Die Ausreise nach Deutschland

Die Ausreise nach Deutschland aus dem Roman Katharina der letzte Winter im Buchenland

Erst 1953, acht Jahre nach ihrer Rückführung, haben Katharina, ihre Mutter und die Kinder die Papiere für die Ausreise zusammen. Die Tante der fremden Kinder hat die Familie bei der Ausreise unterstützt. »Ohne fremde Hilfe hätten wir das nicht geschafft«, sagt Katharina, als der Brief vom auswärtigen Amt eintrifft. Das sie von der Bundesregierung her rausgekauft wurden, können sie sich nicht vorstellen. Die Familie ist über die Ausreisegenehmigung erleichtert, denn inzwischen haben sie auch etwas Geld für die Reise zusammen bekommen. Während die beiden Frauen ein schlechtes Gewissen haben, freut sich der Rest der Familie auf die Ausreise nach Deutschland. In den Papieren steht als Ankunftsanschrift Lebenstedt. Hier wohnen die Verwandten. Katharina hatte zwar andere Vorstellungen von ihrem Leben. Aber nachdem fest stand, dass Viorel mit ihr und dem Kind nichts zu tun haben will, hat sie die Entscheidung aus zureisen getroffen. Wie ein Lauffeuer spricht sich ihre Ausreise im Dorf herum. Diese Reise fällt ihnen heute leichter als vor 13 Jahren. Während sie damals zur Umsiedlung gezwungen wurden, reisen sie jetzt der Kinder wegen freiwillig aus. Viel ist inzwischen geschehen. Die letzten Jahre sind nicht spurlos an Katharina und ihrer Mutter vorübergegangen. Der Abschied von inzwischen liebgewonnen Menschen fällt ihnen schwer. Das spüren sie, als sie sich verabschieden. Trotzdem freuen sie sich auf Deutschland, das sich inzwischen wirtschaftlich gut entwickelt. Vor allem freuen sie sich auf das Wiedersehen mit ihren Verwandten. Vor der Abreise übergeben sie Karl das Haus samt Inventar. Was er daraus machen wird, weiß er auch noch nicht. »Ich werde sehen, wie es mit dem Haus weitergehen wird. Ich glaube, ich übergebe es der Gemeinde«, sagt Karl bei der Verabschiedung. Da es 1953 den Menschen in der Bundesrepublik bereits gut geht haben sie die Hoffnung, sich dort ein neues Leben aufzubauen. Sie haben von Demokratie und Freiheit gehört. Von ihren Verwandten erfahren sie, dass in Lebenstedt viele Buchenlanddeutsche vor dem Kriegsende zur Arbeit angesiedelt wurden. Später kamen Flüchtlinge hinzu. Am 6.6.1953 ist der große Tag gekommen. Mit einem Handwagen bringt Karl die Koffer zum Bahnhof. Hier haben sich Bekannte und deutsche und rumänische Freunde zur Verabschiedung eingefunden. Diesmal steigen sie in einen schmucklosen Zug ein. Bei der Abfahrt winken sie mit ihren Taschentüchern aus den Fenstern. »Wir brauchen keinen geschmückten Zug, weil wir wissen, dass man in Deutschland auf uns wartet«, kann sich Katharina bei der Abreise nicht verkneifen. Die Gedanken an die Umsiedlung von damals sind trotzdem wieder da. »Mama, ich muss daran denken, dass wir jetzt zum zweiten Mal die alte Heimat verlassen. Nur jetzt ist es ganz anders und es tut auch nicht mehr weh«, erzählt Katharina ihrer Mutter, als sich der Zug in Bewegung setzt. Die Antwort ihrer Mutter lässt lange auf sich warten: »Ja, ich denke daran, wie aufgeregt wir damals waren«. »Weißt du noch, wie meine Geschwister auf den Brettern zwischen den Bänken schlafen sollten«, erinnert sich Katharina. Eine Weile erzählen sie von alten Zeiten. »Leider ist Otto gefallen und Josef vermisst«, stellt Katharinas Mutter traurig fest. Es ist eine lange Fahrt mit vielen Aufenthalten. Bei Katharina und ihrer Mutter stellt sich Erleichterung ein, als sie die rumänische Grenze überqueren. »Weist du noch, wie aufgeregt wir waren, als wir vor acht Jahren die Grenze in die an dere Richtung überquerten?«, fragt ihre Mutter. Katharina sagt nur: »Ich möchte lieber nicht daran denken«.