto vom Grab und persönliche Unterlagen erhalten Sie per Post, heißt es weiter. »Was wir befürchtet haben ist eingetreten«! sagt mit tränenerstickter Stimme Katharinas Mutter. Jetzt weinen sie alle, auch die Kinder. Ein Unglück kommt selten allein. Völlig demoralisiert erleben die beiden Frauen mit ihren Kindern das Kriegsende. Weil die Nazis falsche Informationen herausgeben um sich selbst in Sicherheit zu bringen, flüchten die Frauen mit den Kindern sehr spät. Erst als der Krieg zu Ende ist.

Katharinas Mutter ist schwanger. Die beiden Frauen mit den Kindern wissen nicht was sie machen sollen. Katharina und ihre Mutter fassen in dieser Situation den Entschluss nach Reichstadt zu fahren, wo sich das Umsiedlungslager befand. Hier stoßen sie zum Glück auf weitere Buchenländer aus ihrem früheren Dorf. »Gott sei Dank, habt ihr den gleichen Gedanken gehabt«, begrüßen sie die Truppe. »Wir haben Kontakt zu einer tschechischen Familie aufgenommen«, beruhigt Oskar, der älteste Mann in der Gruppe, die Neuankömmlinge. Freundliche Tschechen nehmen sie auf und verstecken die zwanzig Flüchtlinge in einem alten Haus. Als sie aber selber in Gefahr geraten, weil sie Deutsche versteckt halten, können sie nichts mehr für die Flüchtlinge tun. Sie bitten sie das Haus zu verlassen. Mit den Worten: »Das einzige was wir euch mitgeben können ist eine Wehrmachtskiste und einen Handwagen«, werden sie von den freundlichen Fremden verabschiedet.

Weil Niemand weiß was in der Kiste enthalten ist, schmuggeln sie den Handwagen mit der Kiste im Durcheinander an den Kontrollen vorbei. Sie haben Glück und finden zusammen mit anderen Buchenländern einen Zug, der in Richtung Deutschland unterwegs ist. Sie finden noch Plätze in dem mit Flüchtenden besetzten Zug. Mit ihren Rucksäcken und den Kindern wird ihnen im Abteil Platz gemacht. Nur die Holzkiste nehmen sie mit und schieben sie unter die Sitzbank. Den Handwagen müssen sie draußen stehen lassen. Bald stellt sich heraus, dass die mitgenommene Kiste ihnen das Überleben sichern wird, weil sie bis obenhin mit Schmalzfleischdosen der Deutschen Armee gefüllt ist. Unterwegs lassen sie die Kontrollen geduldig über sich ergehen, obwohl ihre Habe immer weniger wird. Sie sind glücklich, dass sie einen Zug gefunden haben, der sie nach Deutschland bringen wird. »Es ist schön, dass wir das geschafft haben«, versucht Katharina die Kinder zu beruhigen. Große Unruhe kommt auf, als die drei Waggons mit den Buchenlanddeutschen abgekoppelt werden. Als nach einigen Stunden die Fahrt fortgesetzt wird, erzählen ihnen sowjetische Soldaten, dass sie den Auftrag haben sie zurück in die Bukowina zu bringen. Das hat Stalin mit den Alliierten so ausgehandelt, schieben sie nach. Diese Aussage beunruhigt die Insassen. Da die drei Waggons immer wieder an andere Züge Richtung Osten angehängt werden, kommt es zu langen Wartezeiten, in denen sie ihre Notdurft erledigen und sich in einem Bach oder einer Pfütze die Hände waschen können. Auf einem Blech mit zwei Ziegelsteinen machen sie sich etwas zu Essen.  So geht es tagelang. Katharinas hochschwangere Mutter hat trotzdem Glück, weil sie während eines längeren Aufenthalts auf einer Zwischenstation einen gesunden Jungen zur Welt bringen kann. Als sie mit dem Baby im Arm wieder in den Waggon kommt, erscheint eine russische Kommandeurin mit einem großen Korb. Es bricht Panik aus, weil sie befürchten, dass sie der Mutter das Kind wegnehmen will.  Alle sind erleichtert, als sich herausstellt, dass die Kommandeurin den Korb im Magazin mit Lebensmitteln befüllt und ihn der Mutter übergibt. »Das ist für das Baby«!, verteidigt Katharinas Mutter den Inhalt im Korb. »Ich helfe dir Mama, zusammen ziehen wir den Kleinen groß«, ermutigt Katharina ihre Mutter.

Es ist eine verdammt schwierige Situation für Mutter und Kind. Bald spielt sich aber im dritten Waggon ein tragisches Drama ab. Eine kranke Mutter von sieben Kindern erliegt einer schweren Infektionskrankheit. Sie war allein und hinterlässt Kinder im Alter von sechs bis fünfzehn Jahren. Bevor der Zug ohne die Frau weiterfährt, steigt Katharina um. Sie möchte nachsehen, ob sie helfen kann. Es ist unvorstellbar, was sich in diesem Waggon abspielt. Als Katharina in dem großen Durcheinander feststellt, dass sich niemand um die zurückgebliebenen Kinder kümmert, nimmt sie das Zepter in die Hand. Sie überlegt nicht lange, und entschließt sich die Kinder aufzunehmen. In der Zwischenzeit kümmert sich Katharinas Mutter um das Neugeborene und die anderen Kinder. Zum Glück helfen ihr die anderen Insassen dabei. »Wir verstehen nicht, dass sich Katharina um die anderen Kinder kümmert, wo sie doch hier genug zu tun hat«, sagen sie. Als der Zug an der nächsten Station hält, kommt Katharina zurück, um ihrer Mutter und den Mitreisenden zu erklären, welches Drama sich im Nachbarwaggon abspielt. »Mama, ich glaube wir müssen uns um die fremden Kinder kümmern, weil keiner die Verantwortung übernehmen will«?, bringt Katharina ihrer Mutter vorsichtig bei. »Kind, du siehst doch was hier los ist. Wie wollen wir das schaffen«?, fleht ihre Mutter sie an. »Ich gehe noch mal rüber in den Waggon mit den Kindern«!, sagt Katharina, bevor das Zugsignal erneut ertönt. Die kommenden Tage im Zug sind für alle sehr anstrengend. Zum Glück haben sie ihre Schmalzfleischdosen, von denen sie sich noch ernähren. Einige Dosen haben sie gegen Brot eingetauscht. In diesem Durcheinander sehen Katharina und ihre Mutter keine andere Möglichkeit, als sich um die Kinder der verstorbenen Mutter zu kümmern. So kommen zu den eigenen sechs Kindern sieben weitere hinzu. Zum Glück sind die Kinder zum Teil schon groß und selbständig. Trotzdem können sie diese schwierige Lage nur mit fremder Hilfe überstehen. Es geht um das nackte Überleben. In diesen Situationen wachsen Menschen über sich hinaus.

