Die Rote Armee

Die Rote Armee

Fredis Vater war als  Soldat im Ersten Weltkrieg an der russischen Front. Selten erzählte er über Kämpfe mit russischen Kosaken aus der Zeit vor der Oktoberrevolution. Aufgrund dieser Kontakte lernte er die russische Sprache. Im Dorf suchte das sowjetische Militär händeringend einen Dolmetscher. Eine Betätigung, die sein Vater ungern annahm, denn es ging auch um Verhöre mit Dorfbewohnern. Über seine Tätigkeit bei den Sowjets sprach er damals nicht. Einmal erzählte er, wie sowjetische Soldaten einen Dorfbewohner längere Zeit in einem Keller im knöcheltiefen Wasser einsperrten. Bei seiner Tätigkeit blickte sein Vater auch hinter die Kulissen und lernte kluge russische Offiziere und einfache Soldaten kennen. Ungewollt brachten diese Kontakte auch Vorteile beim Tauschhandel. Tabak aus eigenen Tabakblättern und selbstgebrannter Rübenschnaps aus Zuckerrüben waren gute Tauschobjekte. Das Tauschgeschäft wurde in der Wohnung seiner Eltern abgewickelt. Eines Tages kamen mehrere sowjetische Soldaten mit Speck, Mehl und Brot in die Wohnung von Fredis Eltern. Sie stellten ihre Gewehre in einer Zimmerecke ab und legten das Mitgebrachte auf den Tisch. Nun erwarteten sie, dass Fredis Vater den Tabak und den Schnaps dazulegt. Während sie den Tabak in ihre Taschen steckten, ließen sie den Schnaps auf dem Tisch stehen. Etwas Brot und Speck blieben ebenfalls liegen. Sie setzten sich an den Tisch und erwarteten nun, dass Fredis Vater gemeinsam mit ihnen trinkt und isst. Sie bestanden darauf, den Schnaps aus Wassergläsern zu trinken. Als sein Vater die Wassergläser auf den Tisch stellte, verschwand der Rest der Familie. Weil Fredis Vater nicht soviel Alkohol wie die sowjetischen Soldaten vertrug, hatten diese bald ihren Spaß mit ihm. Zwischendurch wagte Fredi immer wieder einen Blick durch den offenen Türspalt. Er kann sich daran erinnern, wie sich die Soldaten ihre Zigaretten drehten. Sie nahmen ein Stück Zeitungspapier mit der Hand in die Hosentasche, in der sich Machorka (Tabak aus Tabakstengeln) befand und drehten sich eine Zigarette. Sie holten sie heraus, zogen das Zeitungspapier an ihren feuchten Lippen vorbei und formten daraus eine Zigarette. Als sie das Zigarettenende anzündeten, entfachten sie eine große Flamme. Diesem Schauspiel sah Fredi jedes Mal gespannt zu. Heute fragt sich Fredi, wie er es in ewig verqualmten Zimmern aushalten konnte. Später hatte er mit seinen Freunden versucht Paparohschis, russische Zigaretten, zu rauchen. Er glaubt, sie haben sich danach in die Hose gemacht. Aber nur weil sie unreifes Obst aßen, um den Tabakgeruch zu vertuschen. Als die Sowjets die Macht abgaben und deutsche Gemeindeverwaltungen und wieder Bürgermeister eingesetzt wurden, wurde sein Vater Gemeindearbeiter. Zuvor wurde ihm für die Dienstzeit bei den Sowjets das Arbeitsbuch mit dem „roten“ Stern der Roten Armee ausgehändigt.