Die Umsiedlung aus dem Buchenland


Die Umsiedlung aus dem Buchenland aus dem Roman, Katharina der letzte Winter im Buchenland

Im Laufe des Septembers stellt sich heraus, dass es zwischen Stalin und Ribbentropp, einem Hitlervertrauten, zu einer Umsiedlungsvereinbarung für alle Deutschen in der besetzten Nordbukowina kommen soll. Das soll nicht nur für die Deutschen in der Hauptstadt Czernowitz gelten, sondern auch für die umliegenden Orte. Das löst bei allen Konfusion aus. Willi und Dora wissen nicht, was sie nun machen sollen. Sie müssen damit rech nen, dass sich die jüdische Herkunft von Dora nicht verheimlichen lässt. Eine Trennung kommt für die beiden nicht in Frage. Die Deutschen im Süden der Bukowina fragen sich, ob sie die Nächsten sind? Die Sommergäste aus Bukarest sind inzwischen abgereist. Katharina und ihre Mutter räumen das Sommerhaus aus, denn jetzt kann die Familie wieder in ihr Haus einziehen. Es wird auch Zeit, denn die Nächte sind kühler geworden. Katharinas Mutter hat Willi und Dora das Sommerhaus an geboten. Sie möchten aber bei Katharinas Tante bleiben. Die Menschen versuchen wieder den Alltag einziehen zu lassen. Jetzt beginnt die Erntezeit und es steht viel Arbeit vor ihnen. Gemeinsam werden sie die Vorräte für den Winter anlegen. Katharinas Mutter geht es seit einigen Tagen gar nicht gut. Sie ist traurig und grübelt viel. Sie denkt wohl daran, was jetzt alles geschehen kann. Trotzdem machen sie in ihrem alten Trott weiter. Die nächste Zeit vergeht ohne neuen Informationen, bis im Oktober das Gerücht gestreut wird, dass sich auch die Deutschen aus der Südbukowina der Umsiedlung der Nordbukowina anschließen sollen. Man spricht davon, dass Hitler die deutschen Bewohner heim ins Reich holen will. Diese Botschaft löst bei Willi und Dora Panik aus. »Das ist das Schlimmste, was passieren kann«, sagen die beiden, denn inzwischen ist bekannt, wie Nazideutschland mit den Juden umgeht. Sie haben von den angezündeten Synagogen und den Enteignungen der Juden und den Bücherverbren nungen gehört. Willi und Dora sind nicht in der Lage mit uns darüber zu sprechen. Sie ziehen sich ganz zurück. Entweder sind sie in ihrem Zimmer oder sie gehen in den Wald. Sie sind an scheinend so verzweifelt, dass alle Angst haben, dass sie sich etwas Schlimmes antun können. Wenn sie die Beiden beim Essen sehen, stellen sie fest wie sie leiden. Die schlaflosen Nächte zermürben sie. Aber was können sie tun? »Meine Eltern haben anscheinend noch nicht begriffen, was die neuen Nachrichten für uns bedeuten. Was soll aus den Deutschen im Süden der Bukowina werden?«, fällt Katharina ein. Hinter vorgehaltener Hand spricht man sogar darüber, dass die Russen in den Süden der Bukowina vorrücken sollen. Im Oktober ist es amtlich. In einem Abkommen zwischen Deutschland und Rumänien wurde vereinbart, dass auch die Deutschen aus Südbukowina umgesiedelt werden. Ein freiwilliger Zwang. Die Umsiedler sollen entschädigt werden und erhalten neues Eigentum. Ohne Hauptstadt Czernowitz können sich die Deutschen die Bukowina nicht vorstellen. Diese Botschaft löst bei Katharina und ihrer Familie Kopflosigkeit aus. Katharina hat ihre Arbeit aufgegeben, weil sie jetzt dringend zu Hause benötigt wird, denn man will trotzdem das Gemüse aus dem Garten ernten und winterfest machen. Was mit den Tieren geschehen soll, wissen sie nicht. Katharina fragt ihre Mutter: »Lohnt sich das noch?«. Ihre Mutter will sich nicht davon abbringen lassen die Ernte einzubringen und kümmert sich weiter um das Vieh. »Mama, hast du nicht mitbekommen, was alles erzählt wird!