Die Unruhe ist groß, als die Insassen erfahren, dass sie die rumänische Grenze überqueren. Obwohl bei ihnen alte Erinnerungen wach werden, wissen sie nicht was sie erwartet. Ihre Häuser können sie nicht wieder bekommen. Über die Deutschen, die jetzt zurückkehren, wird man sich nicht freuen. Keine guten Voraussetzungen, um in die Heimat zurückzukehren. »Dass alles so schlimm kommen wird, hätten wir nie gedacht. Was hat man nur mit uns gemacht«?, raunt es durch den Waggon. Nach einer langen Fahrt müssen sie mit der großen Kinderschar auf dem Bahnhof in Wama in Rumänien aussteigen. Sie werden absichtlich nicht an den Ausgangspunkt zurückgebracht. Als sich Katharina, ihre Mutter und die vielen Kinder mit dem Gepäck auf dem Bahnsteig befinden, steht nebenan ein Zug mit sowjetischen Soldaten. Eine russische Soldatin kommt aus dem Zug auf die Gruppe zu und nimmt die kleine Emilia auf den Arm und verschwindet im Zug. Alle sind schockiert, weil sie befürchten, dass das Mädel entführt wird. Nach einem kurzen Augenblick bringt sie das Mädel zur Gruppe zurück. Die Schürze der Kleinen hat sie bis obenhin mit Lebensmitteln vollgestopft. »Die waren alle lieb zu mir«, erzählt Emilia anschließend in der Gruppe. Inzwischen nähert sich ihnen auch der Bahnhofvorsteher, der die Situation erkannt hat und bietet seine Hilfe an. Mit den rumänischen Worten: »Ich kann euch nicht helfen, ich kann euch aber für ein paar Tage einen leeren Raum im Bahnhofsgebäude zur Verfügung stellen. Ihr müsst mir nur versprechen, dass ihr euch bei der Gendarmerie anmeldet«. Katharina stimmt in der Not sofort zu: »Das reicht uns erstmal«. Sie gehen müde und hungrig die knarrende Holztreppe in das Dachgeschoss des Bahnhofsgebäudes hinauf und bauen sich mit ihren Mänteln und Jacken ein provisorisches Nachtlager. Katharina und ihre Mutter kümmern sich um die beiden kleineren Kinder. Mit dem was Emilia in ihrem Schürzchen hatte, können sie den ersten Hunger stillen. »Hauptsache wir haben ein Dach über dem Kopf«, versucht Katharina die Kinder zu beruhigen. Im Bahnhofsgebäude können sie Toiletten und Waschraum benutzen. Am nächsten Tag gehen sie zur Gendarmerie, um sich anzumelden. Als sie ihre Unterlagen vorlegen sagt man Ihnen, dass sie bei der Umsiedlung sämtliche Rechte als rumänische Staatsbürger aufgegeben haben. Jetzt sind sie geduldete deutsche Ausländer. Katharina und ihre Mutter erhalten ein Blatt Papier, auf dem handschriftlich ihre Personalien vermerkt sind. Für die Kinder erhalten sie zwei Listen, eine für die fremden und eine für die eigenen Kinder. Trotz großer Schwierigkeiten strömen die größeren Kinder aus und sammeln oder erbetteln was sie bekommen können. Mit dem was sie heranschleppen können sie in den nächsten Tagen die größte Not stillen. Katharinas Mutter geht es gesundheitlich schlecht. Als Folge ihrer Niederkunft und den Strapazen im Zug machen sich bei ihr starke Erschöpfungszustände bemerkbar. Jetzt ist Katharina gefragt. Zum Glück überstehen sie im Bahnhofsgebäude die nächsten Tage ohne schwerwiegenden Folgen.

Auszug aus dem Roman „Katharina – der letzte Winter vor der Umsiedlung aus der Bukowina.

Die Rückkehr

In dieser schwierigen Situation kommt ihnen der Gedanke, den alten Heimatort aufzusuchen, obwohl sie das nicht dürfen. Vielleicht macht sich Katharina Hoffnung, dass Viorel ihnen hilft. Hier in Poschoritta kennen sie sich auch aus. Nach einem Tag kommen sie mit dem Zug in ihrem Heimatort an. Hier hat sich inzwischen Vieles verändert. Die von den deutschen Familien verlassenen Häuser werden inzwischen von rumänischen Familien bewohnt. Nur wenige Deutsche sind zurückgeblieben. Sie bekommen mit, dass man hier nicht auf sie wartet. Als Erstes gehen Katharina und ihre Mutter zur Gendamarie, um sich anzumelden. Hier schickt man sie zur Gemeindeverwaltung. Dort legen sie ihre Ersatzpapiere vor: »Diese Bescheinigungen haben wir bei der Einreise in Wama erhalten«. Hier sagt man ihnen wieder, dass sie als „geduldete ausländische Deutsche“ registriert werden. »Jetzt haben wir es schwarz auf weiß, dass wir Deutsche sind«, stellt Katharinas Mutter beim Hinausgehen fest.

Katharina hat eine Idee: »Dann gehe ich mit dem Kind zu Viorel«! »Und was machen wir«? fragt ihre Mutter. »Ich will sehen, wie er reagiert, wenn er mich und den Jungen sieht«? beruhigt sie ihre Mutter. Bei Bekannten, die wegen ihrer Mischehe in der Bukowina geblieben sind, kommen sie unter. Obwohl diese ein größeres Anwesen haben, sagt ihnen der Mann, der mit einer Rumänin verheiratet ist: »Ihr könnt aber nicht lange hier bleiben. Ich werde sehen, ob ich ein verlassenes Haus für euch finde«. Damit macht er ihnen Hoffnung. Katharina hat sich inzwischen mit ihrem vierjährigen Jungen auf den Weg zu Viorel gemacht. Voller Wehmut nimmt sie unterwegs die Gegend wahr, die sie an bessere Zeiten erinnert. Unterwegs trifft sie Bewohner, die sie anspricht. Dabei stellt sie fest, dass man im Dorf weiß, dass sie mit ihrer Mutter und vielen Kindern eingetroffen sind. Bei der Frage nach Viorel halten sie sich zurück. Auf dem Weg zu Viorel erinnert sich Katharina daran, wie sie vor sechs Jahren mit ihrer Laterne durch den tiefen Schnee gegangen ist, um ihre Freundin Rosanah zu besuchen. Vielleicht kann sie auch dieses Mal mit Rosanah sprechen, wenn Viorel nicht zu Hause ist. Als sie vor dem Haus ankommen und sich bemerkbar machen, bleibt alles totenstill. Nach einiger Zeit brechen sie den erfolglosen Besuch ab und treten den Heimweg an. Ihrer Mutter erzählt Katharina, dass sie niemanden angetroffen haben.

