Willi und Dora

Willi und Dora aus dem Roman Katharina der letzte Winter im Buchenland

Ihr wunderbares Leben in der Schweiz sollte nicht länger anhalten, obwohl der Bäckermeister mit seiner kranken Frau froh ist, dass Willi und Dora ihn fleißig unterstützen. Er hat für das Ehepaar sogar eine Wohnung ausfindig gemacht. »Soviel Glück kann ich gar nicht fassen«, brach Dora in Freudentränen aus, als sie sich die Dreizimmerwohnung an sehen, die der Bäckermeister vermittelt hat. Willi nimmt sie in den Arm und macht ihr den Vorschlag: »Dann hat sich Mühe gelohnt. Von dem ersparten Geld können wir die Wohnung schön einrichten«. Aber jetzt haben sie wieder schlaflose Nächte, denn sie haben es sich anders überlegt und werden weiter in den beiden Zimmern beim Bäcker wohnen bleiben. Als Juden sehen sie für ihre Kinder hier im Ort keine Zukunft. Es zeichnet sich bald ab, dass der Krieg bald zu Ende sein wird. Sie sind überrascht, als ihnen der Bäckermeister, der keine Kinder hat, eines Tages eröffnet, dass die Beiden später die Bäckerei übernehmen können. Damit sollte ihr Glück vollkommen sein. Willi und Dora leben sicher und zufrieden in der Schweiz. Eines Tages stellt Dora aber fest: »Es ist wunderschön hier, was ist aber wenn wir Kinder bekommen? Es wird kompliziert sie hier nach unserem Glauben zu erziehen«. »Ja wir sind die einzigen Juden in diesem Ort. Ich glaube die Menschen wissen das hier gar nicht«, fällt Willi dazu ein. Seit diesem Tage reift, vor allem bei Dora, der Wunsch in das gelobte Land Israel auszuwandern. Ein Gedanke mit dem sie sich schon lange Zeit beschäftigten. Auch bei Willi, der darüber nachdenkt den jüdischen Glauben anzunehmen, reift die Sehnsucht nach Israel auszuwandern. Wieder haben Willi und Dora schlaflose Nächte, weil sie der Gedanke nach Israel auszureisen nicht loslässt. Nach langem hin und her fassen sie den heimlichen Entschluss, alles liegen und stehen zu lassen und nach Israel auszuwandern. Eine andere Möglichkeit sehen sie nicht. Eines Tages kommt Dora mit der Information zu Willi: »Ich habe ein Schiff ausfindig gemacht, das mit Juden von Bari nach Israel fährt«. »Auswandern, jetzt wo unsere Welt in Ordnung ist, fällt mir schwer«, gibt Willi Dora zu verstehen. Das ist aber nur der Anfang ihrer Diskussion ist. Dora ist die treibende Kraft. »Wir haben doch genügend Geld zusammen und jetzt können wir Reisen wohin wir wollen«, versucht Dora Willi zu überzeugen. »Denk doch nur an unser Versprechen gegenüber dem Bäckermeister«, kontert Willi. Nach langem Hin und Her ist der Entschluss auszuwandern gefallen. Dora hat sich mit dem Schiffseigner in Verbindung gesetzt und die Zusage für zwei freie Plätze erhalten. Die Fahrkarten von der Schweiz nach Bari zu lösen, ist kein Problem. Wieder laufen Vorbereitungen um sich davon zu machen. Willi behagt das gar nicht. Alles soll geheim bleiben. Sie nehmen Urlaub und erzählen dem Bäckermeister, dass sie nach Italien in den Urlaub fahren. »Es ist doch kein Problem mit Koffern in den Urlaub zu fahren«, sagt Dora zu Willi, als es eines Tages soweit ist. »Ich hab ein mulmiges Gefühl«, gibt Willi Dora zu verstehen. Trotzdem brechen sie auf. Offiziell fahren sie nach Bari in den Urlaub. »Bari, hatten wir das nicht schonmal?«, kann sich Willi erinnern. Dora beruhigt ihn: »Aber dieses Mal ist alles anders«. Die Abreise in den Italienurlaub ist so gelegt, dass sie gut das Schiff in Bari erreichen können. Dieses Mal müssen sie nicht schwarz über die Grenze. Sie müssen auch nicht im Dunkeln aus dem Haus schleichen. Alles ist offiziell. Ihre Bahnfahrt wird direkt in Bari enden. Alles klappt wie am Schnürchen, als sie in Bari auf dem Auswandererschiff an Bord gehen. Das Schiff ist voll mit israelischen Auswanderern, von denen viele gerade den Holocaust überlebt haben. Sie haben wieder eine Kabine gebucht, dieses Mal an Oberdeck. »Ich find es eigenartig hier. Hoffentlich ist das kein Seelenverkäufer?