Baba erzählt erzählt von früher


Baba erzählt von früher aus dem Roman Katharina, der letzte Winter im Buchenland von Alfred Wanza

Immer wenn es Baba nicht gut geht, bleibt sie in der großen Familie. Dann erzählt sie von vergangenen Tagen, denn Katharina hört ihr gerne zu. »Wir waren auch mal eine große Familie. Jetzt haben meine Kinder eigene Familien und leben irgendwo in der Bukowina. Deine Mutter wird dir erzählen können, dass ich, immer wenn ein Mann fehlte, in der Schmiede deines Großvaters den Vorschlaghammer geschwungen habe«. Baba erzähl weiter, fordert sie Katharina auf. »Bei uns roch es nach Kohle, nach Pech und Schwefel. Wenn Pferde beschlagen wurden nach dem verschmortem Horn der Hufe«. »Und wie hast du deine Kinder behütet?«, will Katharina wissen. »Sie durften nicht in die Werkstatt. Dafür durften sie auf den abgestellten Pferdewagen spielen«. »Das waren ja Abenteuerspielplätze«, fällt Katharina dabei ein. Die Baba gerät ins Schwärmen, wenn sie vom Herzogtum er zählt: »Als Herzogtum gehörte die Bukowina zu Österreich. Wir haben Kaiser Franz Josef verehrt. Er hat die Bukowina gern und oft besucht«. Katharina bohrt weiter: »Und wie war es im Ersten Weltkrieg?« »Schrecklich, die jungen Männer mussten zum kaiserlichen Militär. Es gab hier schwere Kämpfe. Dabei sind zwei meiner Söhne im Krieg geblieben. Vinzenz sollte Opas Werkstatt übernehmen. Wie du weißt, haben die Österreicher und die Deutschen den Krieg verloren und die Bukowina wurde Rumänien zu geschlagen. Die österreichischen Beamten haben daraufhin das Land verlassen. Wir waren dann keine Deutschen und keine Österreicher mehr«. »Und was ist mit Opa geschehen?«, will Katharina wissen. »Uns ging es in dieser in dieser Zeit schlecht«, erzählt sie, »damals hat Franz Metall gesammelt. Bei der Entschärfung von großer Munition ist eine Granate explodiert. Dabei er ist er verunglückt«. »Ich wusste nicht, dass Opa so schrecklich gestorben ist«, stellt Katharina fest. »Der andere Opa ist auf seinen alten Tagen im Steinbruch abgestürzt«. »Ja, Kind, über diese Dinge haben wir in der Familie nicht gesprochen. »Das ist traurig!«, mehr kann Katharina nicht sagen und zeigt Baba ihren Stoff im Webstuhl, um sie auf andere Gedanken zu bringen. »Der Stoff ist bald fertig. Ich werde mir einen Hosenanzug nähen«, sagt Katharina. »Mädel, eine Frau zieht keine Hose an«, erwidert die Baba entsetzt. Mit den Worten: »Ich habe so einen Hosenanzug in der Stadt gesehen«, versucht Katha rina Baba zu beruhigen. Baba erinnert sich noch an eine alte Geschichte: »Weist du, was mir auf dem Nachhauseweg von euch einmal passiert ist?«, fragt Baba. »Nein, erzähl!«, muntert Katharina sie auf. »Eines Abends, es lag Schnee und es war kalt und dunkel. Als ich von euch nach Haus ging, kamen mir zwei Lichter entgegen. Erst aus der Nähe habe ich gemerkt, dass es die funkelnden Augen eines Wolfes waren. Da der Wolf direkt auf mich zukam musste ich reagieren. Ich hatte mich gewundert, dass der Wolf ruhig war und ich mutiger wurde. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als dem Wolf mit beiden Händen am Rücken in das Fell zu greifen um ihn festzuhalten. Dann geschah etwas Eigenartiges. Der Wolf ließ sich von mir führen. Unterwegs kam mir ein Nachbar entgegen. Es war ein großer kräftiger Mann, der erst den Wolf und dann mich ansah. Er hat mir sofort geholfen. Wir brachten den Wolf in den Stall und sperrten ihn ein«. Katharina kann diese Geschichte nicht glauben und fragt: »Was geschah dann?