«, spricht Katharina ihre Mutter eines Tages an. »Aber ja Kind, wir sehen doch jeden Tag wie Willi und Dora leiden. Bisher habe ich geglaubt, das gilt nur für den Norden«, antwortet ihre Mutter. Katharina hat den Eindruck, dass ihre Mutter alles verdrängt. Sie hofft natürlich, dass sie selbst irgendwann ein viel besseres Leben führen kann. Es dauert nicht lange, bis die ersten Reichsdeutschen im Ort eintreffen. Sie gehören der SS an, weil Hitler Himmler mit der Umsiedlung der Volksdeutschen beauftragt hat. Es wird eine Umsiedlungskommission gebildet, der auch Einheimische angehören. »Siehst du Mama, jetzt wird es Ernst!«, wirft Katharina ihrer Mutter an den Kopf. »Hör nur auf, wir haben noch viel zu tun«, ist ihre verzweifelte Antwort. Im Dorf gibt es kein anderes Thema als die Umsiedlung. Es strömen immer mehr reichsdeutsche SS-Offiziere ein, die in größeren Orten Aussiedlungsstäbe einrichten und für die deutschen Bürger im Land Verwaltungsaufgaben übernehmen. Sie sind gut organisiert. Es geht alles sehr schnell. »Willi und Dora, die von uns Hilfe erwarten, sind jetzt ganz verzweifelt. Sie können nicht zurück und nach Deutschland können sie auch nicht«, erkennt Katharina. Jetzt müssen sich die deutschen Dorfbewohner mit den Gedanken der Umsiedlung auseinandersetzen. Täglich prasseln neue Hiobsbotschaften auf die Menschen ein. Mal heißt es, im Süden kann man mehr mitnehmen als in der Nordbukowina, mal sagt man, dass es nicht stimmt. Im Norden können die Umsiedler nur 50 kg Handgepäck mit nehmen. Auch heißt es, jeder Umsiedler wird in Deutschland voll entschädigt. Katharinas Mutter sagt nur: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir alles, wofür wir ein Leben lang gearbeitet haben, liegen und stehen lassen sollen«. Katharina hat zu diesen Dingen keine so enge Bindung. »Wichtig ist doch, dass es uns irgendwann besser geht, als hier. Ihr habt doch mitbekommen, dass wir nichts mehr zu sagen haben«, gibt Katharina zum Besten. Ihr Vater kann sich nun gar nichts vorstellen. Er weiß nicht wie es mit dem Steinbruch weitergehen soll. »Wie stellen die sich das vor? Soll ich die Arbeiter nach Hause schicken? Und wo soll ich den Sprengstoff lassen?«. Fragen über Fragen fallen ihm ein. Sein jüdischer Arbeitgeber kümmert sich jetzt nicht mehr um den Steinbruch. »Vielleicht ist er schon zu den Russen übergegangen?«, kommentiert er ironisch. Seine Frau wirft ein: »Wir müssen auf jeden Fall noch unsere Schulden beim jüdischen Kaufmann bezahlen!«. Halbherzig bringen sie nun doch noch die Ernte ein. Wer weiß, wer weiß, lautet die Devise. Sie schlachten sogar ein Schwein und einige Gänse. Das Gänsefleisch wird gebraten und mit samt dem Fett in Steinkrügen haltbar gemacht. »Man kann nie wissen, was noch auf uns zukommt?«, gibt resigniert Katharinas Mutter von sich. Willi und Dora helfen kräftig mit. Zum Einen wissen sie nichts mit der Zeit anzufangen und zum Anderen wissen sie auch nicht was aus ihnen wird. Aus Czernowitz hört man nur, dass die dortigen deutschen Einwohner Richtung Deutschland umgesiedelt werden. Auch die Verwandten von Katharina. Von Tag zu Tag werden hier im Süden die Umsiedlungsgedanken konkreter. Für den rumänischen Staat wird in einer gemischten Kommission das Vermögen der Deutschen dokumentiert, das der Staat an Nazideutschland bezahlen soll. In Czernowitz gehört nach dem Einmarsch der sowjetischen Soldaten den Bewohnern sowieso nichts mehr. Alles wurde zu Volkseigentum erklärt. Deshalb haben die Sowjets wenig Interesse an der Feststellung