Mundartgeschichte (Paschlewwer Platt) von Friedrich Kranz

Mundartgeschichte (Paschlewwer Platt) von Friedrich Kranz

Eine Geschichte in Paschlewwer Mundart von Friedrich Kranz. Friedrich Kranz war kreativ und vielseitig. Er war Organist und Kantor in der Kirchengemeinde, zeichnete und beschäftigte sich als Heimatforscher mit der Geschichte von Kleinpaschleben. Mit seinem feinsinnigen Humor verfasste er Geschichten in Paschlewwer Mundart. Friedrich Kranz war der Organist, bei dem Fredi die Orgel aufpumpte. In den fünfziger Jahren war Friedrich Kranz bei der MTS in Trinum beschäftigt, die viele seiner Beiträge in der regionalen Bauernzeitung des Verbandes herausbrachte.

„Hann´se keene Zicke jesähn?“ 

Un so hadde diese Ta´e oh unse Freind Paul so a wichtigen Jang! Er machte sich schmuck (de wemmer mit de Damn schpaziert, de kammer doch nich mit Dreck und Schpeck losjehn, da blamiert m´r sich doche!) un zohk mit zwee Zickenfreileins los, de eene ahn´n Schtrick, de annere („Jrete“ huß se!) loff nähm´n her. Bis inne Schäfereie junks janz juht. Uff n Howe hulte mit seine Zicken un luß nu de eene inne „Schprechschtunne“. De annere, „Jrete“, vortrebb sich de Zeit un naschte a bisschen, de da war´n de Frauen uff n Schäferhowe mit´n Mais bescheftiget. Anne Zicke nascht ähmd iwwerall jarne! In der Zeit, wu nu Paul de erschte Zicke ihr Schäferschtünnichen ewwerwachte, war´n doch de Frauen nu fartich jeworrn, un ´s war oh Feierahmd. Se jingen heeme un luß´n derbei de Howestiere uffen.

Da´s „Jreten“ nu alleene sehre langweilich wurre un se nich wusste, wenn se mit´s Lieb´n drahn war, guckte se oh aus de Tiere. Awwer derbei blebb´s niche. Se junk ´s „Bauerndorf“ läng nunger, wie de Weiwer, un guckte sich de vill´n Buden von´n Zurkus ahn, die jetzt vor „Kamerun“ stehn. Oh ´s neie „HO“ in´n Vollekshause mit de scheen´n hell´n  Lampen un de vill´n Wahrnvurräte beguckte se sich. Jarne hädde se sich was zu naschen jeholt, awwer se hadde kee Jeld niche, un Meckerer kreien ewwerhopt oh nischt.

Derweile war nu de erschte Zicke fartich jeworrn, un unse Freind Paul brachte se uff´n Hoff. Nu wollte „Jreten“ zu´n Brautahmd brengen. Awwer der Hoff war leer: Keene Frauen niche, keene „Jrete“ zu sähn!

´s war nu schon sehre schummerich jeworrn. Er treckte seine Oen uff, awwer nischt zu sähn. Nanu, wu schticht de das ahle Vieh? Er roff a paarma: „Jrete! Jrete!“, awwer keene Jrete meld´te sich niche. Da sahke uff eemah, dass de Howestiere sparrangelweit uffeschtand. Jetzt schwahnten was! Er loff mit de erschte Zicke, die´e ahn´n Schtricke zohk, un mit´n Schäfer uff de Schtraße, awwer oh hier keene „Jrete“ niche. Da kam jerase sein Freind Fritze, der mit seine Arweet uff de MTS in Trien´n fartich war, uffs Rad ´s „Bauerndorf“ hok. Den frahde: „Haste meine Zicke nich jesähn?“ „Nee“, sahse der un dachte, der hat se doch hingene ahn´n Schtricke! Paul loff nu ´s Bauerndorf läng nunger un frahde alle Leite, die´e traf, nah seine Zicke, awwer keener hadde se nich jesähn. Sein Freind Bauer Hermann, den´e oh jefraht hadde, wollten schon zurufen: „Da kimmet se“, da warsch awwer a Urrturm, ´s war nurt a heller Kinnerwahn.

Paul brachte nu seine eene Zicke flink heeme. Ungerwähns fuhl n doch uff eemah in, de Jrete ward doch nich nah de annere Seite, nah n Jottsacker jeloffen sinn? Da ward se doch nich etwa de vill n scheen n Bluhm n, die se jetzt zu s Totenfest jeflanzt hann, alle abfressen? Das kunnte jroßen Arjer jähn, wu doch erscht vor kortschen so a paar dumme Jungens n Friedhoff so jeschändet hadden!

