Die Hochzeitsfeier 1948 von Fredis Schwester

Die Hochzeitsfeier 1948 von Fredis Schwester

Eine Hochzeit, die Fredi nicht vergisst. Als seine Schwester und der Bräutigam  es auf sich nahmen und 1948 schwarz über die Grenze nach Sachsen Anhalt kamen, war Fredi fünf Jahre alt. Es war der Antrittsbesuch des Bräutigams mit anschließender Hochzeitsfeier. Als Fredi erfuhr, dass er auf dem Weg zum Traualter den Schleier der Braut tragen sollte, freute er sich maßlos. Seine Verwandten nahmen das Risiko eines riskanten Grenzübertritts in Kauf. Er kannte die Grenzgänge von seinen Eltern, die sich durch Tauschhandel ein Zubrot verdienten. Sie besorgten Dinge, die es im Osten gab und verkauften sie im Westen für Heringe und Bücklinge. Zuhause riss man ihnen den Fisch aus den Händen, weil es hier keinen gab. Er fand es spannend, wenn seine Eltern Grenzgeschichten erzählten. Fredis Mutter erzählte, wie sie einmal von einem Mann auf dem Rücken durch den Grenzfluss Aue getragen wurde. Neben der Bewachung durch sowjetische Grenzsoldaten, mischten sich immer wieder dunkle Gestalten in dieses Grenzgeschehen ein.

Und jetzt sollten seine Schwestern und ihre Männer schwarz über die Grenze zur Hochzeit kommen. Seine Eltern machten sich Gedanken, ob sie unversehrt über die Grenze kommen  werden und wie sie die vielen Leute in ihrer kleinen armseligen Wohnung unterbringen könnten. An die Hochzeitsfeier wagten sie gar nicht zu denken. Die Leute im Ort fragten sich, warum kommen die aus dem Westen zum Heiraten in unser gottverdammtes Nest. Dass die Familie diesen Anlass gemeinsam feiern wollte, bedachten sie dabei nicht. Während seine Eltern schlaflose Nächte hatten, freute sich Fredi auf das Eintreffen der Verwandten.

