Czernowitz: Politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Bukowina und Heimatstadt vieler Nationalitäten, Czernowitzer Ethnien im Fokus, 1774 – 1940
- Vorwort
- Erste Spuren und Aufstieg der Stadt Czernowitz (Bukowina)
- 1774-1940: Die 5 größten Czernowitzer Nationalitäten: Deutsche, Juden, Polen, Rumänen und Ukrainer
- Wandlung der Stadt Czernowitz zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der Bukowina
- Die deutsche Sprache und die Präsenz der unter österreichischer Herrschaft angesiedelten Deutschen in der Bukowina
- Der polnische Bevölkerungsanteil der Stadt Czernowitz
- Ruthenen (Ukrainer) und Rumänen – die großen Ethnien der Bukowina und der Stadt Czernowitz – ihre Wurzeln und gemeinsamen Beziehungen in vorösterreichischer Zeit
- Wesentliche Bezüge des Rumänentums zur Stadt Czernowitz
- Ruthenen (Ukrainer) in Czernowitz und ihre kulturellen und politischen Bezüge zur Stadt
- Die Juden in Czernowitz und ihre kulturellen und wirtschaftlichen Bezüge zur Stadt
- Weitere ethnische Minderheiten in Czernowitz
- Nachtrag
- Czernowitz und die Bukowina zwischen den Weltkriegen
- Kulturelle Verbindungen der Stadt Czernowitz zu Rumänien und Deutschland
- Verwendete Literatur und Quellen
Vorwort
Die nachfolgende Darstellung versucht den Mikrokosmos, als den man die Stadt Czernowitz auch bezeichnen könnte, wie durch ein Prisma zu beleuchten, Interessierten einen ersten geistigen Zugang zu jener fruchtbaren Symbiose mehrerer Ethnien zu ermöglichen und Verständnis für die seinerzeitige Bedeutung und das Umfeld dieser Stadt und ihrer damaligen Bewohner zu wecken.
Die Konzentration auf wenige wesentliche Aussagen führt verständlicherweise dazu, dass vieles unausgesprochen bleibt. Man möge uns dies verzeihen. Es ist auch nicht Zweck dieser Ausarbeitung “in Sachen Czernowitz” auf allen Hochzeiten zu tanzen. Dafür ist die Thematik viel zu komplex und umfangreich. Vielmehr versuchen wir, Lesern Anreize zu geben, eigenständig – je nach Interessenlage – zu entscheiden, in welchen Bereichen sie sich durch Besorgung einschlägiger Informationen vertiefende Kenntnisse aneignen wollen.
Erste Spuren und Aufstieg der Stadt Czernowitz (Bukowina)
Czernowitz – Regionale Definition
Die heute zum ukrainischen Staatsgebiet gehörende Stadt Czernowitz (ukr. Černivci, rum. Cernăuţi, dt. Czernowitz, poln. Czerniowze) – von 1775 bis 1918 Hauptstadt des am östlichen Karpatenbogen gelegenen seinerzeit österreichischen Herzogtums Bukowina, des kleinsten und multinationalsten Kronlandes der k. k. Monarchie – (Zusatzanmerkung: davor waren die Bukowiner Territorien Teil des 1359 gegründeten Fürstentums Moldau (Moldawien)) “liegt am Schnittpunkt großer Handelsstraßen und strategischer Verkehrswege aus dem Norden und Osten, an einer uralten Furt, am südlichen Ufer des Flusses Pruth. Bei Czernowitz kreuzen sich Wege, die in westlicher Richtung nach Polen, Deutschland und Ungarn und in südlicher Richtung über Suczawa in das frühere Byzantinische Reich oder nach Siebenbürgen führen.” (7) sh. S. 896
Erste Spuren der Stadt Czernowitz
Die ersten Spuren und die Entstehungsgeschichte dieser Stadt reichen viele Jahrhunderte zurück. Im Verlauf der Zeiten unterlag sie wechselnden politischen Zugehörigkeiten, die sich auf die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung ausgewirkt und die Kultur der Bewohner geprägt haben.
In einem in kirchenslawischer Sprache verfassten Handelsfreibrief aus dem Jahre 1408, den Alexandru cel Bun, Wojewode des damaligen Fürstentums Moldawien, Lemberger Kaufleuten ausgestellt hat, wird Czernowitz als Zollstelle benannt.
“Dass sie noch älteren Datums ist, geht aus einem Städteverzeichnis des ruthenischen (ukrainischen) Fürstentums Halytsch aus dem 12. Jahrhundert hervor, in dem “Cern – Askyi” am Pruth, “Soczava” und “Sereth” aufgezählt werden, unter welchem erstgenannten Orte wohl mit Recht Czernowitz vermutet werden kann” ( 6 ) sh. S. 4
Übergang der Bukowina und der Stadt Czernowitz in den Besitz der Habsburger Monarchie
– Vorsprung auf dem Weg zur westlichen Kultur –
Der sich im Laufe der Jahrzehnte beschleunigende Aufstieg der Stadt beginnt erst nach der Besetzung nördlicher Teile des seit 1514 unter türkischer Oberhoheit stehenden Fürstentums Moldawien durch die habsburgischen Truppen im Herbst 1774 (damals zählte die Stadt mit ihren Vororten keine 2.000 Einwohner), der kurz darauf folgenden Angliederung jenes von Österreich von dem Zeitpunkt an auch offiziell als “Bukowina” benannten Teilgebietes an das Habsburger Reich und der vorausschauenden anreizgebenden und klugen Besiedlungspolitik der Wiener Reichsregierung.
Dieser Schritt – von rumänischer Seite später oft als “Raub der Bukowina” bezeichnet – bewahrte die Bukowina vor dem Schicksal einer Eingliederung in das Russische Reich, brachte Österreich die erwünschte strategische Landverbindung zwischen Siebenbürgen und dem neu erworbenen Galizien und verschaffte dem Land gegenüber den Donaufürstentümern Moldawien und Walachei, die sich 1859 zum selbständigen Staat Rumänien zusammenschlossen und erst 1877/1878 die Unabhängigkeit von der Türkei erringen konnten, einen rund 100-jährigen Vorsprung auf dem Weg zur westlichen Kultur.