des deutschen Vermögens. Auch Willi und Dora haben auf diese Weise ihr Haus und das Geschäft verloren. Diese ungeheuerlichen Vorgänge kann man mit normalem Menschenverstand nicht begreifen. Inzwischen sind die Tage kürzer geworden. Lange Schatten bringen Kälte in das Tal. Wenn Katharina zu Haus nicht gebraucht wird, ist sie mit Viorel und Rosanah zusammen. Ihre kleineren Geschwister begreifen diese Situation sowieso nicht. Sie freuen sich schon auf die Eisenbahnfahrt. Jetzt werden die deutschen Bewohner des Ortes von den SS-Angehörigen und den Sicherheitsbehörden überprüft. Ihre deutsche Zugehörigkeit und Lebensweise wird kontrolliert, weil sie im deutschen Reich eingebürgert werden sollen. Bei sogenannten Mischehen zeigt sich die Kommission großzügig. Viele persönliche Merkmahle, wie Körpergroße und Augen- und Haarfarbe, spielen schon hier eine Rolle. Als Katharina nach Hause kommt, berichtet sie: »Ich habe gehört, dass wir Ende Oktober bis Anfang Dezember mit der Bahn ausreisen sollen. In Czernowitz stehen bereits die Züge für die Umsiedlung bereit«. Diese Botschaft ist zu Hause wie eine Bombe eingeschlagen. Jetzt heißt es, das Gepäck für die Umsiedlung vorzubereiten. Aufgeregt treffen die Deutschen im Dorf zusammen. Sie wissen nicht was sie machen sollen und verfallen in Hektik und Apathie. Die Rumänen können das Ganze nicht begreifen, wobei sie nicht wissen, ob sie sich freuen können. Bleiben doch die schönsten Häuser und Grundstücke der Deutschen zurück. Für ihr Vermögen und die vielen schönen Einrichtungsge genstände bekommen die deutschen Dorfbewohner jetzt sowieso nichts mehr. Sie können es entweder stehen lassen oder verschenken. Verkaufen können sie es nicht. Auffallend ist, dass auch Rosanah und Viorel nicht mehr häufig vorbeischauen. Katharina ist mit ihren 17 Jahren zwischen Viorel und den Erwartungen der Ausreise hin und her gerissen. Zwischen Katharina und Viorel hat sich so etwas wie Zuneigung entwickelt. Sie unternehmen viel gemeinsam und sprechen auch über die neue Situation. Auch Viorel und Rosanah können sich nicht vorstellen, dass Katharina eines Tages nicht mehr hier sein wird. Wenn Katharina spät nach Hause kommt, fragt ihre Mutter: »Warst du wieder bei Viorel?«. Wenn ihre kleinen Geschwister das mitbekommen, fragen sie: »Wann kommt Viorel mit seinen Pferden vorbei?« Im Herbst hat er mit einem Pferd den Garten gepflügt. Ihre Eltern hätten das Umgraben in diesem Jahr nicht geschafft. Die langen Abende sind eigentlich die Zeit für gemeinsame Heimarbeiten in den Häusern. In diesem Jahr ist alles an ders. Sie treffen sich, sie arbeiten aber nicht mehr zusammen. Aufgeregt wird immer wieder über die Umsiedlung gesprochen. Als eines Abends der Bürgermeister vorbeischaut, fragt ihn Katharinas Vater: »Wer ist eigentlich dieser Hitler, von dem jetzt alle sprechen?« »In Deutschland laufen sie ihm hinter her«, antwortet er und fährt fort: »Deutschland ist stark geworden. Nachdem Deutschland vor einem Jahr Polen und die Tschechei eingenommen hat, haben sie alle Angst. Vor Monaten hat er Frankreich besetzt. Rumänien versucht mit Nazideutschland und Italien gut auszukommen und hat deswegen dem Umsiedlungsvertrag zugestimmt«. »Warum macht Rumänien das nur?«, fragt Katharinas Vater. »Wir haben Angst überfallen zu werden. Hitler erwartet für euer Vermögen von uns Rohstofflieferungen«. Katharinas Mutter, die dabei ist, fragt: »Was will er alles für unsere Häuser haben?«. »Vor allem Petroleum und Öl für seinen Krieg«, ist seine Antwort. »Und dort sollen wir jetzt hin?