Auf dem Weg ins Kino

Auf dem Weg ins Kino

Es war ein grauer Dezembersonntag mit 10 Grad Kälte. Was sollte ein Junge an einem grauen Tag im Dorf machen? Fredis Mittagessen stand noch auf dem Tisch, als jemand an die Tür klopfte. Klingeln gab es nicht im Haus. Als Fredi die Tür öffnete stand Helmut, der über ihm wohnte, vor der Tür. „Heute gibt es im Kino um vier Uhr einen Kriegsfilm. Fredi kommst du mit“, flüsterte er ihm zu. Nach einer kurzen Pause sagte Fredi, dass er sich nach dem Essen bei ihm melden wird. „Wer war das“, fragte seine Mutter. Nachdem er ihr erzählte, dass es Helmut war und sie ins Kino wollten, aßen sie weiter. Fredi hatte die Hoffnung, dass seine Eltern nicht dagegen waren. Er hatte nur noch den Film im Kopf und aß schnell zu Ende. Nachdem seine Eltern nickten, zog er seine dicke Jacke und die Winterschuhe an, nahm die Mütze und ging schnell die knarrende Holztreppe zu Helmut hinauf. Als er dreimal an die Tür klopfte, das war ihr Zeichen, steckte Helmut schon den Kopf durch Tür. Fredi gab ihm das Zeichen, dass er auch ins Kino durfte. Als er fragte, „wie heißt der Film noch“, kam die leise Antwort, „die Weißen werden siegen oder so“. Damit konnte Fredi nichts anfangen, was auch egal war, Hauptsache raus. Die Groschen für das Kino hatten sie zusammen. Sie waren aber zu früh dran, da der Film erst in zwei Stunden anfing. Da fiel ihnen auf dem Weg zum Kino der Dorfteich ein, der zugefroren war und auf dem immer etwas los war. Unterwegs schließt sich ihnen noch Walter an, der die Idee mit dem Dorfteich und dem Kino gut fand. An dem zugefrorenen Teich angekommen, stellten sie fest, dass sie gar nicht mitspielen konnten, weil sie keine Hockeyschläger hatten. „Ihr könnt mitspielen“, sagte man ihnen, „wenn ihr euch Schläger besorgt“. Aus den Büschen nebenan versorgten sie sich mit hockeyähnlichen Stöckern. Es kam nicht darauf an, wie die Hockeyknüppel aussahen und es kam auch nicht darauf an, dass sie keine Schlittschuhe hatten, es fehlten nämlich noch Mitspieler. Als das Spiel zu Ende war, fällt Walter die große freie Stelle im Eis auf. „Es macht bestimmt Spaß über die Eisschollen auf die andere Seite zu gelangen“, sagt er noch, als er bereits auf eine große Eisscholle sprang. Als er auf eine kleine Eisscholle sprang, rutschte er plötzlich aus. Obwohl er sich noch am Rand festhalten konnte, war er mit den Beinen im eiskalten Wasser. Jetzt brach bei ihnen Panik aus. Helmut rief nur, „wir kommen rüber, dann können wir dich rausziehen“. Als sie auf der anderen Seite ankamen, hatte sich Walter schon befreit und wieder festen Boden unter den Füßen. Sie waren froh, dass Walter wieder bei ihnen war. An seine nassen Klamotten dachten sie nicht, als sie auf dem Weg ins Kino waren. Unterwegs fiel Fredi ein, „im Kino ist bestimmt der große Kanonenofen an, da können wir Walters Klamotten trocknen“. Schon hatten sie eine Lösung für das Problem gefunden. Helmut ergänzte, „während wir die nassen Sachen zum Trocknen auf Stühle legen, können wir uns ja den Film ansehen“. In seiner Not fand Walter diese Idee nicht schlecht. Den Kinosaal, der für alle Veranstaltungen im Dorf herhalten musste, kannten sie auch aus ihren Sportstunden. Sie kauften die Kinokarten und gingen in den Saal. Die dicken Vorhänge waren schon vor die Fenster gezogen, als sie den großen Ofen anpeilten. „Er ist an“, sagte Walter leicht bibbernd. „Ich hole Stühle ran, Walter kann sich ja schon ausziehen“, sagte Fredi. Im nu war er mit den ersten Holzstühlen am Ofen. Während Walter seine nassen Klamotten auszog und über die Stühle hängte, legte Helmut noch eine Schippe Kohlen aus dem Blecheimer in den Ofen. Walter, der inzwischen seine nassen Sachen auszog, versteckte sich hinter den Stühlen. Seine nassen Sachen legten sie auf die Stuhllehnen dicht an den Ofen. Da noch niemand im Kino war, machten sie es sich bequem. Es schien auch alles gut zu gehen. Es kamen Väter mit Kindern herein und auch Kinder, die sie kannten. Sie gaben sich aber nicht zu erkennen. Es kamen immer mehr Leute in den Saal. Zum Glück gingen sie an ihnen vorbei. Helmut und Fredi waren schon auf den Film gespannt, anfangs auch noch Walter. Dass es ein Kriegsfilm war, hatten sie ihren Eltern natürlich nicht gesagt. Das Licht ging aus und die Wochenschau begann. Sie dachten, jetzt ist die Situation gerettet. Nach dem Ende des Films werden die Sachen von Walter trocken sein, dachten sie. Im Film sahen sie, wie Soldaten im tiefen Schnee in den Bergen aufeinander schossen. Die Soldaten in den weißen Schneehemden auf Skiern waren sowjetische Soldaten, die die Soldaten in dunklen Uniformen ohne Skier besiegten.