“Die 1774 in die Bukowina eindringenden und das Land annektierenden Habsburger waren mit ihrer Reformpolitik ein Novum, eine Kraft, die Veränderungen nicht nur herbeigeführt, sondern bewusst angestrebt hat. Die Anstrengungen, den Ostrand dieses Reiches zu halten, erheischten Initiativen, die auch dem Städtewesen zugute kamen. Damit fanden Czernowitz und die Bukowina (wie das benachbarte Galizien) Anschluss an den Donauraum, der eine anders geartete Tradition aufwies.” ( 4 ) S. 2
Die aufgrund kaiserlicher Verfügung vom 6. August 1786 und gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung vollzogene verwaltungsmäßige Vereinigung der Bukowina mit dem Königreich Galizien-Lodomerien, (entstanden 1772, nach der Ersten Polnischen Teilung, bei der dieses Gebiet an Österreich fiel) – allerdings als eigener Kreis – , die 63 Jahre aufrecht erhalten wurde, nahm auf die besonderen historischen Gegebenheiten der Bukowina in ethnischer und religiöser Hinsicht wenig Rücksicht und führte aufgrund der Dominanz politisch maßgebender polnischer Kreise in der galizischen Hauptstadt Lemberg zu für die Bukowina unvorteilhaften demographischen, politisch-administrativen und religiös-kulturellen Folgen. Diese wirkten sich – im Gegensatz zu den ersten 12 Jahren der österreichischen Periode – hemmend auf Teile der weiteren Entwicklung in der Bukowina aus.
Zur Trennung von Galizien und Gründung des selbständigen Herzogtums Bukowina gab der Rumäne Eudoxius von Hormuzaki, Nachkomme einer angesehenen Bojarenfamilie griechischer Herkunft mit Besitz in der Nordbukowina, den Anstoß, indem er eine an den Kaiser gerichtete Petition verfasste und diese, mit zahlreichen Unterschriften versehen, am 3. August 1848 der Reichsverwaltung überreichte. Die Hauptforderungen beinhalteten “Wahrung der Nationalität”, “Bewilligung eines eigenen Landtages mit Sitz in Czernowitz” sowie eine “eigene Provinzialverwaltung”. (12) sh. S. 17 – Nach einer weiteren Petition und Bittschrift nach der Thronbesteigung von Kaiser Franz Joseph I. bekam die Bukowina am 14. März 1849 die Eigenschaft eines autonomen Kronlandes mit dem Titel eines Herzogtums zugesprochen.
1774-1940: Die 5 größten Czernowitzer Nationalitäten: Deutsche, Juden, Polen, Rumänen und Ukrainer
Wandlung der Stadt Czernowitz zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der Bukowina
– multiethnisches Kulturmilieu und Toleranz –
Die heranwachsende Generation nach 1848 war unter dem Einfluss wegweisender Kulturträger der großen Ethnien des Landes, “die in Czernowitz ein spezifisches Kulturmilieu erzeugten und die Jugend, die sich auch aus dem Umland rekrutierte, mit westlichen und östlichen ästhetischen Vorbildern sowie Volkstraditionen bekannt machten, gebildeter, fortschrittsbetonter, demokratischer und kulturell aufgeschlossener als die vorherige Generation.” (8) sh. S. 29
Obwohl in der Stadt rund ein Dutzend Ethnien lebten – wenn auch jede auf ihre Art und Weise – die verschiedensten Glaubensrichtungen angehörten, “es lebten hier friedlich nebeneinander griechisch – orthodoxe, evangelische, römisch -, griechisch – und armenisch – katholische Glaubensgemeinschaften, sowie die israelitische Kultusgemeinde, verlief das städtische Leben ohne gravierende Probleme. Das Bild der Hauptstadt wurde in erster Linie durch die Volksgruppen des deutschsprachigen Blocks, zu dem neben den Deutschen des Landes auch die Juden gezählt wurden, sowie durch die Volksgruppen der Ukrainer, Polen und Rumänen bestimmt.
“Da keine Nationalität in der Bukowina die absolute Mehrheit besaß, waren auch außerhalb des Landtages in der ganzen Bukowina Umgangsformen und Spielregeln zu beachten, die sehr viel Toleranz und Rücksichtnahme deshalb erforderlich machten, weil keine der Gruppierungen den Zusammenschluss der übrigen gegen sich herbeiführen und damit praktisch zur Minderheit gemacht werden wollte.” (12 ) S. 159 Schon aus diesem Umstand allein ergaben sich in der Regel gute gegenseitige Beziehungen.
Czernowitz entwickelte sich zu Zeiten Österreichs zum Herzen der Bukowina. Hier befanden sich die wichtigsten Verwaltungs- und Bildungszentren. Von dieser Stadt gingen – unter Führung Österreichs und beispielhaftem und beständigem Einsatz der Deutschen unter Einbeziehung der übrigen Ethnien das Landes – entscheidende Impulse für die politische, geistige, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung des Landes und seiner Bewohner aus.
Die Stadt mit ihrer Umgebung wuchs zum größten Handelszentrum des Landes heran, war Verwaltungssitz des “Griechisch-Orientalischen Religionsfonds” – des größten Grundbesitzers und Wirtschaftsbetriebes der Bukowina ( bis zu 28.000 Beschäftigte, zumeist Deutsche)-, war eine große Garnisonstadt, besaß ab 1873 ein eigenständiges Erzbistum mit Sitz des Metropoliten von Czernowitz, dem alle Orthodoxen der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder unterstellt waren und erlangte als bedeutende Universitätsstadt einen weit über die Grenzen der k. k. Monarchie hinausgehenden Bekanntheitsgrad.