Rasch nahme sei Rad un fuhr nah de Kirche. De preschte uffs Rad alle Wäe (Wege) von n Jottsacker ab un roff immer: „Jrete, Jrete!“ Awwer ´s blebb alles schtille. Enesteels ware froh, de wenn de weiße Zicke wurklich uff n Jottsacke jewest  wiere un ängestliche Jemieter häddense zwischen de Jräwer rumschtelzen sähn, die hädden sich womeglich noch jefarch un hädden jedacht, ´s wiere a Schpeekeding!

Paul sauste also wedder uff de Schtraße nah Melz läng un frahde wedder, oh anne Frau, die von Melz kam, awwer keener wusste was. Nu bok´e ahn n elektrischen Turm umme un warjete de „Schluft“ läng nunger, wu jetzt sehre ville Dreck is. Erscht frahde noch ma heeme bei seine Frau nah, awwer de Zicke fehlte immer noch. Also wedder druff uff de ahle Karre un´s annere Dorf noch abklappern! Schließlich is je oh anne Zicke a Kapital un keen Pappenschtiel niche! Eemah dachte, da sitzt se, als´e awwer hinjunk, war´s nur a Schtickchen weiße Mauer. De Zicke blebb schpurlos verschwund´n. Betriewet fuhre wedder heme. Awwer ´s lußen keene Ruhe niche. Wenn n oh der Mah n (Magen) bis uff de Schuhkschpitzen hunk, er wolle nich eher essen, bisse seine „Jrete“ wedder hodde, denn die kahm n jleih nah seine Frau. Drum schickte oh n Jungen nochema mit s Rad los, awwer der brachte oh nischt. Betriewet luße n Kopp hängen. Seine Frau hadde derweile ´s Ahmdbrot fartich jemacht, awwer de schennste Zickenbutter un de dickste Worscht kunne uns n Freind Paul nich locken! Er krichte keen n Happen nich hinger! Er simmelierte un simmelierte un musste immer ahn seine Zicke denken.

Da, uff eemah: Was issen das? Da meckert doch was? Das is doch Jreten ihre Schtimme! Er hok, in Schtrimpen ahne Hofftiere, die uffreißen war eens! Un siehe: Jrete is da un bujrießt ihr n Harrn mit freidichsten Meckern! Un wu kahm se nuh uff eemah her? Anne Frau hadde de Zicke harrnlos uff n Dorfe stehn sähn un hadde se mitjenomm. Nu hadde se jehiert, dass es Paul´n seine wiere un brachte de Jrete ahn Ort un Schtelle.

War das anne jejenseitige Freide bei s Weddersähn! De Zicke kam in´n Schtall un krichte a orndlichen Barch frisches Hei. Unse Freind Paul awwer fiel nu ewwers Ahmdbrot her, un ´s hadden jeschmeckt wie seit langen niche!

Un de junke oh noch zu´s Singen, un mit sein´n scheen n Baß hadde de jeschmettert wie anne Heedelarche!

Im Hochdeutschen:

Und so hatte das Tête-à-tête unseres Freundes Paul einen wichtigen Gang. Er machte sich schmuck (wie immer, wenn man mit Damen spaziert, da kann man doch nicht mit Dreck und Speck losgehen, da blamiert man sich doch) und zog mit zwei Ziegenfräuleins los, die eine an einem Strick, die andere (Grete hieß sie) läuft nebenher. Bis in die Schäferei ging es ganz gut. Auf den Hof holte er seine Ziegen und ließ eine in die „Sprechstunde“. Die andere, Grete, vertrieb sich die Zeit und naschte ein bisschen, denn da waren die Frauen auf dem Schäferhof mit Mais beschäftigt. Eine Ziege nascht eben überall gern. In der Zeit, wo nun Pauls erste Ziege ihr Schäferstündchen erwartete, waren doch die Frauen fertig geworden, und es war auch Feierabend. Sie gingen nach Hause und ließen dabei die Hoftür offen.

Da es Grete nun alleine sehr langweilig wurde und sie nicht wusste, wann sie mit dem „Lieben“ dran war, guckte sie aus der Tür. Aber dabei blieb es nicht. Sie ging das Bauerndorf längs runter, wie die Frauen, und guckte sich die vielen Buden vom Zirkus an, die jetzt vor „Kamerun“ stehen. Auch den neuen HO im Volkshaus mit den schönen hellem Lampen und den vielen Warenvorräten beguckte sie sich. Gerne hätte sie sich was zu naschen geholt, aber sie hatte kein Geld und für Meckern gibt es überhaupt nichts. Inzwischen war die erste Ziege fertig geworden, und unser Freund Paul brachte sie auf den Hof. Nun wollte er Grete zum Brautamt bringen. Aber der Hof war leer. Keine Frauen und keine Greten waren zu sehen.

