Was geschieht mit Willi und Dora


Was geschieht mit Willi und Dora aus dem Roman Katharina, der letzte Winter im Buchenland

Während Katharina und ihre Familie sich mit den Unbilden des Lagerlebens herumschlagen, führen Dora und Willi in der Südbukowina ihren eigenen Existenzkampf. Sie haben sich mit der rumänischen Familie, die beim Einmarsch der Sowjets aus der Nordbukowina in den Süden flüchteten und in das Haus von Johann und Rosa eingezogen sind, angefreundet. Im Haus nebenan sind ebenfalls Flüchtlinge aus Czernowitz eingezogen. Sie haben sich mit ihnen angefreundet. Nur so können sie ihr Überleben sichern. Aber auch hier im Süden der Bukowina werden die Juden immer mehr angefeindet. Dora gibt sich nicht als Jüdin zu erkennen. Nach der Rückeroberung der Nordbukowina durch das rumänische Militär erreicht sie von ihrem Onkel Max eines Tages ein Brief, der ihnen von Reisenden zugesteckt wird. Er schreibt:

Liebe Dora, lieber Willi,

seid froh, dass ihr jetzt nicht in Czernowitz seit. Nachdemdie Rumänen zurück sind, sind auch die Nazis hier. Ihrwisst, was die mit den Juden vorhaben. Hier ist der Teufel lost. Die Nazis wollen uns alle umbringen. Vor zwei Wochen musste ich Hals über Kopf in das Ghetto im Süden von Czernowitz umziehen. Hier leben wir unter unmenschlichen Bedingungen. Nach und nach werden Menschen abgeholt und zur Arbeit nach Transnistrien deportiert. Weil Czrnowitz jetzt ausblutet, hat der rumänische Bürgmeister für viele Juden Unabkömmlichkeitsbescheinigung ausgestellt, um sie zu retten. Damit können 20.000 Juden in Czernowitz bleiben. Ich hoffe nur, dass es Euch in der Südbukowina besser geht. Dass es einmal so schlimm kommen wird, hätte ich nie gedacht. Die Nazis haben die deutsche Kultur und Geschichte verraten. Ich teile Euch die Anschrift von meinem Bruder in Amerika mit. Vielleicht kann er Euch helfen.

Ignatz Nussbaum 146 East Mullberry St. New York

Was aus mir wird, weiß ich nicht. Vielleicht bringen sie mich um. Passt gut auf Euch auf.

Euer Onkel Max

Mit zitternden Händen macht Dora den Brief von ihrem Onkel Max auf. Als sie ihn Willi vorliest, müssen beide weinen. »Was ist nur aus uns geworden?«, sind die Worte, die Dora an Willi richtet. »Dass die Nazis uns jetzt auch hier erreichen, ist eine Katastrophe«, antwortet Willi. Sie lesen den Brief immer wieder und überlegen: »Warum hat uns Onkel Max die Adresse von seinem Bruder mitgeteilt?«. Nach Tagen geht Willi ein Licht auf. »Was hältst du davon, wenn wir Onkel Ignatz schreiben. Vielleicht meldet er sich?«, schlägt Willi vor. Nachdem beiden klar ist, dass sie sich aus der momentanen Situation befreien müssen, schreiben sie Onkel Ignatz einen Brief. Mit der Bemerkung: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Brief ankommt und wir eine Antwort erhalten«, geben sie ihn auf dem Postamt auf. Es vergehen Monate bis sie eine Antwort erhalten. Von Onkel Max aus Czernowitz haben sie immer noch nichts gehört. Sie sitzen vor dem Haus auf der Bank, als Dora den Luftpostumschlag aus Amerika öffnet: »Ich kann noch nicht glauben, dass wir Post aus Amerika bekommen haben«, bemerkt Dora. Die krakelige Handschrift des Absenders ist schwer zu entziffern. Sie benötigen einige Zeit, um den Inhalt des Briefes zu lesen. Umso mehr sind sie erstaunt, dass der Onkel in Amerika genau weiß, was sich in Europa abspielt. Er schreibt:

„Ich danke Gott, dass ich vor fünfzig Jahren nach Amerika ausgewandet bin. Es muss ganz schrecklich sein, was ihr erlebt“, sind weitere Worte. Was Dora und Willi überrascht ist der Satz: „Ich überlege, wie ich Euch helfen kann“.