Das geistige Leben erhielt durch die Gründung der Francisco-Josephina-Universität im Jahre 1875 – der östlichsten deutschsprachigen Universität – entscheidenden Auftrieb. An den beiden weltlichen Fakultäten (Jurisprudenz und Philosophie) wurden die deutsche Vortragssprache und die neugeschaffenen Lehrkanzeln für die rumänische und ruthenische (ukrainische) Sprache und Literatur gesetzlich festgelegt. An der Theologischen Fakultät wurden für die Lehrkanzeln für praktische Theologie die rumänische und die ruthenische Unterrichtssprache zugelassen. Aufgrund der Ausrichtung nach westlichem Muster, den auch international bekannten, aus dem gesamten deutschen Sprachraum kommenden qualifizierten Professoren und der deutschen Vortragssprache, bildete die Universität und an ihr vor allem die Griechisch – Orthodoxe Theologische Fakultät einen ganz besonderen Anziehungspunkt für das benachbarte Ausland und genoss – weit über die Monarchie hinaus – hohes Ansehen. Vielen orthodoxen Ländern und deren Kirchen und Theologen diente die Czernowitzer Universität als Beispiel zum Aufbau eigener Strukturen.
Die in Nationalitätenfragen vorsichtige Politik Österreichs trug darüber hinaus zu einem guten Teil zur Entfaltung eines geordneten gemeinschaftlichen Lebens bei.
“Die vielleicht bedeutendste politische Leistung aus den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war der “Bukowiner Ausgleich” von 1910. Er diente nicht nur dem Ziel, die Interessen der sich im Alltag oft widerstreitenden Nationalitäten und Konfessionen besser aufeinander abzustimmen, sondern auch dazu, die sozialen Spannungen zu befrieden, zwischen den armen Bauern, den relativ reichen Grundbesitzern (in der Masse Rumänen), der z. T. rasch vermögend gewordenen Kaufmanns- und Handelsschicht (meist jüdischer Herkunft) und dem entstehenden Proletariat.” ( 9 ) sh. S. 86
Stadt Czernowitz – Ringplatz, Markt, Rathaus (Anfang des 20. Jh.) –
links das seinerzeitige Hotel und Cafe Bellevue
rechts, mit erhöhtem Dach, die seinerzeitige Bukowiner Sparkasse
Foto: “Bukovyna po Nepovtornych Miszjach”, Černivci 2002
Die deutsche Sprache und die Präsenz der unter österreichischer Herrschaft angesiedelten Deutschen in der Bukowina
Obgleich auf die Deutschen in der Bukowina gemäß der Volkszählung von 1910 nur einen Anteil von 9,2 % entfiel, wirkten sie im Land und besonders in der Hauptstadt, wo ihr Gesamtanteil höher war, als regulierender, ausgleichender Faktor. 1910 setzte sich die Einwohnerschaft in Czernowitz aus 17,5 % Ukrainern, 17,1 % Polen, 15,4 % Rumänen, 14,7 % Deutschen, 32,8 % Juden und 2,5 % Angehörigen anderer Nationalitäten zusammen.
“Im Gegensatz zu Galizien, wo seit 1867 in polnischer Sprache amtiert wurde, war bis 1918 in der Bukowina die Amtssprache Deutsch. Folglich wurden die Schulen auch in jenen Orten, in denen die Einwohner nur einer Nationalität angehörten, was häufig bei Rumänen und Ruthenen (Ukrainern) der Fall war, zweisprachig geführt, d. h. in der jeweiligen Muttersprache und in Deutsch. In national gemischten Gemeinden, so z. B. in rumänisch-ukrainischen, gab es die sogenannten Trivialschulen, wo ebenfalls in Deutsch und in der jeweiligen Muttersprache unterrichtet wurde. Deutsch war also die Umgangssprache zwischen den Nationalitäten und erfüllte in der Bukowina dieselbe Funktion wie etwa das Englische in Indien.” (12 ) S. 102 Das Ukrainische und Rumänische wurden ab 1848 als Landessprachen anerkannt. Die meisten Czernowitzer verstanden und beherrschten mehrere Sprachen.
In der Verwaltung, unter der Beamtenschaft und im Schulsektor spielten die Deutschen eine führende Rolle. Neben den innerstädtischen Deutschen der Hauptstadt Czernowitz “waren die im nahen Dorf Rosch angesiedelten Deutschen, die sog. Roscher Schwaben, meist Gemüsebauern, das ethnisch stabilste Element der Deutschen in der Stadt und haben nicht wenig zum späteren “deutschen Bild” der Stadt beigetragen. Rosch war nicht nur die älteste, sondern auch die größte der insgesamt neun Stammkolonien der sogenannten Schwaben in der Bukowina, eigentlich aus ganz Südwestdeutschland stammenden, meist evangelischen Bauern, die eine pfälzische Ausgleichsmundart sprachen.” ( 9 ) sh. S. 82
Der polnische Bevölkerungsanteil der Stadt Czernowitz
“Weiter zurückliegende Beziehungen Polens zur Bukowina und zur Stadt Czernowitz gehen in der Erinnerung der Polen auf den Zeitraum ab 1340 zurück, als das westukrainische Fürstentum Halytsch-Wolhynien, dem zu damaliger Zeit auch Territorien der Nordbukowina angehörten, seine Souverenität verlor und in das Gefüge des mächtigen litauisch-polnischen Herrschaftsbereiches einging. Erst etwa um 1500 klärten sich die endgültigen Besitzverhältnisse bezüglich dieser nordbukowinischen Teilgebiete zu Gunsten des Fürstentums Moldawien.” ( 7 ) sh. S. 143
Die Zahl der Polen vermehrte sich in österreichischer Zeit durch Zugänge von Beamten, Geistlichen, Handwerkern und Soldaten, hauptsächlich also durch Personen des dienenden Standes.
Gefördert wurde diese Entwicklung durch die 1786 vom Kaiser verfügte Union der Bukowina mit Galizien, die erst 1849 aufgelöst wurde. Auf diese Zeit ist auch die Schreibweise der Bukowiner Ortsnamen polnischer Orthographie zurückzuführen, so Czernowitz statt Tschernowitz, Suczawa statt Sutschawa oder rumänisch Suceava.
