Nachkriegszeit aus Sicht eines erwachsenen Ostkindes

Nachkriegszeit aus Sicht eines erwachsenen Ostkindes

Fredi

Nachkriegszeit aus Sicht eines erwachsenen Ostkindes

Wir schreiben September 1945. Die Menschen sind froh, dass der Krieg zu Ende ist. Im Dorf ist die Rote Armee eingezogen. Sie löst die Gemeindeverwaltung und den Bürgermeister ab. Sie hat jetzt das Sagen und verwaltet auch das Vermögen und die Ländereien der geflohenen Großbauern. In die verlassenen Herrenhäuser der „Großgrundbesitzer“ sind Flüchtlinge eingezogen. Im Streit um die Einrichtungen kommen die Vertriebenen schlecht weg. Sie sind froh, dass Ruhe eingekehrt ist und sie ein Dach über dem Kopf gefunden haben. Die sowjetischen Soldaten suchen den Kontakt zur Bevölkerung und verdonnern jeden, der keine feste Arbeit hat, zur Arbeit auf den Feldern. Sie trinken Alkohol, rauchen viel und sind hinter jungen Frauen her. In den zerstörten Städten müssen die Bewohner ihre Wohnungen mit Flüchtlingen teilen, obwohl sie selbst Not leiden. Überall ist die Not groß. Städter ziehen zum „Hamstern“ (Betteln und Tauschen) übers Land und verscherbeln für ein paar Kartoffeln ihren Schmuck. Im Namen Stalins wird eine Bodenreform eingeführt. Bis zur genossenschaftlichen Umorganisation wird das Land an Kleinbauern verteilt. Auch Flüchtlinge bekamen eine kleine Fläche zugeteilt. So soll die Bewirtschaftung der Felder in Gang gesetzt und die Versorgungslage verbessert werden. Die Menschen leiden Hunger, weil die Versorgung mit Lebensmitteln auf Lebensmittelkarten nicht ausreicht. Sie sammeln Getreideähren, stoppeln Kartoffeln und Rüben auf abgeernteten Feldern und suchen nach Brennholz. Bäume dürfen nicht gefällt werden. Die Menschen sind erfinderisch und bringen das im Wind gereinigte Getreide zur Mühle. Häufig gibt es Rübensuppen und Plätzchen aus Kartoffeln und Mehl zu essen. Viele Menschen leiden an Hunger und Krankheiten. Im strengen Hungerwinter 1947 gibt es viele Opfer. Für Tauschgeschäfte mit den Sowjets pflanzen die Dorfbewohner auch Tabak an und brennen Rübenschnaps. Die russischen Hauptabnehmer rücken dafür einen Teil ihres Proviants heraus. In den Folgejahren verbessert sich die Lage nur langsam. Es gibt sozialistische Reformen in der sowjetischen Besatzungszone und erste Wirtschaftswunder im „goldenen Westen“. Trotz der bewachten innerdeutschen Grenze blüht der schwarze Grenzverkehr und der Tauschhandel. Während Amerika Care-Pakete in den Westen schickt, werden im sowjetisch besetzten Gebiet Maschinen in den Fabriken demontiert und Richtung Sowjetunion transportiert. Aber auch im Westen beschlagnahmen die Alliierten Know-How und Patente.