Irgendwann sagte Walter bibbernd zu Helmut, „leg noch mal eine Schippe auf, mir ist kalt“. Hierbei ließ sich der Lärm nicht vermeiden. Obwohl sich einige Leute umdrehten, ahnte niemand was sich am Ofen abspielte. Sie stellten die Stühle immer dichter an den Ofen, weil sie merkten, dass Walter noch mehr fror. Irgendwann, an einer spannenden Stelle, sagte Walter, „ich halte das nicht mehr aus, ich will nach Hause“. Während Walter nicht viel von dem Film mitbekam, waren Fredi und Helmut durch den Film voller Spannung. Helmut flüsterte Walter zu, „denk dran, wenn du nach Hause kommst, kriegst du den Arsch voll“. Auch das schien Walter inzwischen egal zu sein. Er wollte nur noch nach Hause. Das er fürchterlich fror kündigten auch seine blauen Lippen an.

Sie mussten wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Helmut empfahl Walter, „dann zieh deine Sachen wieder an, wir bringen dich nach Hause“. Sie dachten sich schon, dass Walter nur mitzog, weil er Angst vor seinem Vater hatte. Ein fauler Kompromiss unter Kindern. Immer wieder sagte er, „ich will heime, mir ist egal, ob ich Haue bekomme“. Was blieb ihnen anderes übrig, als die Sachen zu packen und das Kino zu verlassen. Erst als sie draußen waren, merkten sie, wie sehr Walter bibberte. Sie sahen seine dunklen Lippen. Der Weg nach Hause war nicht weit. Als sie Walter aus sicherer Entfernung vor seinem Elternhaus ablieferten, hielt sein Vater schon die Haustür weit auf. Sie sahen, wie Walter an ihm vorbei ins Haus rannte. Tage später trafen sie ihn mit verschnupfter Nase und fragten, „war es schlimm?“. „Ich habe eine ordentliche Abreibung bekommen und durfte eine Woche nicht raus“. Sie fragten sich nur, ob ihre Eltern auch so reagiert hätten. Wie gefährlich das war, hatten sie gerade zu spüren bekommen. Helmut und Fredi hatten zu Hause nichts davon erzählt.