Weihnachten in den Waldkarpaten


Weihnachten in den Waldkarpaten aus dem Roman Katharina, der letzte Winter im Buchenland von Alfred Wanza

Die Vorfreude auf das Fest ist groß, als Viorel mit dem Schlitten am Bahnhof eintrifft. Katharina spürt, dass der Besuch die Schlittenfahrt mit den leichtfüßigen Pferden durch das verschneite Dorf, an der Moldova (auch Moldau genannt) entlang, an den Bergen Adam und Eva vorbei, in guter Erinnerung behalten wird. Die Schlittenfahrt ist wunderschön. Mit herzlichen Umarmungen und Fragen nach dem Verlauf der Reise werden die Gäste von ihren Eltern, der Baba und den Geschwistern, begrüßt. Die gute liebe Baba ist jetzt der Mittelpunkt der Familie. Zu den Feiertagen schläft sie bei ihnen. Sie rücken in ihrem Haus zusammen, weil Gäste immer willkommen sind. Irmgard und ihr Mann schlafen nebenan bei Onkel Johann und Tante Rosa. Gespannt hören alle zu, wenn die Gäste von der Reise berichten. Immer wenn sie über Czernowitz erzählen, hört Katharina gut zu. Ihre Mutter und Baba decken den Tisch, als die beiden Kinder aus der Stadt mit Katharinas Geschwistern in den Stall gehen, um die Tiere zu begrüßen. Da sind die Gänse, die Hühner, die Kühe und die Schweine. Alle scheinen die Gäste willkommen zu heißen. Der Hund Bango meldet sich ebenfalls. Katharinas Vater, dem der Besuch im Stall zulange dauert, holt die Kinderschar in die warme Stube zurück. Nach dem langen Tag fallen sie später müde in die Betten. Am nächsten Tag werden die Kinder unter Vorwänden vom großen Zimmer ferngehalten. Um die Zeit zu überbrücken, dürfen sie rodeln gehen und sich mit Katharinas Geschwistern im Schnee tummeln. Die beiden Hunde toben ihren Übermut aus. Im Sommerhaus nebenan wärmen sie sich auf. Das Betreten des Wohnhauses ist ihnen erst beim Glockenklingeln erlaubt. So warten alle auf das erlösende Geläut. Kühe, Schweine, Gänse und Hühner bekommen heute vom Hausherrn eine zusätzliche Portion Futter. Unter den Kindern gibt es kein Hänseln und keinen Streit. Die Freude auf das Christkind, das heute zu den Kindern kommt, flößt ihnen Ehrfurcht ein. Endlich ist es soweit. Ein Glöckchen erklingt und sie dürfen in das große Zimmer eintreten. Sie stehen vor einem hohen Tannenbaum mit brennenden Kerzen. Das Funkeln der Glaskugeln, die verzierten Lebkuchen, die in Stanniol gewickelten Bonbons und die roten Äpfel, verzaubern die Kinder und alle anderen. Großmutter spricht mit ihnen ein Vaterunser für den Segen des Heilands. Die Blicke der Kinder huschen auf die unter dem Weihnachtsbaum getürmten Geschenke. Sie folgen nur zögernd der Aufforderung der Baba Weihnachtslieder zu singen. Die Heilige Nacht ist angebrochen und die Weihnachtszeit eingeläutet. Mit Herzklopfen gehen die Kinder und Erwachsenen an den Lichterbaum und suchen die Geschenke aus. Geschenke die das Christkind mit Namen unter den Baum gelegt hat. Nur schwer trennen sich die Kinder von den Geschenken, um der Aufforderung der Großmutter zu folgen an dem fest lich gedeckten Tisch Platz zu nehmen. Die lange Fastenzeit vor Weihnachten ist erst morgen vor bei. Nach alter Sitte dürfen am Heiligen Abend nur Fastenspeisen auf den Tisch kommen. Die zwölf Apostel bestimmen die Anzahl der Speisen. Großmutter verteilt zuerst die Oblaten. Es folgt der Borschtsch aus roten