Inzwischen hat der Bekannte ein leerstehendes Haus ausfindig gemacht. »Morgen können wir uns das Haus ansehen«, erzählt Karl den Neuankömmlingen. Als sie sich mit der Kinderschar auf den Weg dorthin machen, kommen sie an ihrem ehemaligen Haus vorbei. Sie nehmen sich vor auf dem Rückweg vorbeizuschauen. Auf einem zugewucherten Grundstück finden sie das besagte Haus. Es ist nicht nur ein verlassenes und leerstehenden Haus, es ist auch eine halbe Ruine. Zum Teil ohne Fenster und Türen. Das Dach scheint in Ordnung zu sein. Drinnen steht noch der Kohleherd. »Karl, da sollen wir einziehen? Du meinst, dass Haus kannst du wieder in Ordnung bringen«? fragt Katharinas Mutter. Karl meint etwas verlegen: »Ich werde es versuchen«. Ihnen wird schnell klar, dass sie keine andere Möglichkeit haben, wenn sie noch rechtzeitig vor dem Winter einziehen wollen. Sie müssen sich beeilen. Zum Glück hat Karl Zeit und kennt Leute, die bei der Arbeit anpacken. Das fehlende Material bekommt er auch zusammen.

Auf dem Rückweg klopfen sie an die Eingangstür ihres alten Hauses. Mit den Kindern, die vor dem Haus spielen, haben sie bereits Kontakt aufgenommen. Eine junge Frau macht ihnen die Tür auf, wahrscheinlich die Mutter der vor dem Haus spielenden Kinder. Als sie auf Rumänisch sagen wer sie sind, ist die Überraschung groß. Die Frau weiß jetzt nicht wie sie sich verhalten soll. Sie bittet die fremden Gäste in ihr Haus. Viel hat sich hier nicht verändert stellen sie fest, als sie auf der Bank Platz nehmen. Die Frau erzählt ihnen, dass ihre Familie 1940, als die Sowjets in Czernowitz einmarschierten, aus der Nordbukowina geflüchtet ist. Später hat ihnen die Gemeinde dieses Haus zur Verfügung gestellt. Auch in der Nachbarschaft wohnen Flüchtlinge aus der Nordbukowina. Nachdem Katharina und ihre Mutter ihre Geschichte erzählen, waren sie sich die Frauen über die verheerenden Folgen von Flucht und Vertreibung einig.

Gleich am nächsten Tag beginnt Karl mit den Arbeiten am Haus. Aufgrund seiner guten Kontakte hat er das Haus nach zwei Wochen halbwegs hergerichtet. Die fehlenden Türen und Fenster wurden eingebaut oder zugenagelt und der Fußboden wurde repariert. Katharina, ihre Mutter und die großen Kinder haben inzwischen das Grundstück auf Vordermann gebracht. Durch die Mithilfe von Karl wurde im Ort die Inneneinrichtung zusammengetragen. Auch Decken und Federbetten. Nach drei Wochen können Katharina mit ihrer Mutter und den Kindern das Haus beziehen. Alle sind glücklich. Jeder muss jetzt mit anfassen. Die großen Kinder nehmen im Ort leichte Arbeiten auf, um etwas Geld zu verdienen. Die kleineren Kinder sammeln was sie nur können. Inzwischen versucht Katharina immer wieder Kontakt zu Viorel aufnehmen. Über Viorel erfährt Katharina, dass er verheiratet ist. »Jetzt ist mir auch klar, warum er sich verleugnen lässt«, sagt Katharina verzweifelt zu ihrer Mutter. »Nicht einmal den Jungen will er sehen«, antwortet die Mutter. Später erfahren sie, dass Rosanah ausgezogen ist. Die neuen Erkenntnisse lassen die Frauen verzweifeln. Ihre ehemalige Heimat empfinden sie wie ein fremdes Land. Nur im Ort weiß man von den deutschen Neuankömmlingen. Sie haben Glück, dass sie den Winter ohne großen Schaden überstehen. Im Frühjahr besuchen sie Rumänische Arbeiter, die im Steinbruch von Katharinas Vater gearbeitet haben, um ihre alte Freundschaft zur Familie zu bekunden. In Rumänisch erzählen sie ihnen: »Der Steinbruch stand fünf Jahre still. Danach hat die Gemeinde einen Sprengmeister eingestellt und die Arbeit wieder aufgenommen. Seit dem arbeiten wir im Steinbruch«. »Siehst du Mama, es gibt noch Menschen die sich an uns erinnern«, stellt Katharina hoffnungsvoll fest. Die große Enttäuschung folgt, als ein paar Tage später ein Mann mit einem Brief von der Gemeinde vor der Tür steht. In Rumänisch erklärt er ihnen, dass er dieses Haus von der Gemeinde bekommen hat. Obwohl sie nicht begreifen, was er ihnen erzählt, beschließen das Haus zu räumen. Der Bekannte sagt ihnen zu, sich auf die Suche nach einem anderen Haus zu begeben. Sie fügen sich und beurteilen das Verhalten der Gemeinde nicht. Sie haben Glück, weil sie bald ein anderes leerstehendes Haus an einem schöneren Platz finden. Karl hat ihnen zugesagt, dass er auch dieses Haus wieder herrichten wird. Alles was sich im alten Haus befand, haben sie im Schuppen bei Karl untergebracht. Auch sie selbst wohnen vorübergehend wieder dort. Es dauert wieder drei Wochen, bis sie in das Haus einziehen können. Auch den zweiten Winter haben die Frauen mit ihren Kindern überlebt. Vieles hat sich inzwischen eingespielt. Nachdem sie ein Jahr in dem Haus wohnen, sagt Katharina eines Morgens: »Ich hoffe, dass sie uns jetzt zufrieden lassen«. »Noch einmal möchte ich das nicht erleben«, hofft ihre Mutter. Was sie aber noch nicht wissen ist, dass man ihnen auch dieses Haus wegnehmen will. Im Frühjahr erscheint ein Pope, ein orthodoxer Priester, mit einem Brief der Gemeinde, um das Haus in Besitz zu nehmen.      Nur dieses Mal nehmen die beiden Frauen ihren ganzen Mut zusammen und jagen den Priester davon. Katharinas Mutter ist empört: »Statt uns zu helfen, will uns der Pope das Haus wegnehmen. Wo sind wir denn da«? »Mama, du hast gut reagiert. Ich habe uns schon ausziehen sehen«, steht Katharina ihrer Mutter bei. Sie haben nie wieder etwas von dem Pope gehört. Auch hat die Gemeinde sie von nun an zufriedengelassen. Dieses Geschehen hat bei den Frauen zu der Erkenntnis geführt, dass sie dieses Leben nicht ewig führen können.