« Baba erzählt weiter: »Am nächsten Tag sind wir zur Gendarmerie gegangen. Zusammen mit dem Tierarzt haben sie sich den Wolf angesehen. Der Wolf schlief. Später hat man festgestellt, dass es ein altes und krankes Tier war und es froh war, dass es noch sein Leben hatte«. Katharina kann die Geschichte immer noch nicht glauben. »Man erzählt im Dorf viele Geschichten vom Wolf. Ob sie alle stimmen, weiß man nicht?«, fragt Katharina und arbeitet weiter am Webstuhl. »Aber doch«, sagt Baba und fängt mit einer anderen Geschichte an. »Wir hatten Angst, wenn die Kinder im Wald Beeren oder Pilze suchen. Drei Kinder der Familie Keil waren im Wald Beeren pflücken, als sie von einem Wolf angefallen wurden«. Katharina sagt: »Mir habt ihr erzählt, der Wolf greift keine Menschen an«. »Ja sagt die Baba, »dieser Wolf war krank, er hatte Tollwut. Das hat man erst später gewusst, als die Kinder auch krank wurden«. »Ist das eine ansteckende Krankheit?«, fragt Katharina. »Über die Wunden wurde die Krankheit auf die Kinder übertragen«, erklärt die Baba. »Im Dorf hat man damals erzählt, dass die Kinder nachts wie Wölfe geheult hätten. Später sind sie gestorben«. »Baba, heute kann ich bestimmt nicht einschlafen!«, sagt Katharina und nimmt den fertigen Stoff aus dem Webstuhl. Am nächsten Tag bringt Katharina Rosanah mit nach Hause. Gemeinsam wollen sie mit dem Nähen des Hosenanzuges beginnen. Sie kennen noch keinen Hosenanzug und legen die Zuschnitte auf den Stoff, den sie dann in Einzelteile zerschneiden. Beim Nähen hilft Katharinas Mutter, die Hosen für die Männer und Jungs näht. Nach einigen Abenden ist der Hosenanzug fertig. Katharina ist stolz und erzählt Rosanah, dass sie den Anzug Sonnabend anziehen wird, wenn sie Viorel von der Arbeit abholt. Als Viorel Katharina zu Hause abliefert, muss sie feststellen, dass ihm der Hosenanzug gar nicht aufgefallen war. »Den werde ich erst wieder anziehen, wenn ich in die Stadt fahre«, denkt Katharina. Da Viorel jetzt häufiger zu Besuch kommt, fragt ihre Mutter eines Morgens: »Wie stellst du dir das mit Viorel vor? Wie wird es weitergehen?«. Katharina lacht und sagt: »Mama, ich bin jung und habe nicht die Absicht zu heiraten. Ich finde Viorel nett, mehr nicht«. »Dann bin ich beruhigt!«, sagt ihre Mutter und erklärt ihr: »Ich wünsche mir, dass du später einen deutschen Burschen heiratest«. Daraufhin sagt Katharina: »Ich denke wir sind alle rumänische Bürger?« »Ja, wir haben die rumänische Staatsbürgerschaft, weil wir hier leben«, antwortet ihre Mutter und erzählt weiter: »Wir sind immer noch Deutsche, wie im Herzogtum«. »Ward ihr da nicht Österreicher?«, fragt Katharina. Spätestens jetzt wird Katharina klar, dass die Deutschen mit den Rumänen zwar gut auskommen, beim Heiraten der Spaß aber aufhört. Katharina erinnert ihre Mutter daran: »Du weißt, dass ich eines Tages in die Stadt ziehen werde. Und was dann geschieht werde ich sehen?«. Ihre Mutter gibt sich damit zu frieden. Katharinas Mutter fallen jetzt die Sommergäste ein, die aus der Stadt kommen werden: »Wenn Willi und Dora im Sommer aus Czernowitz zu uns kommen, werden wir sie fragen, ob du bei ihnen arbeiten kannst«. Mit den Worten: »Das wäre zu schön um wahr zu sein«, schließt Katharina dieses Thema ab.