Es war nun schon sehr schummerig geworden. Er machte seine Augen auf, aber es war nichts zu sehen. Nanu, wo steckt den das alte Vieh? Er rief ein paar Mal: Grete, Grete, aber keine Grete meldete sich. Da sah er auf einmal, dass die Hoftüre sperrangelweit offen stand. Jetzt ahnte er was! Er lief mit der ersten Ziege, die er am Strick zog, ging mit ihr auf die Straße, auch hier war keine Grete. Da kam gerade sein Freund Fritze, der mit der Arbeit auf der MTS in Trinum fertig war hoch auf dem Rad. Den fragte er: „Hast du meine Ziege nicht gesehen?“. „Nein“, sagte der und dachte, der hat sie doch hinten an dem Strick! Paul lief nun das Bauerndorf runter und fragte alle Leute, die er traf nach seiner Ziege, aber keiner hatte sie gesehen. Sein Freund Bauer Hermann, den er auch gefragt hatte, wollte schon zurufen: „Da kommt sie“, das war aber ein Irrtum, es wir nur ein heller Kinderwagen.

Paul brachte nun seine Ziege flink nach Hause. Unterwegs fiel ihm auf einmal ein, die Grete wird doch nicht auf der anderen Seite zum Friedhof gelaufen sein? Die wird doch nicht etwa die vielen schönen Blumen, die jetzt zum Totenfest gepflanzt wurden, alle abfressen? Das könnte großen Ärger geben, wo doch erst vor kurzem ein paar dumme Jungs den Friedhof geschändet hatten.

Rasch nahm er sein Rad und fuhr zur Kirche. Er fuhr auf dem Rad alle Wege vom Friedhof ab und rief immer Grete, Grete! Aber es blieb still. Einerseits war er froh, wenn die weiße Ziege wirklich auf dem Friedhof gewesen wäre und ängstliche Gemüter hätten sie zwischen den Gräbern rumstelzen sehen, die hätten sich womöglich gefürchtet und hätten gedacht, es wäre ein Gespenst.

Paul sauste also wieder auf die Straße nach Mölz und fragte auch eine Frau, die von Mölz kam, aber keiner wusste etwas. Nun bog er am elektrischen Turm um und wartete an der „Schluft“, wo jetzt sehr viel Dreck ist. Erst fragte er bei seiner Frau nach, aber die Ziege fehlte immer noch. Also wieder drauf auf die alte Karre, und das andere Dorf noch abzuklappern. Schließlich ist ja auch eine Ziege ein Kapital und kein Pappenstiel. Einmal dachte er, da sitzt sie, als er aber hinguckt, war es nur ein Stückchen weiße Mauer. Die Ziege blieb spurlos verschwunden. Betroffen fährt er wieder nach Hause. Aber es ließ ihm keine Ruhe. Wenn auch der Magen bis auf die Schuhspitzen hing, er wollte nicht eher essen, biss er seine Grete wieder hatte, denn die kam gleich nach seiner Frau. Drum schickt er auch den Jungen noch mal mit dem Rad los, aber der brachte auch nichts. Betroffen ließ er den Kopf hängen. Seine Frau hatte inzwischen das Abendbrot fertig gemacht, aber die schönste Ziegenbutter und die dickste Wurst konnten unseren Freund Paul nicht locken. Er simulierte und simulierte und musste immer an seine Ziege denken.

Da, auf einmal: Was ist das? Da meckert doch was? Das ist doch Grete ihre Stimme! Er lief in Strümpfen an die Hoftür, die er in eins aufriss. Und siehe: Grete ist da und begrüßt ihren Herren mit freudigstem Meckern! Und wo kam sie nun auf einmal her? Eine Frau hatte die Ziege herrenlos im Dorf gesehen und hatte sie mitgenommen. Sie hatte gehört, dass es Paul seine wäre und brachte Grete an Ort und Stelle.

War das eine gegenseitige Freude beim Wiedersehen. Die Ziege kam in den Stall und bekam einen ordentlichen Berg frisches Heu. Unser Freund Paul aber viel nun über das
Abendbrot her, und es hat ihm geschmeckt, wie seit langem nicht mehr.

Und er fing noch zu Singen an, und seinen schönen Bass hat er geschmettert, wie eine Heidelerche!