Nach und nach erhalten linientreue Genossen die Macht zurück. Es entstehen neue deutsche Gemeindeverwaltungen und Bürgermeisterämter. Auch an der Überwachung der Bürger wird gearbeitet. Es entsteht ein Stasi-Vorläufer-System. Dieser schleichende Prozess führt zu ersten Zerwürfnissen. Ab Juli 1948 gibt es die Ostmark und ab Oktober 1949 existiert die DDR. Der Unterschied zwischen Ost und West führt dazu, dass frustrierte Bürger die DDR verlassen. Ungebrochen wird der Sozialismus, den viele Bürger noch nicht kennen, weiterentwickelt. Mehr und mehr wird in den Schulen und in den Verwaltungen auf Linientreue geachtet. Dadurch entsteht eine Schar von Mitläufern, die erkennt, dass es anders nicht geht. Es entsteht die Planwirtschaft mit steigenden Anforderungen an die arbeitende Bevölkerung. Die neuen Produkte, die den Markt erreichen, sind nur über Beziehungen und durch lange Wartezeiten zu bekommen. Auf diese Weise entsteht in dem sozialistischen System eine Zweiklassengesellschaft zwischen linientreuen Genossen, die sich Vieles leisten können und einer Arbeiterschicht, die in ihrem Alltag vor den Geschäften anstehen muss. Der politische Druck wird durch Überwachung des Staatssicherheitsdienstes abgesichert. Das Motto lautet: „Friss Vogel oder stirb“. Das alles hält die Menschen in der Sowjetzone nicht davon ab, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und auch einen Blick in den Westen zu richten. Politisch wird der wirtschaftliche Aufschwung im Westen schlechtgeredet. Dieser Meinung schließen sich vor allem die Linientreuen an. Der freiheitsliebende und selbständige Bürger in Ostdeutschland wird mehr und mehr verunsichert. Um die Mangelwirtschaft zu verschleiern und die Stimmung der Bürger zu verbessern, werden die sogenannten „sozialistischen Errungenschaften“ in den Vordergrund gestellt. Grundnahrungsmittel und Wohnraum werden staatlich subventioniert. Dass Motto für den Bürger lautet jetzt: „Zuckerbrot und Peitsche“. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Reisen, vorwiegend in Ostblockländer, möglich. Studieren darf nur, wer linientreu ist und in der MVA gedient hat.

Die Auswüchse des Stasi-Überwachungsstaates werden nach der politischen Wende 1989 in Gänze sichtbar. Unvorstellbare staatliche Grausamkeiten gegen Menschen, die eine abweichende politische Meinung hatten, wurden angewendet. Im Stasigefängnis Hohenschönhausen wurden politische Häftlinge heimtückisch mit Kobalt bestrahlt, bevor sie für Geld an Westdeutschland verkauft wurden und dort starben. Kinder von politisch Verfolgten wurden von linientreuen Ostbürgern adoptiert, um im kommunistischen Sinne erzogen zu werden. Diese und andere Grausamkeiten offenbaren die Perversität des Systems. Die Stasiaktenbehörde in Berlin bestätigt in vielen Tausend Akten den staatlichen Verfolgungswahn über DDR-Bürger. Als Erich Mielke, verantwortlich für den Staatssicherheitsdienst und neben Erich Honecker der wichtigste Mann im Staat, 1989 das Wasser bis zum Hals stand, sprach er vor der DDR Volkskammer in abgehackten Sätzen: “Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen – Na ich liebe doch – Ich setzte mich doch dafür ein”! Diese Worte klangen wie Hohn und Ignoranz. Wo sind die überzeugten Stasimitarbeiter und Nutznießer des alten Systems nach der Wende geblieben? Sind sie jetzt „lieb und nett“, haben sie sich „gewendet“ oder verbreiten sie unterschwellig schlechte Stimmung? Es ist ein Wunder, dass die politische Wende geglückt ist. Störfaktoren aus vielen Hinterhalten haben vergeblich versucht diesen Prozess zu stören. Es waren die Menschen in der DDR, die den Mut hatten in den Montagsdemonstrationen in Leipzig und an anderen Orten mit Wucht gegen das DDR-Regime anzutreten. Die DDR-Bürger hatten erkannt, dass die Zeit für eine politische Wende gekommen war. Viele glückliche Umstände hatten sie auf dem Weg in die Freiheit begleitet. Selbst Gorbatschow wird sich den Veränderungsprozess anders vorgestellt haben. Schließlich ist es der politischen Kraft des Westens, trotz aller Risiken, gemeinsam mit den Mutigen in der DDR gelungen, die „Deutsche Einheit“ zu vollenden. Leider ist die Fortsetzung bei der „innerdeutschen Aufarbeitung“ nicht ganz so gut gelungen. „Es wird sich schon richten“, reicht eben nicht. Leider ist daraus mehr ein Nebenherleben, als ein Prozess der gegenseitigen Wertschätzung geworden. Machen wir uns nichts vor, der Spalt zwischen Ost und West ist tiefer, als die Menschen wahrhaben wollen. Ist die Politik überfordert und wird so den Bedürfnissen der Bevölkerung nicht mehr gerecht oder sind es die überforderten Bürger selbst?