Die Ansiedlung in Oberschlesien


Die Ansiedlung in Oberschlesien aus dem Roman Katharina, der letzte Winter im Buchenland von Alfred Wanza

Nach zwei Jahren im Lager ist es so weit. Es erfolgt die Einweisung in ein neues Heim. Neu, so glaubt man es bis jetzt. Was dann aber geschieht ist für die Familie noch schlimmer. Die Familie wird bis auf Otto, von SS-Offizieren mit einem LKW vom Lager abgeholt. Ihr kleines Gepäck nehmen sie mit. Sie setzen sich auf Decken, die sie auf der Tragfläche des LKW´s ausgebreitet haben, um die Fahrt heil zu überstehen. Katharina hält ihr Baby die ganze Zeit fest im Arm. Nach einigen Stunden Fahrt kommen sie in Saybusch in Ostoberschlesien, im von Hitler besetzten gebiet an. Der Ortsname Saybusch sollte nach einem Sieg der Nazis endgültig beurkundet werden. Als der LKW vor einem Bauernhaus stehen bleibt, steigen die SS-Offiziere aus und gehen hinein. »Mama, ich denke wir bekommen ein neues Haus?«, fragt Katharina entsetzt. »Hab ich auch gedacht«, antwortet ihre Mutter. Eine halbe Stunde später kommen die SS-Soldaten mit der polnischen Familie des Hauses heraus. Die Kinder weinen, auch die Erwachsenen. Die Familie stellt ihre Bündel mit Sachen, die sie offensichtlich schnell im Haus zusammengesucht hat, vor dem Haus ab und wartet auf weitere Anweisungen. Ein SS-Offizier steuert auf Katharinas Familie zu, die sich noch auf der Ladefläche des LKWs befindet: »So, jetzt könnt ihr mit eueren Sachen absteigen. Das ist euer neues zu Hause. Das große Gepäck wird morgen angeliefert. Dann wird auch ein Berater bei euch vorbeikommen und alles Nötige besprechen«. Das war alles! Wie Salzsäulen stehen sie nun da und begreifen die Situation nicht. Die Soldaten helfen ihnen noch beim Absteigen und Abladen des Gepäcks. Die Soldaten fordern nun die polnischen Hausbewohner auf ihr Gepäck auf den LKW zu laden und aufzusteigen. Während Katharina und ihre Familie noch vor dem Haus stehen, fährt der LKW mit der polnischen Familie davon. »Das ist es also das, was sich Hitler vorgestellt hat, Polen raus und Deutsche rein«, gibt Katharinas Mutter zum Besten. Die Familie ist sprachlos und befindet sich in großer Not. Was soll sie jetzt machen? Alleingelassen in einem fremden Land unter fremden Menschen kann sie keine Hilfe erwarten. Notgedrungen und sehr zögerlich wagen sie sich erst nach längerer Zeit in das Haus. Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, denn Katharina muss ihr Kind versorgen, weil es Hunger hat und schreit. Hunger und Durst haben inzwischen alle. Zum Glück haben sie ein paar Scheiben Brot und zwei Flaschen Milch mitgenommen. Als sie ins Haus gehen und sich an den fremden Tisch setzen, weinen sie. »Was hat man nur mit uns gemacht?«, fragt Katharinas Vater. Katharinas kleineren Geschwister sind weniger befangen. Die Neugierde treibt sie aus dem Haus. Zwei polnische Arbeiter haben sie im Haus zurückgelassen, stellen sie bald fest, als die beiden Männer ins Zimmer treten. Der Jüngere von Ihnen kann etwas Deutsch. Als er die sprachlosen Gesichter der Familie sieht, versucht er zu erklären, dass auch sie überrascht sind und alles nicht verstehen. Katharinas Vater steht wie erstarrt da und stammelt: »Gut, dass Otto das nicht miterlebt. Der hätte bestimmt anders reagiert?«. Während Katharina ihrem Jungen etwas zu Essen und Trinken gibt, fragt sie, als sie an ihr Kind denkt: »Und wo sollen wir schlafen?