Auf musikalischen Pfaden in Czernowitz


Musikkultur in der Stadt Czernowitz

Theater in Czernowitz
Theater in Czernowitz

Bei meinem diesjährigen Besuch in Czernowitz, der früheren Hauptstadt der Bukowina, erhielt ich eine Einladung zu einer konzertant-kulturellen Jubiläumsveranstaltung im Gebäude der Philharmonie. Der Abend war dem vor 150 Jahren geborenen ukrainischen Schriftsteller und Poeten Ivan Franko (1856 – 1916) gewidmet, der für die Unabhängigkeit und Gleichberechtigung aller Völker sowie für die Ideale der Menschlichkeit und Eigenständigkeit der Kulturen eintrat. Franko weilte mehrmals in Czernowitz und seine Auftritte hatten größte Bedeutung für das gesellschaftspolitische und kulturelle Leben des ukrainischen Bevölkerungsteils der gesamten Bukowina. Neben der hervorragenden instrumentalen Besetzung, Gesangsdarbietungen mehrerer Solisten und Festrednern traten mehrere große Chöre auf, die sich in der Schlussszene zu einem imposanten Auftritt vereinigten.

Tags darauf beobachtete ich in der Vuliza O. Kobyljanskoji (früher: Herrengasse) mit Interesse eine Gruppe junger Menschen, die in Begleitung einer Gitarristin mit viel Schwung und Begeisterung ukrainische Volkslieder sangen. Auf Anfrage erfuhr ich, dass sie sich als Mitglieder einer kirchlichen Gemeinde das Ziel gesetzt haben, einsame alte Menschen in Krankenhäusern und Heimen mit ihren Gesängen zu erfreuen. Ein nachahmenswertes Engagement!

In einer Ausgabe der “Südostdeutschen” wurde vor einiger Zeit ein Auftritt des Orchesters „Lev Feldman“ in Linz erwähnt. Da es sich um ein Czernowitzer Orchester handelt, beschloss ich die Musiker bei einer Probe anzuhören. Ich fand eine Gruppe von 15 Spielern vor – auch eine Frau war dabei -, die gemäß Angabe des Dirigenten schwerpunktmäßig jiddische Musik der Vorkriegszeit spielen und zwar so, wie sie bei Hochzeiten und sonstigen Feierlichkeiten in der Bukowina, insbesondere in den Dörfern der Czernowitzer Region gespielt wurde. Das Orchester firmiert unter „Orchester Lev Feldman“ – Jiddische Musik der Stadt Czernowitz. Die Ausführungen waren schwungvoll und von ausgezeichneter Qualität und dass das Repertoire der Gruppe nicht einseitig ist, bewiesen die Musiker unter ihrem Dirigenten Feldman durch eine rumänische Doina, eine polnische Hochzeitsmusik und einen bravourös ausgeführten Czardas von Monti. Im 2. Halbjahr 2007 werden die Spieler voraussichtlich in Süddeutschland auftreten.

Nicht weit vom in der Herrengasse gelegenen „Deutschen Haus“ befindet sich auch das „Polnische Haus“. Durch Zufall geriet ich dort in ein Treffen des Czernowitzer Polnischen Chors „Echo Prutu“, der unter Leitung von Ludwig Kowal (Akkordeon) eine Gesangsprobe abhielt. Nachdem ich mit einem Bekannten ein Weilchen in der letzten Stuhlreihe gelauscht hatte, wollten wir das Gebäude verlassen. In diesem Moment bat uns der Dirigent noch zu bleiben. Was dann folgte war eine Kaskade wunderschöner Lieder. Die etwa 15 Ausführenden sangen polnisch, ukrainisch, deutsch, rumänisch, jiddisch und zwar mit solch einer Kraft, Inbrunst und unbändiger Lust, dass ich aus dem Staunen nicht herauskam und sogar teilweise in den Gesang mit einstimmte. Das war in der Tat etwas, das ich nicht erhofft hatte zu hören. Melodien nach guter Czernowitzer Art. Musik ist international und die Bukowina – speziell Czernowitz – wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts zur multinationalsten Einheit unter den Provinzen Österreichs.

Doch musikalische Aufführungen können auch einen praktischen Zweck verfolgen. Dies konnte ich anlässlich einer humoristischen Operettenaufführung des Bukowiner Poeten, Schriftstellers und Komponisten Isidor Worobkewicz (1838-1903), der orthodoxer Pfarrer und Musikpädagoge war, feststellen. Zu der privaten Veranstaltung waren Kulturträger und Sponsoren aus öffentlichem Leben, Handel und Industrie geladen. Nach der Aufführung im Czernowitzer Theater wurde der Gesellschaft im Rahmen eines Filmvortrages ein Zustands- und Rechenschaftsbericht in Sachen Erhaltung und Renovierung des Theatergebäudes gegeben. Den Spendern wurde namentlich gedankt und gleichzeitig vor Augen geführt, dass es noch weiterer Anstrengungen und Mittel bedarf und sich der Einsatz bestimmt positiv für das Image der Stadt auswirken dürfte. Im Kalenderjahr 2008 werden in Czernowitz große Feierlichkeiten aus Anlass der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt am 8. Oktober 1408 stattfinden.

Zahlreiche Aufführungen in der Philharmonie, im Theater, in der armenischen Kirche (spezielle Orgelkonzerte und Gesangsaufführungen) sowie auch weit über 20, sich mit Musik und Tanz befassende Organisationen, die ihren Sitz im Haus der Kultur (ehemals „Jüdisches Haus Czernowitz“) am Theaterplatz haben beweisen: Czernowitz war und ist eine durch und durch musikalische Stadt.

Bei meinem nächsten Besuch werde ich mich verstärkt für Gruppen interessieren, die rumänisches Musikgut pflegen und auch feststellen, ob die noch in Czernowitz lebenden Deutschen ihr Musikgut bewahrt haben.

Es sind also neben interessanten Stadtbesichtigungen mit viel geschichtlichem Hintergrund und architektonischen Highlights, sowie Führungen auf literarischen Pfaden auch Möglichkeiten vorhanden, musikalische Schätze zu heben. In Czernowitz gibt es immer etwas zu entdecken und deshalb ist die Stadt stets eine Reise wert.


Verfasser: Emilian Fedorowytsch

– 15. Dezember 2006 –
Aktueller Stand: 22. Mai 2020