“Das schwere Schicksal der Flüchtlinge aus dem russischen Teilungsgebiet, die nach der Niederlage des polnischen Aufstandes von 1863 (polnischer Januaraufstand im russisch besetzten Kongreßpolen) in die Bukowina gelangten, sowie die Tatsache, dass das Polnische nicht zu den Landessprachen zählte, führte dazu, dass sich die polnische Intelligenz, insbesondere auch die Geistlichkeit, die Stärkung der ethnischen Bindungen und die Förderung der polnischen Sprache und Geschichte zum vornehmsten Ziele setzte. Immerhin hatte das Polnische das Prestige, im moldawischen Fürstentum als eine der ehemaligen Kanzleisprachen gegolten zu haben. Die polnische Sprache gewann dadurch zu Zeiten Österreichs in der Stadt eine inoffizielle Position und ein gewisser Grad an Kenntnis gehörte zum sogenannten guten Ton in den
Oberschichten.” ( 3 ) sh. S. 132 – 137
“Fast die Hälfte der gesamten polnischen Gemeinde in Czernowitz bildeten die Handwerker, die auch den Kern der übernationalen Zunftorganisationen stellten.” (3 ) S. 136
Ruthenen (Ukrainer) und Rumänen – die großen Ethnien der Bukowina und der Stadt Czernowitz – ihre Wurzeln und gemeinsamen Beziehungen in vorösterreichischer Zeit
– Kyjiver Rus’, Fürstentum Halytsch – Wolhynien, Fürstentum Moldawien, Stefan cel Mare. –
“Die Dörfer in der Umgebung der Stadt Czernowitz sind, wie die Mehrzahl der Dörfer in der Nordbukowina, vorwiegend ukrainisch besiedelt gewesen.” —- „Die meisten Ukrainer waren im 18. Jahrhundert Handwerker, Arbeiter, Kleinhändler und abhängige Bauern und konnten dieser Herkunft halber auf die Stadtverwaltung keinen großen Einfluß ausüben.” ( 2 ) S. 45 In vorösterreichischer Zeit gab es in der Bukowina praktisch kaum eigenständige Bauernhöfe. Der Grundbesitz befand sich bis auf wenige Ausnahmen in den Händen zumeist in der südlichen Moldau residierender überwiegend rumänischer Großgrundbesitzer und der griechisch – orthodoxen Klöster.
Zu den zahlenmäßig großen Volksgruppen des Landes zählten die bereits seit Jahrhunderten dort ansässigen Ethnien der Ruthenen (Ukrainer) und Rumänen. Beide haben geschichtliche Wurzeln auf Bukowiner Boden, die im Falle der Ruthenen bis vor den Übergang vom ersten zum zweiten Jahrtausend und in die Zeiten der Zugehörigkeit von Bukowiner Territorien zum Gefüge des damaligen Reiches der Kyjiver Rus’ sowie des nachfolgenden ruthenischen (ukrainischen) Fürstentums Halytsch-Wolhynien und im Falle der Rumänen bis zur zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts (erste Spuren der rumänischen Ethnie östlich der Karpaten) und der Gründung des Fürstentums Moldawien im Jahre 1359, sowie dessen Erweiterungen und Höhepunkt unter Stefan cel Mare (1457-1504) zurückreichen.
“Die alten ukrainisch-moldawischen, d. h. ukrainisch-rumänischen Beziehungen gehen vor allem auf den gemeinsamen orthodoxen Glauben zurück. Die rumänische Kirche des Fürstentums Moldowa war bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts der Metropolie von Halytsch unterstellt. Aber auch nach Gründung einer eigenen orthodoxen Metropolie im Fürstentum Moldowa, etwa um 1400, haben zwischen den bukowinischen Klöstern und galizischen orthodoxen Zentren gute Beziehungen bestanden. Dies rührte auch von engen familiären Verbindungen zwischen ukrainischen und moldauischen Bojarenfamilien her, die bis etwa ins 17. Jahrhundert fortbestanden haben“ ( 5 ) S. 115 – 116
Die Unterstellung Moldawiens unter die Oberhoheit der Türkei (ab 1514) und die Verlagerung des moldawischen Regierungssitzes von Sučava nach Jassy (ab 1564) brachten die Einflussmöglichkeiten ruthenischer Kreise am moldawischen Fürstenhofe zum Erliegen.