Zu den verbliebenen Deutschen und zu rumänischen Familien haben sie inzwischen Kontakt aufgenommen. Auch die sind über das Verhalten der Gemeinde entsetzt. »Was können wir dafür, was Hitler mit den Juden gemacht hat?«, machen sie den Menschen im Ort klar. In Rumänien zeichnen sich in dieser Zeit bereits kommunistische Tendenzen ab. Bis auf die beiden kleineren Kinder gehen die großen jetzt in die rumänische Schule. »Das können wir nicht ändern«, kommentiert Katharina, »den Deutschunterricht bekommen sie von mir«. Dass Rumänien kein Königreich mehr ist, haben Katharina und ihre Mutter bei der Einreise erfahren. Bei Ankunft hat ihnen Karl erzählt, wie man mit den Deutschen umgeht. »Ihr braucht keine Angst zu haben, dass euch die Kommunisten zur Zwangsarbeit nach Sibirien verschleppen. Mit Frauen und Kindern können sie nichts anfangen«, erzählt ihnen Karl hinter vorgehaltener Hand. Obwohl sie nicht mehr in der alten Gemeinschaft leben, haben sich die Frauen mit der Situation abgefunden. Zunächst bleibt ihnen auch nichts anderes übrig.

Jahre später erscheint ein Tages die Schwester der im Zug verstorbenen Mutter. Sie hatte über das Rote Kreuz erfahren, wo sich die Kinder ihrer verstorbenen Schwester aufhalten. Mit den Sätzen, »Guten Tag, ich bin die Schwester der verstorbenen Mutter. Ich möchte euch finanziell unterstützen und die Kinder meiner verstorbenen Schwester mit nach Westdeutschland nehmen«, beginnt sie die Unterhaltung. »Wie sie sehen, sind aus den Kindern inzwischen Jugendliche geworden!«, kontert Katharina zunächst. »Die Papiere für die Ausreise habe ich dabei«, erklärt sie beiden Frauen. Katharina und ihre Mutter sind perplex. Sie sehen ein, dass sie sich mit der neuen Situation abfinden müssen. Sie können sich nicht vorstellen, dass eines Tages ein Engel erscheint, der sich um die fremden Kinder kümmert. Sie fragen: »Das geht so einfach«? »Aber ja, ich habe mit viel Mühe die Ausreiseunterlagen zusammenzubekommen«, antwortet die Fremde. Die Kinder kennen ihre Tante nicht und befürchten, dass sie entführt werden sollen. Nachdem Katharina und ihre Mutter die Unterlagen der Frau genau studieren, können sie die Kinder beruhigen. Jetzt fällt auch ihnen ein Stein vom Herzen. »Nach Deutschland wollten wir auch mit Mama ausreisen«, sagte die große Jugendliche zur Besucherin. »Seht ihr, jetzt bin ich hier und bringe euch dort hin«, versucht die Fremde sie zu beruhigen. Die Kinder, die zum Teil zu Jugendlichen herangewachsen sind, bilden jetzt zwei Gruppen. Während die fremden Kinder nun von der Frau mehr über Deutschland erfahren möchten, wissen die eigenen Kinder nicht, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen. »Kommst du aus dem goldenen Westen«?, wollen die Kinder wissen. »Ja, ich komme aus Dortmund in Westdeutschland«, bestätigt die Tante. »Im Westen soll es den Menschen besser gehen, als im Osten«?, hinterfragt die Jüngste. »Ihr habt mehr zu Essen und bessere Kleidung«, ergänzt die Ältere. Eine ganze Zeit lang gehen die Gespräche zwischen der fremden Frau und den Kindern hin und her. Irgendwann fragt Katharina die Kinder: »Bei uns hat es euch doch gefallen?« »Ja, ja«, ruft die Schar zurück. »Pilze suchen und Beeren sammeln hat uns viel Spaß gemacht!«, bestätigen sie. Katharina und ihre Mutter versuchen die Traurigkeit bei den eigenen Kindern zu vertreiben. Zum Glück haben sich bei ihnen keine Neidgefühle entwickelt. Es dauert noch einige Zeit, bis die Frau mit den Kindern die Ausreise antreten kann. Auf einen Schlag war die Familie kleiner geworden. »Schade, wir haben uns so an sie gewöhnt«, sagen Katharina und ihre Mutter, als sich die Tante mit den fremden Kindern verabschiedet. »Aber jetzt haben wir es vielleicht etwas leichter. Nur müssen wir die Arbeiten neu aufteilen«, sagt Katharina zu ihrer Mutter. Hinterher erfahren sie, dass Westdeutschland für die deutschen Rücksiedler bezahlt hat. Sie wurden herausgekauft. Obwohl die eigenen Kinder und Jugendlichen jetzt mehr von Deutschland sprechen, wollen sie nicht ausreisen. In ihrer Bescheidenheit leben sie noch einige Jahre in ihrem alten Haus. Hier fühlen sie sich wohl, weil sie alles schön hergerichtet haben. Auch der Tagesablauf funktioniert gut. Inzwischen sind die Kinder, bis auf die beiden Kleinen,  im Erwachsenenalter. Die Zwillinge Peter und Paul sind im Sommer 19 Jahre alt geworden. Nach der Schule haben sie im Sägewerk gearbeitet. Eine richtige Lehre konnten sie dort nicht machen. Ilona ist inzwischen 22 Jahre. Sie hat gerade ihre Lehre als Schneiderin abgeschlossen. Die 23jährige Elsa hat gleich nach der Schule in der Webstube angefangen. Der auf der Flucht geborene Johannes ist sieben Jahre alt geworden und soll eingeschult werden. Katharinas Sohn Dieter geht seit drei Jahren in die rumänische Schule. Deutschunterricht bekommt er von Katharina. Inzwischen sind alle Kinder im Ort verwurzelt. Katharina und ihre Mutter haben lange überlegt, ob sie sie aus ihrer Umgebung herausreißen sollen. Katharina drängt jetzt darauf, dass die Kinder und die inzwischen Erwachsenen eine bessere Zukunft haben sollen. Hier im Ort sieht sie keine Chancen.