«, gibt Willi Dora zu verstehen. Es scheint aber alles in Ordnung zu sein, als das Schiff in See sticht. Die Kost an Bord erinnert sie an Israel. Als nach Tagen Palästina in Sichtweite ist, geschieht etwas Sonderba res. Zwei englische Kriegsschiffe legen bei und englisches Militär kommt an Bord. Es steuert direkt auf den Kapitän zu. Beklommenheit macht sich jetzt bei den Passagieren breit. Willis Kommentar: »Ich hab geahnt, das hier etwas nicht stimmt«, geht im Tumult unter. Niemand ahnt, dass die Briten hier ihre Finger im Spiel haben. Weil sie mit ihrem Mandatsvertrag für Palästina die Einrichtung einer Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina haben, sind sie mit den illegal eintreffenden Schiffen mit Juden überfordert. Sie bemächtigen sich dieser Schiffe und leiteten sie nach Zypern um. In dieser Zeit scheuen sich die Engländer nicht auch Frachtschiffe zu versenken. Nun verhindern die Engländer die Weiterfahrt ihres Selenverkäufers. An Bord ertönt plötzlich die Durchsage des Kapitäns, in der das Militär mitteilen lässt, dass das Schiff in Begleitung der englischen Kriegsschiffe in einem Hafen von Zypern anlegen wird. Das klingt wie eine Gefangennahme. »Willi, das ist alles so schrecklich, was hier geschieht. Warum haben wir das nur gemacht?«, quillt es aus Dora heraus. Obwohl Dora und Willi bereits in Sicherheit waren, kommen jetzt wieder Ängste auf. Mit den anderen Schiffspassagieren sind sie sehr gespannt, was jetzt geschieht. Es dauert längere Zeit bis ihr Schiff einen zyprischen Hafen ansteuert. Im großen Durcheinander erfahren sie, dass sie als jüdische Einwanderer in ein Internierungslager gebracht werden. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, kann Willi noch sagen, als sich Dora blass vor Aufregung und einer Ohnmacht nahe an ihm festhält. »Es ist nicht zu verstehen, dass uns judenfreundliche Briten in ein Lager stecken«, sagt Willi. Nun geht alles wieder von vorn los. Auf engstem Raum leben sie mit vielen Landsleuten zusammen. Obwohl sie gut versorgt werden, begreifen sie die Situation nicht. Sie wissen auch nicht, wie lange sie festgehalten werden. Es ist das Jahr 1947. Die Engländer bringen weitere Schiffe auf. Sie müssen weitere Lager einrichten, weil immer mehr Menschen, darunter viele Juden die den Holocaust überlebt haben, unterbringen müssen. Auch viele Kinder und Jugendliche befinden sich unter ihnen. Im Lager werden täglich Kinder geboren. Berichte von Lagerinsassen, die den Holocaust überlebt haben, zermürben Willi und Dora. Ihnen geht es psychisch und physisch schlecht. »Wie konnten wir nur diesen Fehler machen?«, wirft Willi Dora an den Kopf, die nun ganz verzweifelt ist. Die Zustände im Lager werden von Tag zu Tag schlechter. Die Engländer scheinen überfordert zu sein. Inzwischen hat auch die Welt von den katastrophalen Zuständen auf Zypern erfahren und übt Druck auf die Briten aus. Im Lager spricht man von Schiffen mit Juden, die durchgekommen sind. Auch das Juden wieder in die Herkunftsländer gebracht werden sollen. Über Fünfzigtausend Juden sitzen in den Lagern fest. Die Geschehnisse in den Lagern und die bekannt gewordene Operation Oasis, mit der Zwangsrückführung der Juden in ihre Herkunftsländer führen zum schnellen Ende der Mandatszeit der Engländer in Palästina und zur Unabhängigkeit Israels. Im Jahre 1948 werden die Lager auf Zypern aufgelöst. Willi und Dora können jetzt nach Israel ausreisen. Am Ende treten die Engländer ihr Mandat an die UN ab, und es entsteht offiziell der Staat Israel. Von nun an geht Dora und Willi besser. Bald können sie mit einem Schiff nach Israel ausreisen. Die Odyssee ist aber noch nicht zu Ende. Nur durch die Ehe mit Dora gelingt es Willi neben dem jüdischen Glauben auch die israelische Staatsangehörigkeit anzunehmen. In dieser Zeit kann Israel den Massenansturm der Emigranten kaum bewältigen. Da Dora den