«, mischt sich Katharina ein: »Wenn es stimmt, was die Nazis mit den Juden machen, ist das ein großes Verbrechen!«. Bei Zusammenkünften mit Nachbarn gibt es am nächsten Tag viel zu besprechen. »Mama, wie machen wir das mit meinen Geschwistern?«, hinterfragt Katharina. »Die nehmen ihre kleinen Rucksäcke und etwas Spielzeug mit und dann sehen wir was daraus wird. Ich mach mir Sorgen, wie das mit dem Schlafen wird?«, antwortet die Mutter. »Wir werden in einer Kiste unseren Hausrat und Bettwäsche einpacken. Ich hab gedacht, dass wir zwei Steintöpfe mit den eingelegten Gänsen mitnehmen, obwohl ich hoffe, dass wir unterwegs mit Essen versorgt werden«. Und so geht es den ganzen Abend, obwohl sich niemand vorstellen kann, wie alles wirklich ablaufen wird. Die Fragen, wo sie unterkommen und was sie wieder bekommen werden, bleiben unbeantwortet. Die deutschen Bewohner im Dorf haben Fragen über Fragen, die ihnen niemand beantworten kann. »Wie machen wir es mit dem Abschließen der Haustüren, wem übergeben wir das Haus und was machen wir mit den Tieren?«, fragen sie. Da mischt sich Katharinas Mutter ein: »Weil Willi und Dora hier bleiben, können wir ihnen sagen, was sie machen sollen. Den Schlüssel vom Hauseingang werde ich noch finden«. Ein schwacher Trost. »Wir müssen noch unbedingt mit ihnen darüber sprechen«, fügt Katharina hinzu. Bevor ich es vergesse, sagt Katharina: »Viorel wird uns mit dem Pferdewagen zum Bahnhof bringen«. »Das möchte ich nicht!«, kommt es trotzig von ihrer Mutter. Während sie Tag und Nacht grübeln, arbeitet die Umsiedlerkommissionen mit Hochdruck an ihren Plänen. Es treffen immer wieder neue Informationen ein, die sie beachten müssen. Die Kommission erstellt lange Namenslisten und arbeitet Fahrpläne aus. Katharinas Familie fällt auf, dass die Ansprechpartner in der Kommission höflich und korrekt auftreten, was sie als Deutsche von den rumänischen Beamten nicht sagen können. Da es nur noch drei Wochen bis zur Umsiedlung sind, besucht sie heute wieder der Bürgermeister. Sie haben viele Fragen und vor allen Dingen geht es um den Verbleib von Willi und Dora. Nach den vielen aufregenden Tagen freuen sie sich auf den Besuch. »Herr Bürgermeister, es ist schön, dass sie uns in dieser Zeit besuchen«, empfängt ihn Katharinas Mutter. Willi und Dora, Katharinas Vater, Katharina und ihr großer Bruder nehmen an dem Gespräch teil. Katharinas kleineren Geschwister haben sie in die Betten geschickt. Aber sicher werden sie hinter der Tür horchen. »Darf ich ihnen unsere Bekannten Willi und Dora aus Czernowitz vorstellen. Die beiden waren bei uns zur Sommerfrische und wollen nicht mehr zurück. Die Russen wohnen in ihrem Haus und regieren mit harter Hand. Sie können sich vorstellen, was dort los ist?«, lenkt ihr Vater ein, während die Beiden mit steinernen Gesichtern Platz genommen haben. Katharina ergänzt gleich: »Sie wollen auch nicht mit uns umsiedeln, sie möchten hier bleiben«. »Das sollte kein großes Problem sein, von den vielen Deutschen bleiben einige aus familiären Gründen zurück«, antwortet der Bürgermeister auf Katharinas Hinweis. Man sieht Beiden die Erleichterung an. »Herr Bürgermeister, wir wollen sie mit unseren Fragen nicht überhäufen, obwohl wir gern wissen möchten, was mit unserem Haus und den Tieren wird?«, mischt sich Katharinas Mutter ein. »Liebe Frau, das Vermögen der Umsiedler geht an den rumänischen Staat und wir in den Verwaltungen müssen damit fertig werden«, antwortet er. »Das rumänische Militär wird uns dabei unterstützen und zum Beispiel die Tiere abholen. Sie brauchen sich keine Sorgen machen!