Auszug aus dem Roman „Katharina – der letzte Winter vor der Umsiedlung aus der Bukowina.

Die Sommergäste Willi und Dora bleiben zurück

Nach der Umsiedlung von Katharina und ihren Eltern bleiben ihre Sommergäste Willi und Dora im Nachbarhaus ihres Onkels zurück. Während Katharina und ihre Familie sich mit den Unbilden des Lagerlebens herumschlagen, führen Dora und Willi in der Südbukowina ihren eigenen Existenzkampf. Sie haben sich mit der rumänischen Familie, die beim Einmarsch der Sowjets aus der Nordbukowina in den Süden flüchteten und in das Haus von Johann und Rosa eingezogen sind, angefreundet. Im Haus von Katharinas Eltern nebenan sind ebenfalls Flüchtlinge aus Czernowitz eingezogen. Sie haben sich mit ihnen angefreundet. Nur so können sie ihr Überleben sichern. Aber auch hier im Süden der Bukowina werden die Juden immer mehr angefeindet. Dora gibt sich nicht als Jüdin zu erkennen. Nach der Rückeroberung der Nordbukowina durch das rumänische Militär erreicht sie eines Tages von ihrem Onkel Max ein Brief, der ihnen von Reisenden zugesteckt wird. Er schreibt:

Liebe Dora, lieber Willi,

seid froh, dass ihr jetzt nicht in Czernowitz seit. Nachdem die Rumänen zurück sind, sind auch die Nazis hier. Ihr wisst, was die mit den Juden vorhaben. Hier ist der Teufel lost. Die Nazis wollen uns alle umbringen. Vor zwei Wochen musste ich Hals über Kopf in das Ghetto im Süden von Czernowitz umziehen. Hier leben wir unter unmenschlichen Bedingungen. Nach und nach werden Menschen abgeholt und zur Arbeit nach Transnistrien deportiert. Weil Czrnowitz jetzt ausblutet, hat der rumänische Bürgmeister für viele Juden Unabkömmlichkeitsbescheinigung ausgestellt. Damit können sie in Czernowitz bleiben.

Ich hoffe nur, dass es Euch in der Südbukowina besser geht. Dass es einmal so schlimm kommen wird, hätte ich nie gedacht. Die Nazis haben die deutsche Kultur und Geschichte verraten. 

Ich teile Euch die Anschrift von meinem Bruder in Amerika mit. Vielleicht kann er Euch helfen.

Ignatz Nussbaum

146 East Mullberry St.
New York

Was aus mir wird, weiß ich nicht. Vielleicht bringen sie mich um.

Passt gut auf Euch auf.

Euer Onkel Max

Mit zitternden Händen macht Dora den Brief von ihrem Onkel Max auf. Als sie ihn Willi vorliest, müssen beide weinen. »Was ist nur aus uns geworden?«, sind die Worte, die Dora an Willi richtet. »Dass die Nazis uns jetzt auch hier erreichen, ist eine Katastrophe«, antwortet Willi. Sie lesen den Brief immer wieder und überlegen: »Warum hat uns Onkel Max die Adresse von seinem Bruder mitgeteilt?«. Nach Tagen geht Willi ein Licht auf. »Was hältst du davon, wenn wir Onkel Ignatz schreiben. Vielleicht meldet er sich?«, schlägt Willi vor. Nachdem beiden klar ist, dass sie sich aus der momentanen Situation befreien müssen, schreiben sie Onkel Ignatz einen Brief. Mit der Bemerkung: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Brief ankommt und wir eine Antwort erhalten«, geben sie ihn auf dem Postamt auf.       

Es vergehen Monate bis sie eine Antwort erhalten. Von Onkel Max aus Czernowitz haben sie immer noch nichts gehört. Sie sitzen vor dem Haus auf der Bank, als Dora den Luftpostumschlag aus Amerika öffnet: »Ich kann noch nicht glauben, dass wir Post aus Amerika bekommen haben«, bemerkt Dora. Die krakelige Handschrift des Absenders ist schwer zu entziffern. Sie benötigen einige Zeit, um den Inhalt des Briefes zu lesen. Umso mehr sind sie erstaunt, dass der Onkel in Amerika genau weiß, was sich in Europa abspielt. Er schreibt:

„Ich danke Gott, dass ich vor fünfzig Jahren nach Amerika ausgewandet bin. Es muss ganz schrecklich sein, was ihr erlebt“,

sind weitere Worte. Was Dora und Willi überrascht ist der Satz:

„Ich überlege, wie ich Euch helfen kann“.

Willi und Dora können es nicht fassen, dass ihnen jemand, der so weit entfernt lebt, helfen kann. »Wir werden gleich antworten«, beschließen die beiden. »Es ist nur Schade, dass es sehr lange dauern wird, bis wir die Antwort erhalten«, sagt Willi zu Dora, als sie ihren Brief in der kleinen Poststube aufgeben. Auch wenn alles lange dauert, bleiben sie mit Onkel Ignatz in Kontakt. Inzwischen werden schreckliche Dinge über die Judenverfolgung in Czernowitz berichtet. Zu Tausenden werden jüdische Familien im strengen Winter nach Transnistrien auf Todesmärsche geschickt. Auch in Rumänien nimmt der Antisemitismus zu, weil die Nazis hier ihre Macht ausüben. Dora und Willi hoffen, dass ihrem Onkel in Amerika einfällt wie er sie befreien kann.

„Ich schicke Euch etwas Geld und zwei Schiffsfahrkarten von Constanza am Schwarzen Meer nach Bari in Italien“.

