Ein vergessener Landstrich in der Bukowina

Das Buchenland, ein vergessener Landstrich aber mit unvergänglichen Lettern in das Herz Gottes geschrieben –


Ein seelsorgerlicher Besuch bei den Evangelischen im Buchenland von Pfarrer Hans-Dieter Krauss (April 2011)

 

Zur Person von Pfarrer Hans-Dieter Krauss

Pfarrer Hans-Dieter Krauss
Pfarrer Hans-Dieter Krauss

Pfarrer Hans-Dieter Krauss betreut in der evangelischen Gemeinde Bistritz, der Hauptstadt des Nösnerlandes, mit über 250 Gemeindegliedern eine der größten Gemeinden im Bezirk Schäßburg. Auf dem Gebiet des ehemaligen Kirchenbezirkes Bistritz sowie in der Diaspora (Bukowina, Kreis Suczawa) werden 24 Kirchengemeinden mitbe-treut. In regelmäßigen Abständen besucht er die über die Südbukowina verstreuten evangelischen Gläubigen. Soweit es geht, werden die Gottesdienste in den evangelischen Kirchen, aber auch in den privaten Räumen der Gläubigen, abgehalten. Pfarrer Krauss kennt seine „Schäflein“ sehr genau. Mit Gottes Hilfe bringt er ihnen Hoffnung und Zuversicht.

Für die katholischen Gläubigen übernahm bis 2013 Pater Johann Proschinger, Pfarrer der römisch-katholischen deutschen Gemeinde in der Bukowina in Suczawa diese Aufgabe. Er hielt Gottesdienste in Gura Humora, Sereth, Radautz, in Katschika und in anderen Orten. Bis ins hohe Alter besuchte er mit seinem Auto die Gläubigen und Kranken in der Region und spendete ihnen Hoffnung und Segen. Der letzte deutsche katholische Pfarrer der Bukowina verstarb 2013 mit 87 Jahren.

Alfred Wanza – 2016

Bereits die logistischen Vorbereitungen einer sol­chen Reise sind aufwendig: Vorbereitung des Dienstwagens, Durchgehen der Checkliste, Verstän­digung der Ansprechpersonen, sorgfältige detaillierte Zeitplanung, Einplanung aller Einzelbesuche, Zeit für Unvorhersehbares, um nicht den ganzen Zeitplan platzen zu lassen, usw.

Am Freitag in den Abendstunden breche ich aus Bistritz auf. Mein erstes Ziel ist das Hotel „Intus“ in Dornawatra, das der Mutter unserer dortigen Kurato­rin gehört, und wo ich Quartier nehmen darf – jeder­zeit!

Samstag am frühen Morgen breche ich dann nach Radautz auf. Etwa zweieinhalb Stunden Fahrt liegen vor mir. Der Himmel ist bedeckt aber die Straßen sind trocken und ich komme gut voran. Ich lasse links die Kirche von Jakobeni hinter mir – „Ein feste Burg ist unser Gott“ steht über dem Portal, wie bei allen evangelischen Kirchen im Buchenland. Es ist das Bekenntnis dieser Volksgruppe im anderskonfes­sionellen Umfeld… morgen werde ich hier einen Gottesdienst halten.

Als ich den Mestecăniș-Pass erreiche, beginnt es zu schneien. Weiter oben bleibt der Schnee auf der Straße liegen. Die Sicht ist auf 20 m reduziert. Ich muss langsam fahren. Ob ich rechtzeitig in Radautz ankommen werde?

Ab Kimpolung herrscht dann wieder Frühlings­wetter und ich kann wieder kräftiger aufs Gaspedal treten. Hinter Gura Humora in Paltinoasa biege ich von der Hauptstraße ab und fahre auf Solka zu. Die sanften Hügel sind mir vertraut, ebenso die Namen der Orte, in denen neben Rumänen Ukrainer und vereinzelt auch Huzulen leben. Rechtzeitig erreiche ich Radautz und finde die kleine Gemeinde im Hause von Frau Rodica Morosan versammelt. Vier Frauen und ein Mann sitzen in dem schönen Esszimmer mit den Jugendstilmöbeln versammelt. Den Esstisch ziert die Altardecke aus der ehemaligen evangelischen Kirche von Radautz, das Altarkreuz und zwei schwere Messingleuchter. Das silberne Abend­mahlsgerät steht da. Freudig ist die Begrüßung und herzlich wie immer. Wir singen und beten, lauschen dem Wort Gottes. Ich predige in rumänischer Spra­che, damit auch alles verstanden wird. Wir teilen den Leib und das Blut des Herrn. Eine tiefe, innige Fei­erlichkeit und Wärme liegt im Raum, während drau­ßen hand­tellergroße Schneeflocken dicht durch den Garten treiben. Sie sind wenige geworden… nur noch eine Handvoll. Nach dem Gottesdienst plaudern wir noch eine kleine Weile bei Kaffee und Kuchen. Dann geht es eilig weiter nach Sutschawa. Hier wartet die kleine Gemeinde in der schmucken Kir­che. Auch sie sind weniger geworden. Alter und die Leiden des Alters binden einige nun an das Haus. Die Älteste – Frau Ida Adumitracesei suche ich nach dem Gottes­dienst auf und feiere mit ihr und ihrer Tochter das Abendmahl. Bei einem reichlichen Im­biss plaudern wir noch ein wenig. Es ist spät gewor­den und ich bin zu müde, um noch nach Dornawatra zurückzufahren. Ich suche ein Hotel und ruhe mich aus. Am frühen Morgen geht es zurück nach Dorna. Da wartet ein Mann aus der Gemeinde beim verein­barten Treff­punkt. Wir fahren zusammen nach Jako­beni. Auch hier versammelt sich die Gemeinde. Aus Dorna ist noch die Kuratorin mit ihrem Mann und ih­rer Mut­ter, deren Gastfreund-schaft ich im Hotel ge­nossen habe angereist, aber auch Frau Hatneanu und ihre Tochter aus Bukarest. Die Jakobenier sind voll­zählig anwesend, bis auf den kranken Herrn Volk und Frau Huschulei aus Kirlibaba, unsere Älteste hier.