«, beruhigt er die Anwesenden. »Wer in die zurückgelassenen Häuser einziehen wird, steht noch nicht fest. Die Regierung wird aber Statuten für die rumänischen Bürger erstellen. Schließlich bekommt Rumänien auch eine Rechnung von der deutschen Regierung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat etwas zu verschenken hat«, ergänzt er seine vorangegangen Worte. Geduldig beantwortet der Bürgermeister noch diese und jene Frage, während Willi und Dora gespannt zuhören. Schließlich geht man zum gemütlichen Teil über und erzählt nach einigen Schnäpsen alte Geschichten. Mit rumänischer Gelassenheit verabschiedet sich der Bürgermeister zu später Stunde. Er hinterlässt eine aufgewühlte Familie, die in der folgenden Nacht keine Auge zubekommt. Katharina muss zum Schluss noch ihre Meinung zum Besuch des Bürgermeisters kundtun: »Merkt ihr nicht, dass er froh ist, dass er die Deutschen los wird, wollen sie doch ihre Lebensweise erhalten und nicht Rumänisiert werden«. Aber Kind: »Der Bürgermeister ist doch ein netter Mann«, antwortet ihre Mutter darauf. »Man kann nicht alle über einen Kamm scheren«, ergänzt ihr Vater. Am nächsten Tag gehen die Gespräche und Besuche im Dorf weiter. Sie verabschieden sich von ihren rumänischen Freunden und Bekannten und sind guter Hoffnung, dass die Familien irgendwie zusammenbleiben werden. Von Hitler und Nazideutschland weiß man immer noch nicht viel, obwohl jetzt in den Räumen der Kommissionen Hakenkreuzfahnen und Hitlerbilder hängen. Das einzige was die Menschen hier wissen ist, dass Deutschland vor drei Monaten 1000 Deutsche aus der Bukowina zum Studieren ins Reich geholt hat. Unter vorgehaltener Hand sagt man, dass die meisten bei der SS gelandet sind. Spätestens hier trennen sich unter den Umsiedlern die Geister. Die meisten Älteren sind misstrauisch und traurig. Andere sind schon zu den Nazis übergegangen. Die jungen Menschen, wie Katharina, sehen eine Chance in dieser Aktion. Irgendwie schließt sich der Kreis der deutschen Bewohner. Sie gehen wieder dort hin, wo sie mal hergekommen sind, nach Deutschland. Katharina ist in den letzten Tagen abgetaucht und hält sich viel bei Viorel und Rosanah auf. Ihrer Mutter gefällt das nicht. Zwei Wochen vor der Umsiedlung erfahren sie die Termine. Mit drei Zügen sollen sie gemeinsam mit den Deutschen aus Luisenthal abreisen. Am 1.11., am 15.11. und am 1.12.1940. »Mama, wir müssen jetzt packen!«, kommt es aufgeregt von Katharina. »Ich weiß nicht was wir zuerst und zuletzt einpacken sollen?«, antwortet ihre Mutter. »Wir nehmen die große Truhe vom Speicher mit, hier passt viel rein«, fällt Katharina ein. Als Katharinas Vater nach Hause kommt, versucht er die beiden Frauen zu beruhigen: »Wir machen eine Aufstellung, um zu sehen was zusammenkommt«. An diesem Abend kommt nicht mehr viel zustande. Am nächsten Tag setzten sich die beiden Frauen hin und erstellen eine Liste. »Wie wollen wir das alles mitbekommen«, stellen sie schnell fest. Als Katharinas Vater die Liste sieht, sagt er: »Das geht nicht. Wir gehen zur Umsiedlungskommission und hören was sie sagt?