Wesentliche Bezüge des Rumänentums zur Stadt Czernowitz
Nach Besitzergreifung der Bukowina durch Österreich (1774) und nachfolgender vertraglicher Besiegelung dieses Schrittes zwischen der Türkei und Österreich stellte sich die Lage für die Rumänen, nach einer mehrjährigen Übergangszeit, in der eine Anzahl von Bewohnern das Land Richtung Moldawien verließ, insofern bevorzugt dar, “als die Bojaren und der hohe Klerus ihr Interesse, an der Verwaltung des Landes mitzuwirken, vorbringen konnten, wobei der Garantie bisheriger überkommener Rechte und Privilegien keine unmaßgebliche Rolle zukam. Vasile Bals, der vom Kaiser zum Mitglied des Militärrates in Czernowitz und von 1783 an zum Hofkriegsrat in Wien berufen wurde, wurde zum wichtigsten politischen Vertreter der Bukowiner Rumänen und Vorreiter ihrer Autonomiebestrebungen”. ( 1 ) sh. S. 69 – 71
“1821 wurde Czernowitz der Zufluchtsort vieler Moldauer, die vor den Aktionen der griechischen Eteria bzw. vor der türkischen Armee flohen. —- Der unmittelbare Kontakt zwischen den Repräsentanten der bukowinischen Rumänen und der moldauischen politischen Elite belebte den politischen Gedankenaustausch und trug, wie zumindest aus den Berichten einiger ausländischer Reisender hervorgeht, die am Ende der 1830er Jahre in Czernowitz weilten, zur beiderseitigen Weckung des Nationalbewusstseins bei.” (1) sh. S. 73 u. 74
“Die Bedeutung von Czernowitz für das Rumänentum geht auch auf das Theologische Institut zurück, das auf Betreiben des rumänischen orthodoxen Klerus und besonders Bischof Isaia Balosescus im Oktober 1827 seine Pforten öffnete. Es übte auf die kulturelle Emanzipation der bukowinischen Rumänen einen starken Einfluss aus.” (1) S. 74
Zusatzanmerkung: “Als im Jahre 1789 Daniel Wlachowicz, ein von den Österreichern aus Karlowitz zum Lehrer an die Klerikalschule berufener gelehrter serbischer Theologe, zum Bischof der Bukowina ernannt wurde, verlegte er diese Priesterschule von Suczawa nach Czernowitz. 1818 wurde die Schule geschlossen. 1827 erfolgte dann die Einbeziehung der seinerzeitigen Priesterschule in die neue theologische Lehranstalt. Beide wurden 1875 als Thelogische Fakultät der Francisco-Josephina-Universität eingegliedert.” ( 12 ) S. 22
“Das Jahr 1848 und dessen direkte Folgen haben Czernowitz zum Zentrum der politischen Bewegung im bukowinischen Rumänentum gemacht.” Der Siebenbürger Lehrer für rumänische Sprache und Literatur, Aron Pumnul ( Begründer der phonetischen rumänischen Schreibweise – offizielle Einführung 1862), der sich zu jener Zeit in Czernowitz niederließ, “wurde zu einem der Hauptakteure des rumänischen Kulturlebens und beeinflußte das Nationalbewußtsein vieler jugendlicher Intellektueller aus der Bukowina und aus den übrigen rumänischen Gebieten.” (1) sh. S. 74 u. 7
Ruthenen (Ukrainer) in Czernowitz und ihre kulturellen und politischen Bezüge zur Stadt
Nutznießer kultureller und politischer Freiheiten waren aber auch die Ruthenen (Ukrainer): “Sie hatten im Gegensatz zu den Rumänen im neuen Kronland Bukowina anfangs kaum etwas zu sagen (Zusätzliche Anmerkung, nicht vom Verfasser: weil sie im Laufe der moldawischen Periode und damit einhergehender, teilweiser Assimilierung ihre oberen Führungsschichten verloren hatten, ihrer Sprache kein gleichwertiger Platz eingeräumt wurde und sie so gut wie gar nicht unter dem stimmberechtigten Adel und den Großgrundbesitzern vertreten waren) und erst die österreichische Verwaltung und die Deutschen ermöglichten es ihnen, ihr eigenes kulturelles Leben zu entfalten, das ihnen sowohl in dem von Polen beherrschten Galizien als auch in der russischen Ukraine weitgehend versagt war.” (12) S. 142
Während der Unterstellung der Bukowina unter die Verwaltung Galiziens mit seiner Hauptstadt Lemberg gab es – vor allem ab 1815 – keinen Raum für das Ruthenische, das nicht als Landessprache anerkannt wurde. Wie die Rumänen, so gehörten auch die Ruthenen der Griechisch-Orthodoxen Kirche an. Da die Rumänen die Hand auf dem Säckel des Griechisch-Orientalischen Religionsfonds hielten – sie betrachteten ihn als ihr spezifisches Eigentum – und ihren bisherigen Einfluß in der kirchlichen Organisation nicht mit den Ruthenen teilen wollten, waren die Ruthenen gezwungen, eigene finanzielle Strukturen zum besseren Unterhalt ihrer Kichengemeinden zu entwickeln und sich in kirchlichen und häufig auch in kulturellen und politischen Angelegenheiten auf ihnen zustehende gesetzliche Rechte zu berufen. Der Frühling der Völker, die Revolution von 1848 und deren Nachwirkungen in den Folgejahren, rückten hier, wenn auch zunächst recht zäh, einiges zurecht.
“An der 1875 gegründeten deutschsprachigen Universität haben die Lehrstuhlinhaber des neuen leistungsstarken Lehrstuhls für die ruthenische Sprache und Literatur sehr viel zur Entwicklung der ukrainischen Sprache und Literaturwissenschaft beigetragen. Professor Stepan Smal’-Stockyj verfasste das Buch Bukovynska Rus’ (Die bukowinische Rus’), das die erste geschichtliche Darstellung des nationalkulturellen Lebens der bukowinischen Ukrainer darstellt.” (2) sh. S. 50
“Am Anfang des 20. Jahrhunderts war die Bukowina – und hier speziell Czernowitz – jener Ort, wo der Druck und die Verbreitung der Werke ukrainischer Schriftsteller von jenseits des Dnjepr und aus Galizien herauskamen bzw. wo zahlreiche Werke der westeuropäischen und amerikanischen Literatur ins Ukrainische übersetzt worden sind. Dies hatte umso mehr Bedeutung, als die Herausgabe von ukrainischen Büchern im benachbarten Zarenreich seit 1876 so gut wie verboten war”. (2) S. 49
An der Universität studierten bekannte ukrainische Literaten, Wirtschaftler und Politiker.
„Häufige Besuche politischer und kultureller Größen aus Galizien und aus der russischen Ukraine zeugten von zunehmender Wichtigkeit der Stadt Czernowitz für das Ukrainertum.“ (2) S. 51
Die für die Nationalbewegungen geltenden Rahmenbedingungen innerhalb Österreichs trugen somit nicht nur dazu bei, Czernowitz zum Zentrum der politischen Bewegung der Rumänen zu machen, sondern führten auch dazu, dass sich Czernowitz zu Beginn des 20. Jahrhunderts,nach Kiew und Lemberg, zum drittwichtigsten Zentrum des Ukrainertums entwickelte.
Die Juden in Czernowitz und ihre kulturellen und wirtschaftlichen Bezüge zur Stadt
Die Juden waren bereits vor Beginn der österreichischen Ära in der Stadt sesshaft. Die günstigen Rahmenbedingungen in der Bukowina führten – vor allem in Czernowitz – insbesondere zwischen 1850 und 1890, zu einem starken Ansteigen ihrer Zahl. Die Hauptherkunftsländer waren Galizien, Bessarabien und die Moldau.