Da Rumänien kein Königreich mehr ist und sich die politische Lage dramatisch verschlechtert hat, kommen ihnen große Bedenken diese Reise überhaupt anzutreten.

„Ihr könnt versuchen von Bari in Italien in die Schweiz zu gelangen. Da solltet ihr sicherer sein“,

schreibt der Onkel an anderer Stelle.

Viele schlaflose Nächte vergehen, bis sich die Beiden dazu durchringen diese komplizierte Reise anzutreten. Denn bald verlieren die Schiffsfahrkarten ihre Gültigkeit. Heimlich kaufen sie Bahnkarten und packen ihre Koffer. Ihren Vermietern erzählen sie, dass sie eine Urlaubsreise antreten. »Wir müssen aufpassen, dass uns niemand sieht und wir mit den Koffern nicht auffallen!«, mahnt Willi zur Vorsicht. In dieser Zeit gibt es im Dorf bereits Spitzel, die Auffälligkeiten anzeigen. Aufgeregt treten sie ihre Bahnfahrt an. Sie sind erstaunt, als alles ohne Komplikationen verläuft. Noch mehr sind sie überrascht, als sie nach einem kurzen Aufenthalt in Constanza in das bereitstehende Schiff einsteigen können. Niemand nimmt von ihnen Notiz. Mit ihren Ausweisen und mit den gültigen Fahrkarten gelangen sie an Bord. Hier haben sie sogar eine kleine Kabine im Unterdeck des Schiffes. Schnell suchen sie diese auf, um darin zu verschwinden. Jetzt umarmen sich die Beiden, weil sie es bis hierher geschafft haben. Die lauten Motorgeräusche des Schiffs stören sie nicht. Auf dem Schiff nehmen sie die Mahlzeiten ein und tauchen schnell wieder in der Kabine unter. Nach tagelanger Fahrt legt das Schiff in Bari an. Es war Mai 1943, als sie mit Herzklopfen von Bord gehen. »Das hätten wir geschafft«, atmen die Beiden auf. »Wir kaufen am besten gleich die Fahrkarten für die Schweiz!«, schlägt Dora vor.

 Als sie auf dem Bahnhof in Bari zwei Bahnkarten nach Genf lösen, glauben sie es geschafft zu haben. Schon einen Tag später treten sie die Zugreise nach Genf an. Als sie nach mehreren Stationen in Mailand ankommen stellen sie fest, dass sie nicht direkt in die Schweiz ausreisen können. In dem kleinen Ort Sesto S. Giovanni ist erst mal Schluss. Hier angekommen müssen sie sehen, wie sie über die Schweizer Grenze kommen. Zum Glück haben sie noch etwas Bargeld und kommen so über die Runden. Die wunderschöne Landschaft erinnert sie immer wieder an die Bukowina. Bei längeren Aufenthalten in einem Dorf ganz in der Nähe finden sie Italiener, die sich bereit erklären sie schwarz über die grüne Grenze in die Schweiz zu bringen. »Wir müssen uns auf dieses Abenteuer einlassen, sonst kommen wir hier nicht raus«, stellt Willi fest. Mit ihren Koffern auf einem Eselgespann erreichen sie das Grenzgebiet. Die beiden Männer kennen sich hier gut aus und bringen die beiden schwarz über einen schmalen Waldweg über die Grenze. Sie geben den beiden Grenzführern einen größeren Betrag, als sie in einem kleinen Dorf in der Schweiz zurückbleiben.

Hier im Dorf fallen sie als Fremde auf. Sie haben aber Glück und finden beim Dorfbäcker eine Unterkunft und sogar Arbeit. In der Südschweiz fühlen sie sich sicher, obwohl der lange Arm der Nazi auch hier zu spüren ist. Trotzdem kommen sie zur Ruhe. Der schon etwas ältere Bäckermeister hat keine Kinder und ist froh, dass Willi und Dora bei ihm arbeiten. Seine kranke Frau kann ihn leider nicht unterstützen. Sie stehen schon sehr früh auf. Obwohl die Arbeiten in der Bäckerei für sie ungewohnt und anstrengend sind, sind sie froh, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. »Dora, ich habe mitbekommen, dass der Bäckermeister regelmäßig die Zeitung liest. Ich werde ihn fragen, ob er uns die alten Zeitungen überlässt«, stellt Willi fest. Auf diese Weise bekommen sie mit, was in der Welt geschieht. »Nur schreckliche Nachrichten stehen in der Zeitung«, weiß Willi zu berichten. Eines Morgens erinnert Dora Willi daran: »Jetzt, wo wir eine feste Anschrift haben, sollten wir uns bei Onkel Ignatz melden«. »Ja, wir sollten uns bedanken und ihm sagen, dass wir in der Schweiz untergekommen sind«, bestätigt Willi Doras Vorschlag. Sie raffen sich auf und antworten auf den vor Monaten in der Bukowina eingegangen Brief. In den Wintermonaten fällt viel Schnee in den Schweizer Bergen. »Weißt du, warum wir uns hier schnell heimisch gefühlt haben?«, fragt Willi eines Tages. »Ja, weil es hier wie in der Bukowina ist«, antwortet Dora, als sie aus dem Fenster ihres Zimmers die verschneiten Berge sieht. Ob das hier die Rettung für Dora und Willi ist und ob sie hier ihre Zukunft sehen, wird die Zeit und die weitere Entwicklung zeigen.