«. In den nächsten Tagen gehen sie wieder zur Umsiedlungskommission. Im Deutschen Haus geht man nicht auf ihre Fragen ein. Hier erwartet man nur vollständige Unterlagen für die Umsiedlung. Nun sind sie ganz durcheinander. Zuhause angekommen kramt die Familie in den Schubfächern nach Geburts- und Heiratsurkunden. »Wir müssen unbedingt noch zum Pfarrer und ins Gemeindebüro. Uns fehlen Unterlagen«, stellt Katharinas Mutter entsetzt fest. In den nächsten Tagen sind sie auf den Ämtern. Hier müssen sie Schlange stehen. Vom Pfarrer bekommen sie fehlende Heirats- und Geburtsurkunden. Über alles was der Pfarrer über die ausreisenden Familienmitglieder in seinen Büchern hat, stellt er Dokumente aus. In der Zwischenzeit fangen sie an zu packen. Wenn sie mit anderen Leuten sprechen, kommen sie zu keinem Ergebnis. »Wir müssen uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren«, stellt sich Katharinas Vater vor. Aber was ist wichtig? »Kleidung, Wäsche, Bettzeug sind auf jeden Fall wichtig«, stellt Katharinas Mutter fest und ergänzt gleich: »Ich möchte auch Erinnerungstücke wie Bilder und Hochzeitsgeschenke mit nehmen«. Bald stellen sie traurig fest, das viele Schätze zurückbleiben. Katharinas Eltern haben für sich und die Kinder einen Koffer, eine große Holzkiste, eine Truhe und mehrere Rucksäcke vollgestopft. „Dann leihe ich mir für meine Sachen einen Koffer von Viorel“, stellt Katharina fest. Dabei bedenkt sie nicht, dass sie ihm den Koffer nicht zurückgeben kann. Eines Tages erscheinen zwei Beamte zur Aufnahme des Vermögens. Entsetzt ist die Familie, als sie einen Zettel in die Hand gedrückt bekommt, auf dem steht neben der Anschrift der Eigentümer: „Ein Haus mit Stall, eine Sommerküche, eine Werkstatt. Alles mit Inventar. Ein Grundstück mit Zweitausend Quadratmeter Fläche“. Auf die Frage von Katharinas Vater: »Es fehlen noch die Tiere und andere Sachen», sagt man ihm: »Das ist nicht unsere Aufgabe». Ironisch weist Katharina daraufhin: »Die Kühe stehen noch auf der Weide«. Sie gehen abwechselnd zur Umsiedlerkommission ins Deutsche Haus. Schon vor dem Haus warten Menschen. Sie spüren, dass die Berater hinter den Tischen überfordert sind. An die Hitlerbilder und Plakate in den Räumen können sie sich nicht gewöhnen. Als die Familie auf dem Weg zur Umsiedlerkommission am Haus von Oskar Vogel vorbei kommt, geht das Fenster auf und Maria Vogel ruft sie hinein: „Kommt rein, ich habe etwas Schönes für euch“. Sie gehen rein. Im Haus riecht es nach frischen Krautbuchteln. So ist es hier, du gehst irgendwo vorbei und wirst zum Essen in ein Haus gerufen. Jetzt wo sie auch hier über die Umsiedlung sprechen denkt Katharina wehmütig an ihre Kindheit: »Es ist schön hier. Ich werde viel vermissen. Ich werde mich an vieles erinnern«. In Etappen erhalten die Ausreisenden jetzt ihre offiziellen Papiere. Jeder erhält einen Umsiedlerausweis, den er sich an einem Band um den Hals hängen soll. Da es nach dem Alphabet geht werden Katharina und ihre Familie mit dem letzten Zug fahren. Die Deutschen sind soweit von der Wirklichkeit entfernt, dass sie alles nur für einen Traum halten. Trotzdem müssen sie noch viel erledigen. Da Katharina und ihre Familie erst mit dem letzten Transport ausreisen, sind sie mit vielen Anderen bei der Verabschiedung des ersten Transports dabei. Was sie hier sehen verschlägt ihnen den Atem. Schon Stunden vor der Abreise steht ein mit Fahnen und Girlanden geschmückter Personenzug auf dem Bahnhof. Die Menschen sind kopf- und sprachlos. Mit Pferdefuhrwerken und Handwagen schleppen die Umsiedler ihr Gepäck heran. Bis auf das Handgepäck, dass sie unter den Sitzen oder in Gepäcknetzen verstauen, werden Kisten und Bündel in den Gepäckwaggons untergebracht. Einige nehmen sogar Möbelstücke mit. Jede Person soll einen Sitzplatz erhalten und Familien sollen zusammenbleiben, heißt es. Es gibt Menschen, die schon sehr früh erscheinen, es gibt aber auch Menschen, denen man den schweren Abschied anmerkt. Es gibt unzählige Abschiedsszenen