“Sie kamen – wie übrigens auch viele Zuwanderer anderer Ethnien – wegen der wirtschaftlichen Prosperität, die die Bukowina nach ihrer Trennung von Galizien im Jahre 1849 genoss, wegen der rechtlichen Gleichstellung, die durch die neue Verfassung vom März 1849 garantiert wurde und wegen der üppigen Bildungsmöglichkeiten.” (10) sh. S. 109 u. 110
In der Bukowina gab es ab 1841 zwei deutlich voneinander getrennte Glaubensrichtungen. Auf der einen Seite standen die Chassidim und die strenggläubigen Konservativen auf der anderen Seite die Maskilim (Aufgeklärten). “Die Maskilim, von denen viele Geschäftsleute waren, begannen zunehmend Deutsch als tägliche Umgangssprache zu verwenden. —- Das Deutsche gewann sowieso in allen Bereichen des jüdischen öffentlichen Lebens an Boden”. (10) sh. S. 112 – 113
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts identifizierte sich die jüdische Intelligenz der Bukowina – insbesondere in der Landeshauptstadt Czernowitz – mit der deutschen Sprache und Kultur und wurde um die Jahrhundertwende zu einem ihrer Hauptträger. Verwiesen sei auch auf das reichhaltige literarische Schaffen und die umfangreiche Presselandschaft.
“Mit dem Ausgleich, der neuen Verfassung vom Dezember 1867, der die administrative Teilung des Habsburgerreiches in die österreichische Region Cisleithanien und die ungarische Region Transleithanien anerkannte, wurde die Autonomie der jüdischen Gemeinden auf der österreichischen Seite ausgeweitet. § 6 der Verfassung garantierte allen Bürgern des Reiches einschließlich der Juden volle Gleichberechtigung, das Recht zum Erwerb von Land und unbeschränkte Freizügigkeit. Viele Beschränkungen bezüglich der Aufnahme in den öffentlichen Dienst wurden aufgehoben.”
(10) S. 117
Gegen Ende der Österreichischen Ära hatten die Juden in Czernowitz praktisch ein Monopol im Einzel- und Großhandel und hielten die Mehrheit an kleinen Industriebetrieben. Sie stellten außerdem einen beträchtlichen Anteil in den freien Berufen, wie Rechtsanwälte, Privatärzte etc. und waren auch in Vorständen verschiedenster Organisationen und Verbände tätig
Weitere ethnische Minderheiten in Czernowitz
Neben den vorab erwähnten größeren ethnischen Gruppen lebten in Czernowitz noch kleinere Gruppen von Russen, Ungarn Tschechen, Slowaken, Kroaten, Serben, Slowenen, Bulgaren, Griechen, Armeniern, Türken, Zigeunern u. a. (7) sh. Seite 899 Die Volkszählung von 1910 wies diese Bewohner unter der Position “andere Nationalitäten: 2,5 %” aus.
Wer sich eingehender mit der Bukowiner und der Czernowitzer Bevölkerung und der Art ihres Zusammenlebens zu Zeiten der Habsburger Monarchie befaßt, wird überrascht sein
Nachtrag
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann unter der Bevölkerung der Bukowina das Nationalbewusstsein deutlich zu wachsen und jede Ethnie war darauf bedacht, ihr Volksbewusstsein zu kräftigen und ureigenste Interessen zu schützen. Dies geschah jedoch auf kultivierte Art und Weise und nicht mit politischen Methoden von Verboten und Vernichtungen. Näheres kann dem geschichtlichen Teil “Die österreichische Periode in der Bukowina” entnommen werden.
Anmerkung: Nur wer das vorab Erwähnte zusammenhängend betrachtet kann erahnen von welchem Menschenschlag der inmitten dieser Ethnien aufgewachsene Czernowitzer Bürger gewesen sein mag. Mit Sicherheit zeichnete ihn ein gutes Quantum an Offenheit, Neugier, Verständnis für den Mitmenschen, kulturellem Interesse und Bildung, Einsatzfreude und beruflicher Tüchtigkeit sowie Gastfreundschaft aus. Und letztendlich darf man ruhig festhalten: “Er war bestimmt kein Kind von Traurigkeit”.
Links im Bild Angehörige der deutschen Ethnie im Stadtbild von CzernowitzAufnahme Mitte der 30-er Jahre des 20 Jh.
Foto im Familienbesitz
Mit dem Ende des für Österreich verlorenen 1. Weltkrieges endete auch die 143-jährige Herrschaft Österreichs in der Bukowina. Als Österreich 1918 die Bukowina samt ihrer Hauptstadt Czernowitz an die Rumänen abtreten musste hinterließ es ein gut bestelltes Haus.
Der vorangegangene Beitrag schließt bewusst mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges und geht weder auf die Kriegszeit noch auf die Folgezeit näher ein – Näheres dazu findet der Leser unter dem geschichtlichen Teil “Die nachösterreichische Zeit in der Bukowina”, denn mit dem Ende der österreichischen Herrschaft endet in der Bukowina auch die Phase der aufgeklärten, liberalen und toleranten Entwicklungsjahre des Zeitraums 1848 – 1918.