Ihr wunderbares Leben in der Schweiz sollte nicht länger anhalten. Obwohl der Bäckermeister mit seiner kranken Frau froh ist, dass Willi und Dora ihn fleißig unterstützen. Er hat für das Ehepaar sogar eine Wohnung ausfindig gemacht. »So viel Glück kann ich gar nicht fassen«, brach Dora in Freudentränen aus, als sie sich die Dreizimmerwohnung ansehen, die der Bäcker vermittelt hat. Willi nimmt sie in den Arm und macht ihr den Vorschlag: »Dann hat sich Mühe gelohnt. Von dem ersparten Geld können wir die Wohnung schön einrichten«. Aber jetzt haben sie wieder schlaflose Nächte. Sie haben es sich anders überlegt und werden weiter in den beiden Zimmern beim Bäcker wohnen bleiben. Als Juden sehen sie für ihre Kinder hier keine Zukunft. Es zeichnet sich ab, dass der Krieg bald zu Ende sein wird. Es macht sich eine wunderbare Stimmung bei ihnen breit. Als ihnen der Bäckermeister, der keine Kinder hat, eröffnet, dass sie später die Bäckerei übernehmen können, sollte ihr Glück vollkommen sein. Willi und Dora leben sicher und zufrieden in der Schweiz. Eines Tages stellt Dora aber fest: »Es ist wunderschön hier, was ist aber wenn wir Kinder bekommen? Es wird kompliziert sie hier nach unserem Glauben zu erziehen«. »Ja wir sind die einzigen Juden in diesem Ort. Ich glaube die Menschen wissen das hier gar nicht«, fällt Willi dazu ein. Seit diesem Tage reift, vor allem bei Dora, der Wunsch in das gelobte Land Israel auszuwandern. Ein Gedanke mit dem sie sich schon lange Zeit beschäftigten. Auch bei Willi, der darüber nachdenkt den jüdischen Glauben anzunehmen, reift die Sehnsucht nach Israel auszuwandern. Wieder haben Willi und Dora schlaflose Nächte, weil sie der Gedanke nach Israel auszureisen nicht loslässt. Nach langem hin und her fassen sie den heimlichen Entschluss, alles liegen und stehen zu lassen und nach Israel auszuwandern. Eine andere Möglichkeit sehen sie nicht.

Eines Tages kommt Dora mit der Information zu Willi: »Ich habe ein Schiff ausfindig gemacht, das mit Juden von Bari nach Israel fährt«. »Auszuwandern, jetzt wo unsere Welt in Ordnung ist, fällt mir schwer«, gibt Willi Dora zu verstehen. Das ist aber nur der Anfang ihrer Diskussion ist. Dora ist die treibende Kraft. »Wir haben doch genügend Geld zusammen und jetzt können wir Reisen wohin wir wollen«, versucht Dora Willi zu überzeugen. »Denk doch nur an unser Versprechen gegenüber dem Bäckermeister«, kontert Willi. Nach langem Hin und Her ist der Entschluss auszuwandern gefallen. Dora hat sich mit dem Schiffseigner in Verbindung gesetzt und die Zusage für zwei freie Plätze erhalten. Die Fahrkarten von der Schweiz nach Bari zu lösen, ist kein Problem. Wieder laufen Vorbereitungen um sich davon zu machen. Willi behagt das gar nicht. Alles soll geheim bleiben. Sie nehmen Urlaub und erzählen dem Bäckermeister, dass sie nach Italien in den Urlaub fahren. »Es ist doch kein Problem mit Koffern in den Urlaub zu fahren«, sagt Dora zu Willi, als es eines Tages soweit ist. »Ich hab ein mulmiges Gefühl«, gibt Willi Dora zu verstehen. Trotzdem brechen sie auf. Offiziell fahren sie nach Bari in den Urlaub. »Bari, hatten wir das nicht schon mal?«, kann sich Willi erinnern. Dora beruhigt ihn: »Aber dieses Mal ist alles anders«.

Die Abreise in den Italienurlaub ist so gelegt, dass sie gut das Schiff in Bari erreichen können. Dieses Mal müssen sie nicht schwarz über die Grenze. Sie müssen auch nicht im Dunkeln aus dem Haus schleichen. Alles ist offiziell. Ihre Bahnfahrt wird direkt in Bari enden. Alles klappt wie am Schnürchen, als sie in Bari auf dem Auswandererschiff an Bord gehen. Das Schiff ist voll mit israelischen Auswanderern, von denen viele gerade den Holocaust überlebt haben. Sie haben wieder eine Kabine gebucht, dieses Mal an Oberdeck. »Ich find es eigenartig hier. Hoffentlich ist das kein Seelenverkäufer«? gibt Willi Dora zu verstehen. Es scheint aber alles in Ordnung zu sein, als das Schiff in See sticht. Die Kost an Bord erinnert sie an Israel. Als Palästina in Sichtweite ist, geschieht etwas Sonderbares. Zwei englische Kriegsschiffe legen bei und englisches Militär kommt an Bord. Es steuert direkt auf den Kapitän zu. Beklommenheit macht sich bei den Passagieren breit. Willis Kommentar: »Ich hab geahnt, dass hier etwas nicht stimmt«, geht im Tumult unter. Niemand ahnt, dass die Briten ihre Finger im Spiel haben. Weil sie mit ihrem Mandatsvertrag für Palästina die Einrichtung einer Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina haben, sind sie mit den illegal eintreffenden Schiffen mit Juden überfordert. Sie bemächtigten sich dieser Schiffe und leiteten sie nach Zypern um. Die Engländer scheuen sich nicht Frachtschiffe zu versenken.  Nun verhindern die Engländer die Weiterfahrt ihres Selenverkäufers. An Bord ertönt plötzlich die Durchsage des Kapitäns, in der das Militär mitteilen lässt, dass das Schiff in Begleitung der englischen Kriegsschiffe in einem Hafen von Zypern anlegen wird. Das klingt wie eine Gefangennahme.  »Willi, das ist alles so schrecklich, was hier geschieht. Warum haben wir das nur gemacht«?, quillt es aus Dora heraus. Obwohl Dora und Willi bereits in Sicherheit waren, kommen jetzt wieder Ängste auf. Mit den anderen Schiffspassagieren sind sie sehr gespannt, was jetzt geschieht. Es dauert längere Zeit bis ihr Schiff einen zyprischen Hafen ansteuert. Im großen Durcheinander erfahren sie, dass sie als jüdische Einwanderer in ein Internierungslager gebracht werden. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, kann Willi noch sagen, als sich Dora blass vor Aufregung und einer Ohnmacht nahe an ihm festhält. »Es ist nicht zu verstehen, dass uns judenfreundliche Briten in ein Lager stecken«, sagt Willi. Nun geht alles wieder von vorn los. Auf engstem Raum leben sie mit vielen Landsleuten zusammen. Obwohl sie gut versorgt werden, begreifen sie die Situation nicht. Sie wissen auch nicht, wie lange sie festgehalten werden. 