und es fließen Tränen. Die Rumänen stehen an den Seitenrändern und sehen sich das Schauspiel an. Manche haben ebenfalls Tränen in den Augen und manche sind vielleicht froh, dass sie die Deutschen los sind. Das gleiche findet auch auf deutscher Seite statt. Katharinas Familie erlebt mit, wie eine Nachbarfamilie auf ihren Vater wartet, der sich nicht von seinem Haus trennen kann. Vor dem Haus liegen die neuen Schindeln für das Dach. Anderswo schreien Kinder, weil sie ihre Eltern verloren haben. Bei einigen Hundert Abreisenden dauert es lange, bis es ruhiger wird. Es geschehen eigenartige Dinge. Väter brechen Zaunlatten von angrenzenden Zäunen, um für ihre Kinder Liegeflächen zwischen den Holzbänken im Waggon zu schaffen. Um 20:00 Uhr beginnt die Kontrolle der Kommissionsbevollmächtigten. Die Personen und die Papiere werden genauestens überprüft. Als um 22:00 Uhr der Zug abfahren soll, ist der fehlende Vater der Nachbarin immer noch nicht im Zug. Die Familie schickt ihre älteste Tochter zum Nachsehen. Nach einer halben Stunde kommt sie aufgelöst und weinend zum Zug und erzählt aufgeregt ihrer Mutter: »Tata wollte mitkommen. Als er die Hoftür zugemacht hat und sich zum Haus umdreht, fällt er plötzlich um«. Die herbeigeeilten Nachbarn stellen fest, dass er ohnmächtig geworden ist. Die Familie muss nun ohne ihren Vater abreisen. Er wird nach Kimpolung in das Krankenhaus gebracht. Später erfahren sie, dass er einen Herzinfarkt erlitten hat. Die Familie wird ihn nicht wieder sehen. Nach diesem Drama verlassen die meisten Menschen den Bahnhof. Insassen des Zuges, die das schreckliche Geschehen nicht mitbekommen haben, winken aus den Fenstern und wundern sich über die zaghafte Erwiderung. Da es inzwischen dunkel geworden ist, entschließen sich Katharina und Familie den Nachhauseweg anzutreten. Statt Erleichterung erleben sie wieder eine unruhige Nacht. Zu Hause sitzen sie auf gepackten Koffern und wissen nicht, wo die Reise hingeht. Die nächsten Tage sind für alle Beteiligten ein Martyrium. Sie erleben diese Tage wie in Trance. Auch Katharinas Vater hat sich inzwischen mit der Situation abgefunden und im Steinbruch, bis auf das Wachpersonal, die Arbeiter nach Hause geschickt. Auch die rumänischen Arbeiter. Die Sprengkapseln und die Zündschnüre hat er im Bunker im Steinbruch eingeschlossen. Da sich viel Reisegepäck angesammelt hat, ist Katharinas Mutter damit einverstanden, dass Viorel sie mit seinemPferdegespann zum Bahnhof bringt. Die Zeit des Abschiednehmens rückt näher. Einen Vorgeschmack davon haben sie bereits mitbekommen. Die nächsten Tage vergehen wie im Fluge. Die Treffen und Abschiede von Bekannten und Freunden bestimmen ihren Zeitplan. Bei der Verabschiedung des zweiten Transports sind sie nicht dabei, weil sie sich das Grauen nicht ansehen möchten. Sie bekommen es nur als Dorfgespräch mit. Katharina stellt auf dem Weg zu Viorel fest, dass an den Zäunen in Bahnhofsnähe weitere Zaunlatten fehlen. Sie denkt sich dabei: »Wenn unser Transport abfährt, werden die Zäune keine Latten mehr haben. Die Väter werden sie zum Bettenbauen zwischen den Zugbänken für ihre Kinder abgerissen haben«. Auch die Familie von Viorel und Rosanah ist jetzt ganz aufgewühlt, stellt Katharina bei ihrem Besuch fest. Um Katharina abzulenken, spannt Viorel die Pferde vor den Wagen und fährt mit ihr davon. Wo sie hinfahren weiß niemand. Nach Stunden kommen sie wieder. Diese Fahrten finden in den letzten Tagen häufiger statt. Ihrer Familie fällt das nicht auf, weil sie mit ihren Sorgen nicht fertig wird. Die