Kontakt zu ihren Verwandten in Israel nicht abreißen ließ, können sie bei einer Cousine von ihr unterkommen. Mit dem Mitgebrachten versuchen sie in der neuen Heimat zurecht zu kommen. Da sie als Czernowitzer in einer Stadt leben möchten, haben sie von Anfang an eine Auge auf Tel Aviv geworfen. Dass sie in der Schweiz das Bäckerhandwerk erlernt haben verschafft ihnen vielleicht einen Vorteil. Sie versuchen Arbeit zu bekommen. Eines Tages finden sie ein älteres Ehepaar, die Besitzer einer Bäckerei sind. Sie bekommen eine neue Arbeit und ein möbliertes Zimmer. Aller Anfang ist schwer, auch in Tel Aviv. Mit der Aussage: »Dass wir wieder früh aufstehen müssen, nehmen wir gerne in kauf«, beginnen sie ihre neue Arbeit. »Ich hätte nicht gedacht, dass der Unterschied zur Arbeit in der Schweiz so groß ist«, kommentiert Willi den neuen Job. Da das Bäckerehepaar mitarbeitet, fallen auch Willi und Dora die Arbeiten nicht schwer. Nun arbeiten sie schon ein Jahr fleißig in der Bäckerei. Mitten in der Stadt ist es viel hektischer als in dem Schweizer Dorf. Koschere Backwaren kennen sie zwar aus Czernowitz, aber hier backen sie anders. »Mir macht die Arbeit in der Backstube Spaß. Jetzt kann ich auch koscher backen«, erzählt Willi eines Tages seiner Frau. Dora steht jetzt häufiger am Verkaufstresen, da sie ihre Sprachkenntnisse inzwischen verbessern konnte. Willi und Dora haben sich schnell an das jüdische Leben gewöhnt. »Was uns noch fehlt, ist eine Wohnung«, stöhnt Dora Willi vor. Bei Gesprächen mit Kunden am Verkauftresen bringt Dora immer wieder ihr Interesse an einer Wohnung ein. Tatsächlich vermittelt eines Tages eine Kundin Dora eine schöne Wohnung. Sie schlagen sofort zu, denn Wohnraum ist hier knapp. Sie sind außer sich vor Freude, als sie sich die neue Wohnung ansehen. Sie erstellen eine Skizze von der Wohnung, und richten sie mit Pappschablonen ein. »Jetzt wissen wir, welche Möbel wir kaufen können«, strahlt Dora. Willi er gänzt: »Ich kann die Zeit nicht mehr abwarten, dass wir in unsere neue Wohnung ziehen«. Sie haben es nicht weit bis zum nächsten Möbelhaus. In dem großen Möbelgeschäft finden sie alles was sie suchen. »Lass uns die Wohnung herrichten, bevor die Möbel kommen«, schlägt Willi vor. Mit Freude machten sie sich an die Arbeit. Jetzt arbeiteten sie Tag und Nacht. Sie sind gerade fertig geworden, als das Möbelhaus die Auslieferung der Einrichtung ankündigt. Es ist ein wunderschöner Tag und die Sonne scheint, als sie den Möbelträgern ihre Anweisungen erteilen. »Fällt dir auf, dass wir für ein Zimmer keine Möbel ausgesucht haben?«, fragt Dora verschmitzt. »Stimmt, warum eigentlich?«, fragt Willi. Dora muss schmunzeln und erwidert: »Mal sehen, was uns noch einfällt?«. Zur Einweihung ihrer Wohnung laden sie den Bäckermeister mit Frau, ihre Cousine und auch die neuen Freunde ein. »Siehst du!«, sagt Dora spitzbübisch zu Willi, »jetzt können wir das leere Zimmer für die Einweihungsfeier nutzen«. Als Dora Willi eines Tages mit der Feststellung umarmt: »Ich weiß jetzt, warum wir das Zimmer nicht eingerichtet haben«, fällt auch ihm die Antwort ein: »Wir bekommen Nachwuchs!«. Die nächsten Monate vergehen wie im Fluge. Sogar der Bäckermeister lässt sich zu der Aussage hinreißen: »Es wird bestimmt ein Junge«. Die beiden vermuten: »Der Bäckermeister denkt bestimmt an einen neuen Lehrling«. Inzwischen werden die Tage wieder länger und die Zeit der Niederkunft naht. Es ist März 1950, als Dora einen gesunden Jungen zur Welt bringt. Willi ist jetzt außer sich vor Freude. Inzwischen haben sie auch das dritte Zimmer als Kinderzimmer hergerichtet. Als die glückliche Mutter aus dem Krankenhaus nach Hause kommt, kann sie einen strammen Jungen in die bereitste hende Wiege mit dem blauen Himmel legen. Die beiden können ihr Glück immer noch nicht fassen. Auch die Bäckerei nimmt gern in Kauf, dass sich Dora in nächster Zeit um das Kind kümmern wird.