Es ist das Jahr 1947. Die Engländer bringen weitere Schiffe auf. Sie müssen weitere Lager einrichten, weil immer mehr Menschen, darunter viele Juden die den Holocaust überlebt haben, unterbringen müssen. Auch viele Kinder und Jugendliche befinden sich unter ihnen. Im Lager werden täglich Kinder geboren. Berichte von Lagerinsassen, die den Holocaust überlebt haben, zermürben Willi und Dora. Ihnen geht es psychisch und physisch schlecht. »Wie konnten wir nur diesen Fehler machen«?, wirft Willi Dora an den Kopf, die nun ganz verzweifelt ist. Die Zustände im Lager werden immer schlechter. Die Engländer scheinen überfordert zu sein. Inzwischen hat auch die Welt von den katastrophalen Zuständen auf Zypern erfahren und übt weiter Druck auf die Briten aus. Im Lager spricht man von Schiffen, die durchgekommen sind. Auch das Juden wieder in die Herkunftsländer gebracht werden sollen. Über Fünfzigtausend Juden sitzen in den Lagern fest. Die Geschehnisse in den Lagern und die bekannt gewordene Operation Oasis, mit der Zwangsrückführung der Juden in ihre Herkunftsländer, führen zum Ende der Mandatszeit der Engländer in Palästina und zur Unabhängigkeit Israels. Im Jahre 1948 werden die Lager auf Zypern aufgelöst. Willi und Dora können jetzt nach Israel ausreisen. Am Ende treten die Engländer ihr Mandat an die UN ab, und es entsteht offiziell der Staat Israel. Von nun an geht es ihnen besser. Bald können sie mit einem Schiff nach Israel ausreisen. Die Odyssee ist aber noch nicht zu Ende. Nur durch die Ehe mit Dora gelingt es Willi neben dem jüdischen Glauben auch die israelische Staatsangehörigkeit anzunehmen. In dieser Zeit kann Israel den Massenansturm der Emigranten kaum bewältigen. Da Dora den Kontakt zu ihren Verwandten in Israel nicht abreißen ließ, können sie bei einer Cousine von ihr unterkommen. Mit dem Mitgebrachten versuchen sie in der neuen Heimat zu Recht zu kommen.

Da sie als Czernowitzer in einer Stadt leben möchten, haben sie von Anfang an ein Auge auf Tel Aviv geworfen. Dass sie in der Schweiz das Bäckerhandwerk erlernt haben verschafft ihnen vielleicht einen Vorteil. Sie versuchen Arbeit zu bekommen. Eines Tages finden sie ein älteres Ehepaar, die Besitzer einer Bäckerei sind. Sie bekommen Arbeit und ein möbliertes Zimmer. Aller Anfang ist schwer, auch in Tel Aviv. Mit der Aussage: »Dass wir wieder früh aufstehen müssen, nehmen wir gerne in Kauf«, beginnen sie ihre neue Arbeit. »Ich hätte nicht gedacht, dass der Unterschied zur Arbeit in der Schweiz so groß ist«, kommentiert Willi den neuen Job. Da das Bäckerehepaar mitarbeitet, fallen auch Willi und Dora die Arbeiten nicht schwer. Nun arbeiten sie schon ein Jahr fleißig in der Bäckerei. Mitten in der Stadt ist es viel hektischer als in dem Schweizer Dorf. Koschere Backwaren kennen sie zwar aus Czernowitz, aber an Vieles müssen sie sich gewöhnen. »Mir macht die Arbeit in der Backstube Spaß. Jetzt kann ich auch koscher backen«, erzählt Willi eines Tages seiner Frau. Dora steht jetzt häufiger am Verkaufstresen, da sie ihre Sprachkenntnisse inzwischen verbessern konnte. Willi und Dora haben sich schnell an das jüdische Leben gewöhnt. »Was uns noch fehlt, ist eine Wohnung«, stöhnt Dora Willi vor. Bei Gesprächen mit Kunden am Verkaufstresen bringt Dora immer wieder ihr Interesse an einer Wohnung ein. Tatsächlich vermittelt eines Tages eine Kundin Dora eine schöne Wohnung. Sie schlagen sofort zu, denn Wohnraum ist hier knapp.  Sie sind außer sich vor Freude, als sie sich die neue Wohnung ansehen. Sie erstellen eine große Skizze von der Wohnung, und richten sie mit Pappschablonen ein. »Jetzt wissen wir, welche Möbel wir kaufen können«, strahlt Dora. Willi  ergänzt: »Ich kann die Zeit nicht mehr abwarten, dass wir in unsere neue Wohnung ziehen«. Sie haben es nicht weit bis zum nächsten Möbelhaus. In dem großen Möbelgeschäft finden sie alles was sie suchen. »Lass uns die Wohnung herrichten, bevor die Möbel kommen«, schlägt Willi vor. Mit Freude machten sie sich an die Arbeit. Jetzt arbeiteten sie Tag und Nacht. Sie sind gerade fertig geworden, als das Möbelhaus die Auslieferung der Einrichtung ankündigt. Es ist ein wunderschöner Tag und die Sonne scheint, als sie den Möbelträgern ihre Anweisungen erteilen. »Fällt dir auf, dass wir für ein Zimmer keine Möbel ausgesucht haben«?, fragt Dora verschmitzt. »Stimmt, warum eigentlich«?, fragt Willi. Dora muss schmunzeln und erwidert: »Mal sehen, was uns noch einfällt«? Zur Einweihung ihrer Wohnung laden sie den Bäckermeister mit Frau, ihre Cousine und auch die neuen Freunde ein. »Siehst du!«, sagt Dora spitzbübisch zu Willi, »jetzt können wir das leere Zimmer für die Einweihungsfeier nutzen«.  Als Dora Willi eines Tages mit der Feststellung umarmt: »Ich weiß jetzt, warum wir das Zimmer nicht eingerichtet haben«, fällt auch ihm die Antwort ein: »Wir bekommen Nachwuchs«! Die nächsten Monate vergehen wie im Fluge. Sogar der Bäckermeister lässt sich zu der Aussage hinreißen: »Es wird bestimmt ein Junge«. Die beiden vermuten: »Der Bäckermeister denkt bestimmt an einen neuen Lehrling«. Inzwischen werden die Tage wieder länger und die Zeit der Niederkunft naht. Es ist März 1950, als Dora einen gesunden Jungen zur Welt bringt. Willi ist jetzt außer sich vor Freude. Inzwischen haben sie auch das dritte Zimmer als Kinderzimmer hergerichtet. Als die glückliche Mutter aus dem Krankenhaus nach Hause kommt, kann sie den strammen Jungen in die bereitstehende Wiege mit dem blauen Himmel legen. Die beiden können ihr Glück immer noch nicht fassen. Auch die Bäckerei nimmt gern in Kauf, dass sich Dora in nächster Zeit um das Kind kümmern wird.