Umsiedler fragen sich immer wieder, wo kommen sie hin und was wird mit ihnen geschehen? Jetzt können sie gar nicht mehr schlafen, auch Katharina nicht. Am 1.12. fährt Viorel mit dem Wagen und seinen Pferden vor. Sie haben soviel Gepäck, dass sie es mit dem Handwagen nicht mitbekommen hätten. Auch das Gepäck ihres Onkels laden sie auf. Am Bahnhof laden sie im großen Durcheinander die großen Gepäckstücke in den Gepäckwagen des mit Girlanden und Fahnen geschmückten Zuges. Katharina und ihre Familie suchen sich Sitzplätze im Personenzug. Ihr Vater macht das was die meisten Väter machen, er bringt einige Zaunlatten mit in den Waggon. In den Gepäcknetzen verstauen sie ihr Handgepäck. Damit bis zur Abreise niemand ihre Plätze belegt, passen die Kinder darauf auf. Katharinas kleineren Geschwister möchten am liebsten nicht mehr aus dem Zug aussteigen. Vielleicht ist das auch besser so, weil sie dann nicht verloren gehen. Während Katharinas Eltern noch einmal nach Hause gehen, um in Ruhe Abschied zu nehmen, fährt Katharina mit Viorel davon. Punkt 20:00 Uhr sind alle, bis auf Katharina, im Zug. Sie haben ihre Umsiedlerpässe um den Hals hängen und ihre Papiere bei der Hand. Als im Zug die Kontrolle beginnt, ist Katharina immer noch nicht da. Ihre Eltern sind zornig. Erst dreißig Minuten vor der Abfahrt trifft Katharina am Zug ein und muss sich eine Ermahnung von den Kontrolleuren gefallen lassen. Während bei der Abfahrt Katharina und ihre Geschwister fröhlich aus den Fenstern winken, sitzen ihre Eltern, wie alle älteren Mitreisenden, trübsinnig und versteinert auf ihren Plätzen. Endlich fährt der Zug mit der pfeifenden und schnaubenden Dampflokomotive ab. Dora und Willi winken lange hinter her. Den Steinkrug mit dem gebratenen Gänsefleisch, das Brot, die Getränke und anderes Essbares haben ihre Eltern, wie alle Mitreisenden, unter den Holzbänken des Zuges verstaut. Nach anfänglichem Getuschel sitzen sie nun still und müde da. Katharinas Vater holt jetzt die Zaunlauten hervor und baut für die Kinder das Nachtlager auf. Zwei gegenüberliegende Bänke haben sie für die Kleinen reserviert. Auf den Zaunbrettern zwischen den Zugbänken und Decken legen sich die Kinder hin, obwohl an Einschlafen nicht zu denken ist. Niemand hat ein Auge zugetan, als der Zug auf einem Bahnhof in Ungarn hält. In zwei Stunden werden sie so gut es geht mit Essen und Getränken versorgt. Schwestern des Roten Kreuzes kümmern sich um die älteren und kranken Mitreisenden. »Seht ihr, in der Bukowina hat sich niemand um uns gekümmert«, kann sich Katharina nicht verkneifen. Stattdessen fragt ihre Mutter: »Wo warst du so lange. Wir haben schon gedacht du willst bei Viorel bleiben?«. »Nein, Viorel und ich wollen aber in Kontakt bleiben und uns schreiben«, ist ihre Antwort. »Na ja, mal sehen?«, sagt ihr Vater dazu. Ihre Geschwister sind immer noch ganz aufgedreht. »Heute Nacht werden die Kinder bestimmt einschlafen«, vermutet besorgt ihre Mutter. Inzwischen ist durchgedrungen, dass ihr Transport nach Marienbad in der Tschechei geht. Gegen Abend trifft der Zug in Bruck an der Leitha in Österreich ein. Hier werden sie mit Musik empfangen und besonders gut versorgt. Es gibt geschmierte Brote und Getränke. Die Kinder bekommen Milch, während die Krankenschwestern sich wieder um Kranke und ältere Personen bemühen. Ihnen wird gesagt, morgen kommt ihr in Reichstadt an, dann könnt ihr aussteigen. Alle sind neugierig, was sie dort erwartet. In Reichstadt werden sie mit den Klängen einer Militärkappelle von fähnchenschwenkenden Menschen empfangen.