Willi und Dora können es nicht fassen, dass ihnen jemand, der soweit entfernt lebt, helfen kann. »Wir werden gleich antworten«, beschließen die beiden. »Es ist nur Schade, dass es sehr lange dauern wird, bis wir die Antwort erhalten«, sagt Willi zu Dora, als sie ihren Brief in der kleinen Poststube aufgeben. Auch wenn alles lange dauert, bleiben sie mit Onkel Ignatz in Kontakt. Inzwischen werden schreckliche Dinge über die Judenverfolgung in Czernowitz berichtet. Zu Tausenden werden jüdische Familien im strengen Winter nach Transnistrien auf Todesmärsche geschickt. Auch in Rumänien nimmt der Antisemitismus zu, weil die Nazis hier ihre Macht ausüben. Dora und Willi hoffen, dass ihrem Onkel in Amerika einfällt wie er sie befreien kann. Es sind Monate Vergangen und die Katastrophe nimmt ihren weiteren Verlauf. Nach einem Jahr erhalten sie von Onkel Ignatz einen Brief. Dieses Mal ist er schwerer und größer. »Die Post war über zwei Monate unterwegs«, stellt Willi fest, als er das Datum des Poststempels entziffert. »Was da wohl drinnen ist?«, fragt Dora, als sie den Brief behutsam öffnet. Sie trauen ihren Augen nicht, als sie zwei Schiffsfahrkarten und einige Dollarnoten erkennen. Sie wundern sich nur, dass dieser Brief unbeschadet bei Ihnen eingegangen ist. Onkel Max sind sie nun dankbar, dass er ihnen die Adresse aus Amerika mitgeteilt hat. In schlaflosen Nächten grübeln sie über das was ihnen der Onkel mitteilt.

„Ich schicke Euch etwas Geld und zwei Schiffsfahrkarten von Constanza am Schwarzen Meer nach Bari in Italien“.

Da Rumänien kein Königreich mehr ist und sich die politische Lage dramatisch verschlechtert hat, kommen ihnen große Bedenken diese Reise überhaupt anzutreten.

„Ihr könnt versuchen von Bari in Italien in die Schweiz zu gelangen. Da solltet ihr sicherer sein“,