Frau Volk hat fürsorglich wie immer den Ofen in der Kirche eingeheizt. Nun kommt aber plötzlich ein starker Wind auf und der Ofen beginnt zu rauchen. Wir beginnen trotzdem den Gottesdienst. Nach den Lesungen ist der Rauch in der Kirche so dicht, dass ich unmittelbar zur Abendmahlsfeier überleite. Und dann verlassen wir die Kirche. Zum ersten Mal in 27 Jahren Pfarrdienst muss ich einen Gottesdienst ab­brechen. Die Gefahr der Rauchvergiftung war aber zu groß. Die Teilnehmer sind froh, dass sie nun vor Ostern noch einmal Abendmahl feiern durften. Hier im Buchenland heißt das „Beichten“ – ein Sammel­begriff für Beichte und Abendmahl.

Ein kurzer Besuch bei Herrn Volk, der schwer krank darniederliegt, folgt noch – auch hier Wort Gottes und Leib und Blut des Herrn. Worte des Trostes und der Stärkung. Dann bringe  ich  Herrn  Kwirsfeld  nach Dorna zu­rück und weiter geht der Weg nach Kimpolung. Nach einer kurzen Mittagspause und einer kräftigen „Ciorba“ in einer Pension auf dem Mestecăniș-Pass besuche ich Frau Wanzurek in Kimpolung. Wegen ihrer Gleichgewichtsstörungen traut sich die knapp Neunzigjährige nicht mehr zum Gottesdienst nach Poschoritta. Daher besuche ich sie daheim. Die ehe­malige Biologielehrerin empfängt mich fröhlich und aufgeräumt. Auch hier feiern wir Abendmahl und plaudern noch ein wenig. Sie hat so viel zu erzählen. Eigentlich möchte ich bleiben und ihren Erzählungen lauschen. Ein lebendiges Gedächtnis sitzt mir gegen­über, Zeugin von fast einem Jahrhundert bewegter Geschichte dieses Landstrichs. Eigentlich müsste man das alles aufschreiben. Schweren Herzens trenne ich mich von dieser wunderbaren Frau und reise weiter zur einzigen Holzkirche unserer Landes­kirche – nach Poschoritta. Das Ehepaar Kuales und Frau Popa mit Tochter aus Kimpolung, Herr Gai­dosch, Frau Malwine, die beiden Gemeindeglieder aus Poschoritta, Frau Tillika und ihre Schwester aus Watra Moldowitza sind da. Aus Eisenau ist niemand mehr anwesend – in der Woche davor haben wir die letzte Frau von da, Frau Ilse Hermelinde Hrab geb. Hodel zu Grabe getragen.

Wort Gottes und Mahl des Herrn vereinen die kleine Schar. Herzlicher Gedankenaustausch im Ste­hen folgt noch und dann gehen wir wieder gestärkt und fröhlich auseinander. Viele Hände winken zum Abschied und ich fahre durch dichtes Schneetreiben zurück und komme am Abend erschöpft in Bistritz an, wo mein knapp achtjähriger Sohn begeistert von den Abenteuern dieses Wochenendes berichtet. Ich versuche geduldig der Erzählung zu folgen und im Bett danken wir gemeinsam Gott für das Wochen­ende und den Wochenanfang, für alle Behütung und Bewahrung und seinen Schutz in allen Augenbli­cken. In der Stille lasse ich noch all die vertrauten Gesichter, in die ich blicken durfte, an meinem inne­ren Auge vorbeiziehen und danke für sie alle. Möge Gott sie behüten und segnen, diese seine Kinder in einem vergessenen Landstrich, unter die Räder der Geschichte geraten, zu ihrem Spielball geworden, aber in das Herz Gottes geschrieben mit unverwüst­lichen Lettern!

Pfr. Hans-Dieter Krauss (April 2011)