Czernowitz und die Bukowina zwischen den Weltkriegen
Zwar zehrte die Schicksalsgemeinschaft der Minderheiten der Bukowina im Verlauf der rumänischen Periode ( 1918 – 1940) – bis zum Einmarsch der Sowjets und der vom Deutschen Reich organisierten Umsiedlung der Deutschen der Bukowina Ende 1940 – trotz rigoroser Romanisierungspolitik, die sogar vor Teilbereichen der Orthodoxen Kirche nicht Halt machte, noch von etlichen, verbliebenen Errungenschaften aus der österreichischen Zeit und auch der nachbarschaftliche Zusammenhalt der Bukowiner untereinander sowie die gegenseitigen gewachsenen Beziehungen der Ethnien zueinander konnten bis 1940 nicht ausgeschaltet werden. In kulturellen Teilbereichen, im Vereinswesen und in der Literaturszene wurden bis Mitte der 30-er Jahre sogar neue Höhepunkte erreicht, doch hatten die Minderheiten in politischen Angelegenheiten nicht mehr viel zu bestellen. Die maßgebenden Entscheidungen fielen in Bukarest. Das Rumänische wurde zur Nationalsprache erhoben. Zwecks Durchsetzung dieses Ziels, das auch mit kultureller Benachteiligung der Minderheiten verfolgt wurde, bediente sich die damalige rumänische Verwaltung recht ausgeklügelter, zum Teil drastischer Methoden.
“Weder die rumänische Periode noch die lange, entbehrungsreiche sowjetische Herrschaft konnten die unter Österreich verankerte geistige Basis gänzlich verändern. Gleich unter nassem Sand konservierten Phosphorstückchen haben bestimmtes Gedankengut und bestimmte Einstellungen, vor allem in den die Stadt umgebenden Dörfern, die Zeit überdauert und tragen nun verstärkt zur geistigen und kulturellen Öffnung und wirtschaftlicher Prosperität der Stadt und ihrer Umgebung bei.” (E.G.F.)
Kulturelle Verbindungen der Stadt Czernowitz zu Rumänien und Deutschland
Die gemeinsamen Verbindungen der Nordbukowina (Hauptstadt Czernowitz) und Südbukowina (Hauptstadt Suceava) zu Deutschland und dem Bezirk Schwaben
Die Verbindungen der Stadt zur rumänischen Südbukowina beginnen langsam aber stetig zu wachsen. Der bukowinische Gedanke wird durch mannigfaltige Aktivitäten und gegenseitige Kontakte der Bukowina-Institutute in Augsburg (Deutschland) und Radautz (Rumänien) sowie des Zentrums für Bukowina-Forschungen in Czernowitz (Ukraine), die sich vor allem mit der Erforschung und Dokumentation der Geschichte, Landeskunde und Kultur der Bukowina befassen und mit regionalen Universitäten in fortwährendem, engem Kontakt stehen, bzw. mit ihnen liiert sind, gefördert.
Ein guter Teil der bukowinischen Vergangenheit, wie auch der aktuellen Geschehnisse wird – auch über den deutschen Sprachraum hinaus – im zweimonatlich erscheinenden Presseorgan der Buchenlanddeutschen Der Südostdeutsche (Augsburg) veröffentlicht.
Die Deutschen der Stadt Czernowitz, deren Interessen im „Verein der Österreichisch-Deutschen Kultur“ gebündelt sind, haben erste Kontakte zu den Deutschen der Südbukowina aufgenommen.
2008 trafen sich im „Deutschen Haus“ in Czernowitz anlässlich des 600-jährigen Jubiläums der Stadt erstmalig Angehörige der deutschen Ethnie aus Czernowitz und der Südbukowina (Liedertafel Radautz) mit Buchenlanddeutschen aus der Bundesrepublik Deutschland. 2010 bereicherten anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Deutschen Hauses in Czernowitz Mitglieder des „Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien“, (Regionalforum Buchenland, Suzcawa) mit ihren musikalischen Darbietungen den Festakt.
Eine besondere Rolle fällt dem Bezirk Schwaben zu, der am 2. Mai 1997 im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses eine gemeinsame Partnerschaftsurkunde mit Vertretern der Staatlichen Administration des Gebietes Czernowitz (Ukraine) und dem Rat des Bezirkes Suczawa (Rumänien) unterschrieben hat, also mit Vertretern derjenigen Regionen, die das Gebiet des seinerzeitigen Habsburger Kronlandes Bukowina umfassen. Bereits am 17. Juli 1955 übernahm der Bezirk Schwaben auch die Patenschaft für die “Volksgruppe der Buchenlanddeutschen”.
Die Bukowina ist zum Objekt zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen geworden, die sich unter anderem mit der Art und Weise des Zusammenlebens verschiedenster Ethnien und Religionen, der kulturellen Szene und der Habsburger Ära sowie der Rolle der Deutschen im gewesenen Kronland befassen. Die Stadt Czernowitz selbst ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht und beginnt wieder ins Scheinwerferlicht zu rücken.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Aussagen, die von Magister Dr. Kurt Scharr, Innsbruck, im Jahr 2002 in seiner Forschungsarbeit „Der Strukturwandel in der Bukowina am Beispiel der Siedlungsentwicklung” festgehalten wurden:
“Obwohl in großen Teilen der historischen Nordbukowina durch die Deportation während der ersten Sowjetperiode 1940-41 und durch die Folgen des Krieges auch im südlichen Landesteil ein weitgehender Bevölkerungsaustausch (zu Gunsten der russischen, ukrainischen bzw. rumänischen Bevölkerung) erfolgte (deren Gründe und Phasen hier aber im Einzelnen nicht aufgezählt werden sollen), konnten sich historische Strukturen halten. —– So lässt sich beispielsweise im städtischen Bereich etwa am Beispiel von Czernowitz eine im Vergleich zu sowjetischen Städten sehr hohe Dichte von kleinen und kleinsten Dienstleistungs- und Handwerks- sowie Gastronomiebetrieben auf engem Raum nachweisen. Diese oftmals wenige Quadratmeter umfassenden Betriebe gewinnen heute zunehmend an Bedeutung und bilden den Grundstock eines mittleren Gewerbes und eventuell eines zu keimen beginnenden bürgerlichen Bewusstseins. Sie federn so einen gravierenden Rückfall der Siedlung in die Orientierungslosigkeit, wie er in anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion durch die Veränderungen des vergangenen Jahrzehnts gemessen werden kann, teilweise ab.” (11)
Wir sind überzeugt, dass die weitere Entwicklung der Stadt wie auch der gesamten Bukowina in westlichen Medien künftig erhöhte Aufmerksamkeit finden wird.