schreibt der Onkel an anderer Stelle. Viele schlaflose Nächte vergehen, bis sich die Beiden dazu durchringen diese komplizierte Reise anzutreten. Denn bald verlieren die Schiffsfahrkarten ihre Gültigkeit. Heimlich kaufen sie Bahnkarten und packen ihre Koffer. Ihren Vermietern erzählen sie, dass sie eine Urlaubsreise antreten. »Wir müssen aufpassen, dass uns niemand sieht und wir mit den Koffern nicht auffallen!«, mahnt Willi zur Vorsicht. In dieser Zeit gibt es im Dorf bereits Spitzel, die Auffälligkeiten anzeigen. Aufgeregt treten sie ihre Bahnfahrt an. Sie sind erstaunt, als alles ohne Komplikationen verläuft. Noch mehr sind sie überrascht, als sie nach einem kurzen Aufenthalt in Constanza in das bereitstehende Schiff einsteigen können. Nie mand nimmt von ihnen Notiz. Mit ihren Ausweisen und mit den gültigen Fahrkarten gelangen sie an Bord. Hier haben sie sogar eine kleine Kabine im Unterdeck des Schiffes. Schnell suchen sie diese auf, um darin zu verschwinden. Jetzt umarmen sich die Beiden, weil sie es bis hierher geschafft haben. Die lauten Motorgeräusche des Schiffs stören sie nicht. Auf dem Schiff nehmen sie die Mahlzeiten ein und tauchen schnell wieder in der Kabine unter. Nach tagelanger Fahrt legt das Schiff in Bari an. Es war Mai 1943, als sie mit Herzklopfen von Bord gehen. »Das hätten wir geschafft«, atmen die Beiden auf. »Wir kaufen am besten gleich die Fahrkarten für die Schweiz!«, schlägt Dora vor. Als sie auf dem Bahnhof in Bari zwei Bahnkarten nach Genf lösen, glauben sie es geschafft zu haben. Schon einen Tag später treten sie die Zugreise nach Genf an. Als sie nach mehreren Stationen in Mailand ankommen stellen sie fest, dass sie nicht direkt in die Schweiz ausreisen können; weil sie kein Visum haben. In dem kleinen Ort Sesto S. Giovanni ist erst mal Schluss. Hier angekommen müssen sie sehen, wie sie über die Schweizer Grenze kommen. Zum Glück haben sie noch etwas Bargeld und kommen so über die Runden. Die wunderschöne Landschaft erinnert sie immer wieder an die Bukowina. Bei längeren Aufenthalten in einem Dorf ganz in der Nähe finden sie Italiener, die sich bereit erklären sie schwarz über die grüne Grenze in die Schweiz zu bringen. »Wir müssen uns auf dieses Abenteuer einlassen, sonst kommen wir hier nicht raus«, stellt Willi fest. Mit ihren Koffern auf einem Eselgespann erreichen sie das Grenzgebiet. Die beiden Männer kennen sich hier gut aus und bringen die beiden schwarz über einen schmalen Waldweg über die Grenze. Sie geben den beiden Grenzführern einen größeren Betrag, als sie in einem kleinen Dorf in der Schweiz zurückbleiben. Hier im Dorf fallen sie als Fremde auf. Sie haben aber Glück und finden beim Dorfbäcker eine Unterkunft und sogar Arbeit. In der Südschweiz fühlen sie sich sicher, obwohl der lange Arm der Nazi auch hier zu spüren ist. Trotzdem kommen sie zur Ruhe. Der schon etwas ältere Bäckermeister hat keine Kinder und ist froh, dass Willi und Dora bei ihm arbeiten. Seine kranke Frau kann ihn leider nicht unterstützen. Sie stehen sehr früh auf. Obwohl die Arbeiten in der Bäckerei für sie ungewohnt und anstrengend sind, sind sie froh, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. »Dora, ich habe mitbekommen, dass der Bäckermeister regelmäßig die Zeitung liest. Ich werde ihn fragen, ob er uns die alten Zeitungen überlässt«, stellt Willi fest. Auf diese Weise bekommen sie mit, was in der Welt geschieht. »Nur schreckliche Nachrichten stehen in der Zeitung«, weiß Willi zu berichten. Eines morgens erinnert Dora Willi daran: »Jetzt, wo wir eine feste Anschrift haben, sollten wir uns bei Onkel Ignatz melden«. »Ja, wir sollten uns bedanken und ihm sagen, dass wir in der Schweiz untergekommen sind«, bestätigt Willi Doras Vorschlag. Sie raffen sich auf und antworten auf den vor Monaten in der Bukowina eingegangen Brief. In den Wintermonaten fällt viel Schnee in den Schweizer Bergen. »Weißt du, warum wir uns hier schnell heimisch gefühlt haben?«, fragt Willi eines Tages. »Ja, weil es hier wie in der Bukowina ist«, antwortet Dora, als sie aus dem Fenster ihres Zimmers die verschneiten Berge sieht. Ob das hier die Rettung für Dora und Willi ist und ob sie hier ihre Zukunft sehen, wird die Zeit und die weitere Entwicklung zeigen.