Eines Tages im September traf die Hochzeitsgesellschaft mit Braut und Bräutigam bei ihnen ein. Es war für Fredi aufregend seinen „Schwager“ kennenzulernen. Als Dreikäsehoch hörte er den Erwachsenen immer genau zu. Die Hochzeitsgesellschaft aus dem Westen war mit viel Gepäck angereist. Es war in Rücksäcken, in Koffern und Taschen verstaut. Fredis Eltern brachten die Gäste aus dem Westen bei Bekannten im Ort unter, die auch an der Hochzeitsfeier teilnehmen sollten. Außerdem waren viele Behördengänge zu erledigen. Da Fredis Vater in der Gemeinde arbeitete, gab es bei der Anmeldung der Trauung keine Schwierigkeiten.  Den Westbesuchern begegnete man in dieser Zeit mit Respekt. Es war ein Widerspruch zur der bewachten Grenze. Die Verantwortlichen Gemeindevertreter hatten Gnade vor Recht walten lassen. Vielleicht auch, weil sie sich aus diesem Treffen Vorteile versprachen. In dieser Zeit wurden bereits erste Anzeichen von versteckten Kontrollen spürbar. Das alles hielt die Hochzeitsgesellschaft nicht davon ab, ihren Aufgaben nachzugehen. Die Trauzeugen aus dem Ort waren seit längerem bekannt. Der Termin für die Taxifahrt zur Kirche nach Köthen stand fest. Jetzt musste nur noch die Hochzeitsfeier in der kleinen Wohnung organisiert werden. Das komplette Wohnzimmer wurde ausgeräumt und mit ausgeliehenen Tischen und Stühlen bestückt. Fehlendes Geschirr und Bestecke wurde herangeschleppt. Im Tauschhandel wurden Getränke herbeigeschafft. Mehl und Zutaten für den Hochzeitskuchen gab es auch schon. Da die Beschaffung des Hochzeitsbraten schwierig war, waren Fredis Eltern bereit ihre großen Kaninchen für den Hochzeitsbraten zu opfern. Die Waschküche nebenan wurde kurzerhand umfunktioniert. Hier konnte gut gekocht und gebacken werden und es gab genügend Platz für den Proviant. Fredis Eltern wussten sehr genau, dass die Gäste großen Hunger mitbrachten und bei derartigen Gelegenheiten Appetit hatten. Die Probe fand bereits am Polterabend statt. Zum Glück befand sich in der Einfahrt zum Hof ein hohes Gittertor, das noch funktionierte und zum Polterabend geschlossen wurde. Das war auch gut so, denn die Dorfjugend wusste Bescheid und nutzte derartige Gelegenheiten. Fredis Eltern hatten beim Dorfbäcker mehrere Bleche Kuchen gebacken. Was sich am Polterabend, dem Tag der standesamtlichen Trauung abspielte, übertraf alle Erwartungen. In Scharen schleppten Jung und Alt alles was zum Poltern taugte heran und warfen es vor das große Eisentor. Den Kuchen den das Brautpaar draußen servierte, riss man ihnen förmlich aus den Händen. Fredi kann sich daran erinnern, dass der Kuchen nicht ausreichte und für die Gäste am nächsten Tag neue Backwaren beim Dorfbäcker besorgt werden mussten. Bekannte der Familie schlachteten die Kaninchen und bereiteten sie zu. Am nächsten Tag um zehn Uhr fuhr das spärlich geschmückte Taxi vor. Es war ein DKW, der mächtig qualmte. Fredi strahlte, weil er als Schleierträger hier mitfahren durfte. Die Gäste mussten ihre Fahrt stattdessen im öffentlichen Bus antreten. Pünktlich um elf Uhr trafen sie vor der Kirche in Köthen mit Braut und Bräutigam und Fredi als Schleierträger und den Trauzeugen auf die Hochzeitsgäste. Als die Hochzeitsgesellschaft in die vollbesetzte Kirche hereingelassen wurde, in der gerade ein Gottesdienst stattfand, wurde Fredi plötzlich unsicher. Da die Zeremonie vor dem Traualtar einige Zeit in Anspruch nahm, verzögerte sich auch die Rückfahrt. Während Fredi wieder im Auto Platz nehmen durfte, musste die Hochzeitsgesellschaft die Rückfahrt noch organisieren. Ein Pferdegespann mit dem großen flachen Wagen, das sonst die Milchkannen vom Dorf zur Molkerei transportierte, stand den Gästen zur Verfügung. Im Dorf wartete man schon auf ihre Ankunft. In der bescheidenen Herberge standen die weiß gedeckten Tische mit Feldblumen zum Empfang bereit. An alles war gedacht. Die Hochzeitssuppe, die allen gut schmeckte, stammte aus selbst gemachten Nudeln und Kaninchenfleisch. Die Gäste staunten nicht schlecht, als die braun gebratenen Kaninchen mit Kartoffeln und selbstgemachten Klößen serviert wurden. Das Bier dazu wurde in Krügen aus der Gastwirtschaft herbeigeschafft. Nachmittags gab es sogar echten Bohnenkaffee. Der Kaffee hierfür, der auch eine gute Tauschwährung war, wurde natürlich von den Gästen aus dem Westen mitgebracht. Seine Schwestern und andere Frauen trugen lange Kleider, die Fredi bisher nicht kannte. Bis spät in die Nacht wurde ausgelassen gefeiert. Der von Fredis Vater gebrannte Rübenschnaps hat bestimmt zur guten Stimmung der Hochzeitsgäste beigetragen.

Als am nächsten Tag die Katerstimmung verflogen war, dachte das frisch vermählte Paar und die Verwandten an die Rückreise. Die Schwierigkeit war nun, die Hochzeitsgeschenke unbeschadet schwarz über die Grenze zu schaffen. Fredi malte sich schon aus, wie sie wohl das geschenkte Hirschgeweih transportieren würden. Aber nein, sie nahmen es nicht mit. Ihnen viel auf, dass sein älterer Schwager nervös war. Irgendwann packte er aus und erzählte, dass er bereits bei der standesamtlichen Trauung für Sondertätigkeiten im Westen angeworben wurde. Vor der Abreise sollte er sein OK geben. Er wusste selbst nicht, wie er aus diesem Schlamassel herauskommen konnte, weil man die Westler mit der Rückreise in der Hand hatte. Fredi weiß nicht, wie das Ganze ausging, er weiß nur, dass sie mit dem Gepäck unversehrt im Westen angekommen waren. Sein Schwager hatte allerdings in der Folgezeit keinen weiteren Besuch mehr unternommen.