Den Ausführungen von Dr. Serhij Osatschuk (von 1996 bis 2010 am Bukowina-Forschungszentrum an der Czernowitzer Nationalen “Jurij-Fedkowytsch-Universität” tätig) kann man entnehmen, daß das Interesse an der deutschen Sprache und der geschichtlichen Vergangenheit der Bukowina samt ihrer früheren Hauptstadt unter der Bevölkerung, insbesondere bei den Studenten der Czernowitzer Universität, wächst.
In einem Beitrag zur Tagung „Mythos Czernowitz“ des „Deutschen Kulturforums Östliches Europa“, Potsdam 17. 09 – 19. 09. 2004 äußerte sich Dr. Osatschuk u. a. wie folgt.
“Eine erstaunliche Erkenntnis über die Stellung der deutschen Sprache erbrachte auch die letzte Volkszählung: In Anbetracht der winzigen Anteile an deutscher und jüdischer Bevölkerung, haben 3.585 Czernowitzer, davon 2.800 Ukrainer, Deutsch als erste Fremdsprache angegeben, in der sie sich fließend ausdrücken können. Es ist ein beträchtliches kulturelles Potential für den Ausbau der kulturellen Beziehungen zu Deutschland und Österreich.” … und “Nicht zuletzt sei erwähnt, dass Czernowitz in den letzten 14 Jahren den alten Ruhm einer wichtigen Handels – und Geschäftsstadt wiedergewonnen hat.” …und weiter “Das Czernowitz von heute gibt Grund zur Hoffnung. Die Stadt ist mit ihrem kulturellen Erbe geradezu ein Geschenk des Schicksals und im touristischen Sinne ein Kapital für die Bürger. Es ist aber auch unsere direkte, nicht mit dem Umweg über Kiew verbundene Brücke nach Europa, die wir unbedingt weiter begehen wollen.” (13)
Dies stimmt zuversichtlich.
Wir wünschen der Stadt und ihren Bürgern Beharrlichkeit, Glück und Erfolg bei der Verfolgung und Durchsetzung von Zielen, die zur Völkerverständigung wie auch zum Wohle und Gedeihen der gesamten Bukowina beitragen und vor allem der Stadt Czernowitz einen Teil ihres früheren Glanzes zurückbringen.
Verfasser: Emilian Fedorowytsch
Deutschland – Juni 2010 – (E. G. F.)
Aktueller Stand: 24. Juni 2024
Czernowitzer Jugend von heute
Die einer kirchlichen Gemeinde angehörenden Jugendlichen besuchen Bewohner von Altenheimen, Kranke und alleinstehende ältere Personen, um sie mit ihrem Gesang zu erfreuen.
Foto aufgenommen in Czernowitz – Sommer 2006 –
Verwendete Literatur und Quellen
- (1) Ceasu, Mihai-Stefan: “Czernowitz und die Rumänen” – in “Czernowitz” Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt – Harald Heppner (Hg.), Köln, Weimar, Wien 2000
- (2) Feleszko, Kazimierz: “Die Polen in Czernowitz” – in “Czernowitz” Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt – Harald Heppner (Hg.), Köln, Weimar, Wien 2000
- (3) Dobrzans’kyj, Oleksandr: “Czernowitz und die Ukrainer” – in “Czernowitz” Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt – Harald Heppner (Hg.), Köln, Weimar, Wien 2000
- (4) Rein, Kurt: “Czernowitz und die Deutschen” in “Czernowitz” Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt – Harald Heppner (Hg.), Köln, Weimar, Wien 2000
- (5) Heppner, Harald: “Czernowitz im städtgeschichtlichen Vergleich” – in “Czernowitz” Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt – Harald Heppner (Hg.), Köln, Weimar, Wien 2000
- (6) Horbatsch, Anna-Halja: “DIE BUKOWINA EINST UND HEUTE”, Eine kulturhistorische Darstellung in: “Na Krylach Nauke”, Greifswalder Ukrainische Hefte, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Lehrstuhl für Ukrainistik, Heft 2 – Aachen 2005
- (7) Kaindl, Dr. Raimund Friedrich: “Geschichte von Czernowitz” von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart – Czernowitz 1908 Universitätsbuchhandlung Pardini
- (8) Kvitkowskyj, Denys – Bryndzan, Théophil, Zhukowskyj, Arkadij: “BUKOVYNA – jiji menule i sutschasne” (BUKOWINA – ihre Vergangenheit und Gegenwart) Paris, Philadelphia, Detroit, 1956 – Zelena Bukovyna
- (9) Masan, Oleksandr: “Czernowitz in Vergangenheit und Gegenwart” in “Czernowitz” Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt – Harald Heppner (Hg.), Köln, Weimar, Wien 2000
- (10) Sha’ary, David: “Die jüdische Gemeinde in Czernowitz” in “Czernowitz” Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt – Harald Heppner (Hg.), Köln, Weimar, Wien 2000
- (11) Scharr, Mag. Dr. Kurt: “Der Strukturwandel in der Bukowina am Beispiel der Stadtentwicklung” (Forschungsprojekt des österreichischen Wissenschaftsfonds zur Stadtentwicklung in der Bukowina), Innbruck 2002
- (12) Wagner, Rudolf: “Vom Moldauwappen zum Doppeladler” – Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Bukowina – Festgabe zu seinem 80. Geburtstag – Augsburg 1991 -Hg. i. A. der Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen (Bukowina) e. V. von Paula Tiefenthaler und Adolf Armbruster
- (13) Osatschuk, Serhij: “Mythos Czernowitz” – Beitrag – in seiner Funktion als Geschichtswissenschaftler des Zentrums für Bukowina – Forschungen an der Staatlichen Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz – zur gleichnamigen Tagung des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam, September 2004
- (14) Fedorowytsch, Emilian: Kapitel „Die Bukowina“ (9. Jh. – Ende 1940) auf www.bukowinafreunde.de – Erstveröffentlichung unter E. G. F., Deutschland – September 2009