Rüben mit Uschki und mit Fischfleisch gefüllte Teigtascherln. Als kalter Zwischengang wird Karpfensülze und duftender Kolatsch (Hefezopf) gereicht. Goldgelb panierter Karpfen mit Kartoffelsalat ist der nächste Gang. Die Großen trinken einen klaren Schnaps und die Kinder bekommen Kakao oder Saft. Zum Nachtisch gibt es gekochten Weizen mit Nüssen, Mohn, Honig und Zucker, Kutja genannt – in Erinnerung an die Besiedlung der Bukowina. Es folgen Kompott aus getrockneten Zwetschgen aus dem Garten und Mohn- und Nuss-Strietzel aus Hefeteig. Es gibt Ribiselwein (Johannesbeerwein) für die Großen und hausgemachten Himbeersaft für die Kleinen. Niemand soll hungrig vom Tisch aufstehen. Als die große Standuhr elf schlägt, mahnt die Baba zum Aufbruch in die Christmette. Die Kinder werden warm an gezogen und bekommen kleine Laternen. Bei klirrender Kälte und knirschendem Schnee machen sie sich auf den Weg. Aus allen Häusern kommen vermummte Gestalten und rufen sich „Fröhliche Weihnachten“ zu. Vergessen ist nach barlicher Streit, vergessen die Mühen des harten Winters in den Karpaten. Tiefer Friede umhüllt die Christen auf dem Weg zur Weihnachtsmette. Orgelklänge in der Dorfkirche, Weihnachtslieder aus rauen Männerkehlen und feine Frauen- und Kinder stimmen folgen der Weihnachtsbotschaft. Auf dem Rückweg wird manches müde Kind von starken Männerarmen getragen. Zu Hause angekommen gehen die Kinder in ihre Bettchen. Die Erwachsenen dürfen bei Glühwein und Gebäck noch kurze Zeit ihre Unterhaltung fortsetzen. Nicht zu lang, denn am nächsten Morgen sollen alle zum Hochamt in die Kirche gehen. Neben städtisch Gekleideten sieht man hier Frauen in langen schwarzen Wollröcken in dicke Wolltücher gehüllt, Männer in Feiertagsanzügen und gefütterten Jacken und Hut zur Kirche gehen. Die Fastenzeit ist zu Ende und man darf wieder Fleischspeisen essen. Die vor Kathrein – dem Fest der heiligen Katharina – geschlachtete Sau wurde zu Spezialitäten verarbeitet. Der geräucherte Schinken wird gekocht, es gibt Blut-, Leber-, Fleisch- und Bratwürste, alles leicht geräuchert. Hinzu kommen Gänse-, Hühner- und Entenbraten aus dem eigenen Haus. Unsere Baba führt das Zepter. Als Beilagen gibt es gesäuerte Preiselbeeren, Sauerkraut, Zwickel mit Kren (rote Rüben mit Meerrettich), gesäuerte Gurken aus dem Eichenfass und Ghiveci (gesäuertes Mischgemüse). Zu den Getränken gehören der rubinrote Wischniak (aus Weichseln gegärt), der dunkelblaue Afiniak (Heidelbeerenschnaps) und Ribiselwein (Johannisbeerwein). Die Bewirtung der Familie und der Gäste ist zu jeder Tages und Nachtzeit sichergestellt. Unverkennbar ist der Stolz der Hausfrau, wenn ihre eigenen Hausrezepte gelobt werden. Nach dem zweiten Weihnachtstag kehrt der Alltag wieder ein. Katharinas kleineren Geschwister und die Kinder aus der Stadt haben viel Spaß im Hof, auf der Straße und in der Nachbarschaft. Der Tag des Heiligen Sylvesters läutet das Neue Jahr ein. Nach dem Besuch des Dankgottesdienstes am Nachmittag beginnt das Neujahrsfest – dieses Mal ohne Fastenspeisen. Der von Weihnachten stehen gebliebene Weihnachtsbaum erstrahlt im alten Glanz und die festliche Tafel vereint wie der Groß und Klein. Es wird gesungen, gelacht und gespeist. Draußen sind merkwürdige Geräusche zu hören. Peitschen knallen, Männer