« Die beiden Männer zucken mit den Axeln, bieten aber ihre Hilfe an. »Wir werden schon etwas finden«, versucht sie ihre Mutter zu beruhigen. Der Kontakt zu den beiden Polen erweist sich als hilfreich, denn sie kennen sich im Haus gut aus. Mit den beiden fremden Männern gehen sie später durch die Räume. Alles andere möchten sie sich noch nicht ansehen. Diese unwirtliche Situation müssen sie erst begreifen. Das sie sich in einem besetzten Land befinden, stellen sie erst später fest. Umso mehr sind sie überrascht, wie sie mit den fremden Mitbewohnern zu einer Notgemeinschaft zusammenfinden. Es dauert Stunden bis sie begreifen um was es geht und, dass sie keine andere Möglichkeit haben, als hier zu bleiben. Erst später nehmen sie Kontakt zu den Nachbarn auf und erfahren die ganze Wahrheit. Sie müssen hier feststellen, dass es allen deutschen Familien so ergangen ist. Es wohnen nur noch wenige polnische Familien in der Umgebung. Alle haben Angst. Irgendwann fällt Katharina die Frage ein: »Was machen die mit den Polen?« »Das möchte ich auch wissen?«, erwidert ihre Mutter verzweifelt. Nur sehr zögerlich und notgedrungen versuchen sie sich mit Hilfe der beiden polnischen Männer im Haus zurechtzufinden. Sie sind müde, sie sind traurig und fühlen sich unwohl. Es sind die beiden Polen, die schon seit längerer Zeit mitbekommen haben wie die Nazis hier vorgehen, die die Familie aufzumuntern versucht. Am nächsten Tag kommt tatsächlich ein reichsdeutscher Berater ins Haus. Auf die wehleidigen Äußerungen der Familie geht er nicht ein. Sie erkennen schnell, dass es sich, wie im Lager, um einen »Linientreuen« handelt. Er erklärt der Familie wie sie alles bewirtschaften soll und, dass sämtliche Erzeugnisse, bis auf den Eigenverbrauch, an den Staat abzuliefern sind. Er übergibt ihnen Listen und erteilt Anweisungen. »Das sind ja schöne Aussichten. So hat uns das niemand gesagt«, reagiert Katharinas Vater wütend. In den nächsten Tagen versucht die Familie sich in der fremden Umgebung zu Recht zu finden. Alle sind mit der unerwarteten Situation überfordert. Auch die beiden Polen. Nur weil Buchenländer schon immer mit anderen Völkern friedlich zusammenlebten, versuchen sie mit der Situation fertig zu werden. Sie nehmen den Kontakt zu polnischen Familien auf. Denn auch in ihrer Heimat gab es unter ihnen Polen. Sie erfahren sehr schnell, dass die Nazis diese Kontakte untersagt haben. Sie scheren sich aber wenig darum. Mit den beiden Polen, für die sie nun verantwortlich sind, kommen sie mehr und mehr ins Gespräch. Stanislaus, der Jüngere von ihnen, der etwas Deutsch spricht, wird zum Dolmetscher ernannt. Er sagt ihnen, dass sie das Vieh versorgen und draußen bei den Arbeiten helfen werden. Sie sind trotz allem erstaunlich hilfsbereit. Der Überlebenswille der Familie mit den Kindern und das Zusammentreffen mit den beiden Polen führen dazu, dass es ein Miteinander gibt. Man nähert sich in den nächsten Tagen weiter an. Katharina bittet ihre Mutter Tage später mit ihr zum katholischen Pfarrer zu gehen, weil sie den Jungen taufen lassen möchte. Da es einen polnischen Pfarrer gibt, besuchen sie ihn gemeinsam mit Stanislaus. Die Taufe wird schon für die nächste Woche anberaumt. Noch vor der Taufe geht ein Brief von der SS-Stabstelle aus Berlin ein. Katharinas Mutter liest ihn vor: »Ihr Sohn Otto wurde in München zum Panzerführer ausgebildet und befindet sich zur Zeit im Feldzug der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion«. »Das kann doch nicht wahr sein, Otto sollte doch Taufpate werden«, schimpft Katharina. »Dann müssen wir jemand anderes nehmen«, erklärt ihr ihre Mutter. Auf diese Weise nehmen sie den Kontakt zu einer deutschen Familie aus der Nachbarschaft auf, der es ebenso ergangen ist. Allen stockt der Atem bei der Nachricht, dass Otto in Russland im Krieg sein soll. Das die Deutschen auch die Sowjetunion überfallen hat, wissen hier alle. Auch, dass die Nordbukowina wieder zu Rumänien gehört und die sowjetischen Soldaten abgezogen sind. »Da haben die Nazis bestimmt ihre Finger im Spiel gehabt«, kommentiert Katharina dieses Geschehen. »Wir haben schon lange nichts von Willi und Dora gehört. Ich werde den Beiden einen Brief schreiben«, nimmt sich Katharina vor. »Bei der Gelegenheit frage ich sie, was sie zu Hause erlebt haben?«, ergänzt sie. Notgedrungen findet sich die Familie einigermaßen zu Recht. Sie hat sich vorgenommen mit den beiden Knechten den Hof zu bewirtschaften, weil viel Arbeit auf sie wartet. In dieser schwierigen Zeit kommen sie ohne die Hilfe ihrer fleißigen polnischen Arbeiter nicht aus. Eines Tages lässt Katharina ihren Jungen in der Obhut von Stanislaus, weil sie mit ihrer Mutter in den Ort hinunter muss. Als sie zurückkommen gestikuliert der kleine Junge und zieht sich an den Haaren. Daraufhin fragt Katharina Stanislaus was geschehen ist. »Ich hätte nicht gedacht, dass er euch zeigt, dass ich ihn an den Haaren gezogen habe«, gesteht Stanislaus. »Weil es mit Hitlers Krieg nicht so gut läuft, haben wir es hier immer schwerer«, stellt Katharinas Vater fest. »Mit den Abgaben der landwirtschaftlichen Erzeugnisse müssen wir hier die deutsche Bevölkerung ernähren. Immerhin bleibt uns etwas zum Überleben«. Im Januar 1944 bekommt die Familie unerwartet Besuch von Otto. »Wir haben in Russland alles aufgegeben und sind auf der Durchreise nach Frankreich. Dort bekommen wir neue Panzer und sollen die Invasion der Engländer und Amerikaner aufhalten«, weiß er zu berichten. Von dem inzwischen zweijährigen Sohn seiner Schwester ist er sehr angetan. »Das wird einmal mein Nachfolger«, sagt er ihr: »Ob ich aus dem Krieg zurückkommen werde, weiß ich nicht?«. Als er sich nach einer Woche Urlaub verabschiedet, übergibt er seinem Vater seinen Karabiner. »Hier Tata, den Karabiner und zwanzig Schuss Munition schenk ich dir. Man kann ja nie wissen, ob du ihn gebrauchen kannst?«. In dieser Zeit berichtet man von Überfällen polnischer Partisanen auf deutsche Familien. Obwohl von den einheimischen Polen keine Gefahr ausgeht, begibt sich Katharinas Vater in den Nächten mit dem Karabiner in die Scheune, um den Hauseingang zu bewachen. Die Knechte zeigen sich loyal. »Es kann vorkommen, dass auswärtige Partisanen unser Haus überfallen wollen, weil es abseits liegt«, rechtfertigt Katharinas Vater seine Aktion. Zum Glück hat er nie einen Schuss abgegeben. Die Zeiten werden immer schwieriger. Die Nazis ziehen Katharinas Vater zum Volksturm ein. »Das lasse ich mir nicht gefallen!«, sagt er, als er von Soldaten abgeführt wird. »Die beiden großen Pferde haben sie bereits gegen zwei kleinere Pferde ausgetauscht. Konfiszieren nennen sie das!«, kommentiert Katharinas Vater. Nach und nach entwickeln sich chaotische Verhältnisse, weil es mit dem von Hitler angezettelten Krieg schlecht läuft. Die Propaganda versucht die Verluste schönzureden. In dieser schwierigen Zeit fällt Katharinas Vater auf, dass es seiner Frau schlecht geht. Sie muss sich mehrmals übergeben. Er ringt sich eines Tages zu der Frage durch: »Anna, ist etwas mit dir? Geht es dir nicht gut?«. Er bekommt keine Antwort. Wochen später gesteht sie ihm: »Ich glaube, ich bekomme ein Kind«. »Das fehlt uns gerade noch!«, antwortet er erregt.