feuern sich gegenseitig an, ein tiefes Brummen begleitet ein hölzernes Geklapper und eine Fidel versucht ein klagendes Lied zu spielen. Die Kinder aus der Stadt sind erschreckt. Der Buhai (Stier) ist zum Haus gekommen. Katharinas Vater erklärt den Kindern diesen Brauch der Rumänen. Ein aufrechter riesiger Braunbär tanzt zum Klang der Fidel. Ein Doktor mit Arzttasche und Stethoskop prüft die Herzschläge der Begleiter, ein Gendarm (in alter österreichischer Uniform) sorgt für Ordnung. Viel Fußvolk vollführt merkwürdige Tänze. Und immer wieder erklingt das Brummen des Buhais, einer Holztrommel mit einer Lederhaut und einem Pferdeschwanz, an dem gezogen wird. Sie vertreiben die bösen Geister und begrüßen mit ihrem Tun das Neue Jahr. Sie bringen Hochrufe und gute Wünsche für Mitbewohner des Dorfes aus. Mit Schnaps, Geld und Süßigkeiten beschenkt ziehen sie zum nächsten Haus. Mit lustigen Späßen und einigen Tänzen zum Klang eines alten Grammophons geht dieses schöne Neujahrsfest zu Ende. Am nächsten Tag verabschiedet sich ein Teil der Verwand ten. Tante Irmgard, ihr Mann und die Kinder erleben mit den Gastgebern noch den 6. Januar, das Fest der Heiligen drei Könige, das bei den Rumänen Boboteaza genannt wird. Es ist die Gelegenheit Katharinas Eltern den Besuch noch mal zu verwöhnen. Nach der Messe in der Kirche gehen sie mit den rumänischen Bewohnern des Dorfes in einem langen Zug zu der zugefrorenen Moldova. Katharina ist aufgeregt, weil sie weiß, dass sie hier Rosanah und Viorel treffen wird. An der Spitze geht der rumänische Popa in seinem festlichen Gewand. Ihm folgen der katholische und der evangelische Pfarrer, der Bürgermeister, der Gendarmeriechef und andere Honoratioren der rumänischen, deutschen und jüdischen Bevölkerung des Ortes. Aus dem Eis des Flusses wird ein großes Kreuz in einzelne Blöcke geschnitten und am Ufer aufgestellt. Es soll als christliches Symbol stehen bleiben, bis das Eis am Ende des Winters schmilzt. Bei dieser Gelegenheit bewundern sie die schönen Trachten der Rumänen. Die bestickten Hemden über wollenen weißen Hosen bei den Männern und golddurchwobenen Katrinzen bei den Frauen. Reich verzierte Lammfelljacken zeugen von der alten Volkskunst, die noch heute in den Gebirgsdörfern der Bukowina in Ehren gehalten wird. Die Frauen schützen sich vor der winterlichen Kälte mit wollenen Kopftüchern, die Männer tragen hohe Lammfell mützen, Kuschma genannt. Als Katharina Rosanah und ihren Bruder begrüßt, steht sie plötzlich im Kreis der großen Familie. Es dauert nicht lange, bis ihre Familie und die Gäste hinzukommen. Nachdem sie sich nach der herzlichen Begrüßung und dem Austausch von Glückwünschen von ihnen verabschieden, verspürt Katharina ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Die unterschiedliche Herkunft der Menschen spielt hier keine Rolle. Mit einem gegenseitigen »Noroc si sanatate« (Glück und Gesundheit) kehren alle in ihre warmen Häuser zurück. Am nächsten Tag treten die Gäste die Heimfahrt nach Czernowitz an. Die Stadtkinder verabschieden sich bei den Tieren im Stall, bevor sie Katharina und ihre Familie umarmen. Als Viorel mit dem Schlitten die Gäste zum Bahnhof bringt, winken sie ihnen bis zum Ende der Straße nach. Sie freuen sich schon auf das nächste Treffen zu Ostern.